Dreißig Pfund Butter ...

Der Regierungspräsident persönlich half in der Not

Theo Pauly, Gerolstein

 

Vor einem kleinen Menschenalter hatten wir zusammen die Schulbank gedrückt. Aufgewachsen waren wir in zwei benachbarten Dörfern; Schule und Pfarrkirche besuchten wir gemeinsam. Beide waren wir im gleichen Jahr geboren, und so hatten wir auch den Einstieg in die Schule miteinander geschafft. Acht Jahre lang trafen wir uns schultäglich, aber auch des Sonntags, zumindest in der Christenlehre am Sonntagnachmittag, die damals für alle Schulkinder und darüber hinaus für die Jugendlichen bis zum vollendeten achtzehnten Lebensjahr verpflichtend war.

Dann waren unsere Wege auseinandergedriftet. Der Schulfreund blieb seinem Heimatdorf treu, mich hatte es in die Fremde verschlagen. Ab und an sahen und trafen wir uns, wenn ich mal wieder zu Hause war, und wir freuten uns. Die gemeinsamen Streiche, die seinerzeit von Lehrer, Pastor und Eltern entsprechend gerügt, und deren Bestrafung gemeinsam ertragen wurde, die gleiche Herkunft und das gleiche Umfeld, in dem wir aufgewachsen waren, dies alles gab immer wieder das Gefühl des Zusammengehörens, das nie erlosch und wohl auch fürderhin Bestand haben wird.

In den vielen Jahren, die seither ins Land gegangen sind, haben wir» Ehemaligen« uns zweimal zu Klassentreffen zusammengefunden. Beide Male hatte »Manes«, wie wir ihn als Kinder gerufen hatten, großen Anteil am Zustandekommen der Zusammenkünfte. Dann war eines Tages seine älteste Tochter meine Mitarbeiterin geworden; von da an wurde unser loses Freundschaftsverhältnis etwas enger, und eines Tages hatte er als erfolgreicher Kaninchenzüchter mir einen Braten versprochen mit der Auflage, diesen zur gegebenen Zeit bei ihm zu Hause abzuholen. Einige Tage vor Weihnachten kam der Bescheid, das Tier hänge bratfertig auf dem winterkalten Balkon. Des Abends suchten meine Frau und ich gemeinsam den Freund in seinem neuen Hause auf, das er vor einigen Jahren in der Nähe seines Elternhauses errichtet hat.

Da saßen wir nun im gemütlichen Wohnzimmer beisammen, ein vorzüglicher Mosel war kredenzt, die Frau des Freundes, die ebenfalls mit uns zusammen die kleine einklassige Volksschule besucht hatte, brachte Weihnachtsgebäck auf den Tisch, und alle fühlten wir uns behaglich. So begann denn das Erzählen und das Erinnern, und mittendrin meinte der Freund: »So! Jetzt will ich dir einmal erzählen, wie armselig es in meiner Kindheit zu Hause zuging, und darüber könntest du ruhig einmal im Heimatjahrbuch berichten, damit die Leute sich der eigenen Kindheit und Jugend wieder erinnern und junge Leute erahnen, wie gut es ihnen heute geht!«

»Manes« war das siebte von neun Kindern der Familie gewesen. Der Vater hatte eine kleine Landwirtschaft betrieben, wie es damals in der Struth üblich war. Die Familie lebte im Hause eines alten Onkels, der das Regiment bis zu seinem Tode nicht abgegeben hatte, und den die Kinder als stets zu respektierende Obrigkeit erlebten. Als die ersten fünf Kinder da waren, einige Jahre vor der Geburt des Freundes, war das Häuschen des Onkels zu klein geworden, und der Vater sann darauf, ein ausreichend großes Haus zu bauen, doch verfügte er nicht über ausreichende Mittel. Da hatte sich der damalige Trierer Regierungspräsident von der Notwendigkeit eines Neubaues in diesem besonderen Falle persönlich überzeugt. Wie der Vater später immer wieder erzählte, hatte der hohe Beamte, sicher auch im Hinblick auf die offensichtlich erneute Schwangerschaft der Mutter, seinerzeit gemeint: »Wenn es irgendwo notwendig ist, dann hier!« und dem Vater war ein zinsloses Darlehen mit einer Laufzeit von dreißig Jahren bewilligt worden, das für die kinderreiche Familie groß genug war. Nun war ein ausreichend geräumiges Obdach vorhanden, doch Speicher und Keller waren stets schnell, viel zu schnell geleert, reichte doch die Ackerfläche kaum aus, die für die große Familie notwendigen Nahrungsmittel anzubauen. Zwei Kinder, ein Bruder und eine Schwester, waren zu nahen Verwandten gegeben worden; sie waren schon einmal »aus der Kost«. Doch es blieben noch genug hungrige Mäuler. Alle zehn Tage buk die Mutter fünfzehn großlaibige Brote, und Tag für Tag wurde jeweils ein ganzes Pfund Butter verbraucht; dreißig Pfund im Monat! Auf dem Molkereizettel fanden sich stets nur rote Zahlen. Doch immer wieder haben es die Eltern geschafft, die Großfamilie ausreichend zu ernähren. Gleichwohl war meist Schmalhans Küchenmeister. Gehungert haben die Kinder sicher nie, ob sie aber stets rundum gesättigt am Abend zu Bett gingen? Diese Frage weiß der Freund heute nicht mehr zu beantworten. Wie gut, daß Erinnerung verschönt!