Symphonie in Rost

Alois Mayer, Daun

 

Es begann alles damit, daß Frau Mendel beim Frühstück zu ihrem Mann sagte: »Morgen ist Sperrmüll: Denk dran!«

Als Herr Mendel seine Garage aufräumte, kam eine Unmenge an Unrat zum Vorschein. Ausgediente Fahrräder, gebrochene Sprungrahmen, alte Waschschüsseln, zwei verbeulte Kotflügel seines Autos (»Mein Gott, das war doch vor zig Jahren!«) Blumentöpfe, ein hart gewordener Sack Zement, viele Meter verrosteter Draht und jede Menge Blechdosen mit und ohne Inhalt. Mühevoll schleppte Herr Mendel alles hinaus, hin zur Straße, wo langsam aber stetig ein ansehnlicher Berg mit den Resten menschlichen Konsumverhaltens anwuchs.

Herr Mendel freute sich nach getaner Arbeit; nicht nur, weil seine Garage nun erstaunlich geräumig geworden war, nicht nur, weil er etwas für die Gesundheit seines Körpers getan hatte, sondern hauptsächlich, weil nunmehr die Müllabfuhr nicht vergebens bei ihm vor-(bei)zufahren brauchte.

Der kommende Tag verstrich und machte der Nachdenklichkeit und Beschaulichkeit Platz. Der enorme Schutthaufen war noch da, hatte sich nur etwas verändert, denn er war nicht mehr säuberlich gestapelt. In der Nacht hatten ihn Antiquitätenhändler lieblos durchwühlt. Besonders augenfällig war die ausgediente Waschmaschine, die gestern noch nicht im Besitz von Herrn Mendel war. So schaute er ärgerlich zu seinem Nachbar hinüber und in seinem Gehirn kreisten böse Verwünschungen. Da bemerkte er noch einen hübschen, weißen Zettel. In gotischen Buchstaben stand darauf gedruckt: »Lieber Bürger! Dies ist kein Sperrmüll! Für Sonder-, Garten-, Bau- und anderen Müll wenden Sie sich bitte an Ihre zuständige Verwaltung! Mit freundlichen Grüßen, Ihre Müllabfuhr!«

Ganz langsam durchzog ein unbekanntes Gefühl alle Nervenbahnen von Herrn Mendel. Er war sich nicht sicher, ob es sich zum Lachen oder Weinen, zum Brüllen, Fluchen oder Resignieren entwickeln würde. Gedanken wirbelten durch sein gekränktes Gehirn, in denen er sich beschwerdebriefeschreibend, wütend telefonierend und auch siegessicher als Kläger vor Gericht sah. Letztlich aber siegte jene Macht, die wohl seit Paradieses Zeiten tief im Menschen schlummert und ihren Anfang stets dann nimmt, wenn die Überzeugung reift: »Na, das wollen wir dann doch mal sehen!«

Frau Mendel erkannte anderentags ihren Mann nicht mehr. Jede freie Minute befaßte sich dieser mit dem Müllberg draußen, klopfte und hämmerte, stapelte Schrotteile ineinander und aufeinander, schraubte, bohrte und schweißte. Sämtliche Färb- und Spraydosen vermalte und versprühte er und pappte sie anschließend mit wetterfestem Alleskleber an. Besonders fest verdübelt hatte er die Waschmaschine. Nur bei Wind stieß deren Bullauge traurig gegen die Kotflügel.

Dann schrieb Herr Mendel einen Brief an die Stadt: »Hiermit beehre ich mich, Ihnen, in Anbetracht Ihrer hohen kommunalpolitischen Verdienste, mein neuestes Kunstwerk »Vision des metallenen Auges« zu widmen und anzuvertrauen. Es soll Ihnen zur Ehre und unserer geliebten Vaterstadt zum Ruhme gereichen!« Bereits wenige Tage später fuhr eine städtische Kommission vor. Sie schritt mehrmals um den kolossalen Schrotthaufen, visitierte und notierte, diskutierte und fotografierte. »In der Tat, eine gelungene Synthese von Kunst und Können!« meinte der Oberrat, dem der Amtmann mit seinen Ausführungen über das »Symposion der vertretbaren Metallurgie« nur zustimmen konnte. Auch der Beigeordnete war entzückt über die Ambivalenz von Rost und Rot, von Schein und Sein. Nur Inspektor Krell war der Ansicht, dies sei doch wohl weniger »Kunst am Bau« als eher ein Fall für den Schrotthandel. Doch damit zog er sich massivste Mißbilligung zu, und der Dezernent gab ihm deutlich zu verstehen, daß Herr Krell nun wohl nicht mehr für eine erneute Berufung in den Kultur- und Kunstausschuß der Stadt zur Verfügung stehen könne.

n der kommenden Woche fuhr ein mächtiger Kranwagen vor, hievte das tonnenschwere Werk auf einen Tieflader und fuhr es, begleitet von blaublinkenden Polizeifahrzeugen, hin zum Stadtpark. Vorsichtig wurde es auf einen zwischenzeitlich gegossenen Betonsockel aufgestellt.

Viele Bürger, Gäste und Honoratioren waren versammelt, als unter dem Klicken zahlreicher Fotoapparate und dem Surren von Fernsehkameras das Gebilde (Lokalzeitung: »Manifest in Eisen«) feierlich eingeweiht wurde. Der Schirmherr pries in seiner Laudatio die Vitalität des Animalischen im Kampf mit den scheinbar toten Anorganismen und wies dabei auf den wachsenden Rost hin. Der Bürgermeister reflektierte in seiner Rede über die profunde Bedeutung jenes Kunstwerkes, das in sich symbolträchtig Sozio-Kulturelles und politisch Bedeutsames vereine. Tief gerührt dankte er im Namen der Stadt dem Künstler Mendel, der sein Genie und sein Können so selbstlos in den Dienst einer guten Sache gestellt habe. Bei einem Glas Sekt bot er Mendel sein Du an und händigte ihm dann im Namen der Bürger noch einen namhaften Scheck als kleine Anerkennung aus.

Seitdem lächelt Herr Mendel stets und ist glücklich. Und als ihm ein halbes Jahr später in einem vielbestaunten Festakt der hochdotierte »Kunst-in-der-Stadt«-Preis ausgehändigt wurde, begann er erneut, Schrott und Sperrmüll zu sammeln, diesmal auf seinem Speicher.