Die Gerolsteiner Linde

Wilma Herzog, Gerolstein

 

Während eines Eifelbesuches machte Kaiser Wilhelm II. seinerzeit kurze Rast in Gerolstein. Als Sehenswürdigkeit des Eifelstädtchens hatte der Hofmarschall unter anderem für »Seine Majestät« notiert: »In der Nähe der neuen Kirche (Erlöserkirche) eine alte Linde von außerordentlichem Umfang ... «

Als Kinder kannten wir nur ein Stück des ausgehöhlten Stammes dieser Linde, der bis zur Bombardierung Gerolsteins links neben dem Eingangstor zur Lindenanlage lag; praktisch ein Muß für jedes Kind, auf dem Weg zur Munterley da aufrechten Ganges hindurchzugehen. Ältere Gerolsteiner, die uns von den Ruhebänken aus zusahen, erzählten uns von der Geschichte des Baumes. Eine Beschreibung der »Linde von außerordentlichem Umfang« fand ich in einem Heftchen des Verschönerungsvereins und der Ortsgruppe des Eifelvereins Gerolstein aus den ersten Jahren unseres Jahrhunderts:

»Von der Kyllbrücke am unteren Ausgang von Gerolstein aus in nordwestlicher Richtung wandernd, gelangt man nach wenigen Minuten an die berühmte Gerolsteiner Linde, am Fuße der Munterley gelegen, zu welcher letzterer man am bequemsten von hier aufsteigt. Der Eingang zu den die Linde umgebenden Anlagen, welche Eigentum des hiesigen Verschönerungsvereins sind, liegt, durch ein hölzernes Gittertor mit Aufschrift gekennzeichnet an der rechten Seite der Lindenstraße. Die Linde ist einer der besterhaltenen, ehrwürdigsten und mächtigsten Bäume unseres Vaterlandes. Ihr Alter läßt sich in Ermangelung geschichtlicher Urkunden nicht genau bestimmen, doch wird man sich von der Wahrheit nicht zu weit entfernen, wenn man es auf annähernd 600 Jahre schätzt. Zu der Zeit, in der fast jeder Ort seine Gerichtslinde pflanzte, mag auch sie entstanden sein; zweifellos wurde früher unter ihr Gericht gehalten. Daß sie nicht gleich vielen anderen Linden der näheren und weiteren Nachbarschaft einging, ist, soweit die neuere Zeit in Betracht kommt, wohl in erster Linie dem Gerolsteiner Verschönerungsverein zu danken, der anfangs der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts den damals teilweise ausgehöhlten Stamm dadurch schützte, daß er bis zur Höhe von etwa 1 m den Boden um ihn durch Aufwerfen von Erde erhöhte und mit einer niedrigen Mauer befestigte. Der Verschönerungsverein schuf damals um die Linde die inzwischen stattlich gediehenen Parkanlagen, welche im Laufe der Jahre durch Anbringen von Ruhebänken und vor zwei Jahren durch Errichten eines Pavillons, der zugleich als Erfrischungsstätte dient, zu einem schattigen und beliebten Erholungsplatze wurden, welcher nebenbei eine wundervolle Aussicht auf Gerolstein und die südöstlich von Gerolstein liegenden Höhen bietet.

Der Stamm des Baumriesen, dessen weit ausladende Äste eine Fläche von mehr als 700 Quadratmeter beschatten, mißt an der Stelle des stärksten Umfanges etwa 7 1/2 Meter. Die größeren Äste selbst, die in den Jahren gestutzt werden mußten, würden einen stattlichen Stamm darstellen. Der Baum zeigt noch nirgendwo Spuren des Verfalls. Zur Zeit der Lindenblüte, in welcher seine ganze Umgebung duftgefüllt ist, lohnt sich der Besuch am meisten ..."

An diese »Gerolsteiner Linde« erinnern heute noch die Bezeichnungen »Lindenanlage« und »Lindenstraße«.