Zum 70. Geburtstag von Dr. Alois Mertes

Prof. Matthias Weber, Köln / Niederbettingen

 

Am 29. Oktober 1991 hätten wir einem großen Sohn der Eifel zum 70. Geburtstag gratulieren können, wäre er nicht am 16. Juni 1985 mitten aus seinem unermüdlichen Schaffen von dieser Welt abberufen worden. Sechs Jahre nach seinem allzu frühen Tod sei die Frage erlaubt: Wer war dieser »Dr. Mertes Gerolstein«, wie er als Abgeordneter des Deutschen Bundestages für den südlichen Eifelwahlkreis hieß und der in seinen letzten drei Lebensjahren als Staatsminister im Auswärtigen Amt zu Bonn nicht unerheblich die deutsche Außenpolitik mitgestaltete? Es sollte sich die Frage anschließen: Was bedeutet uns dieser Mann (noch) heute? Sehen wir ihn mit den Augen eines Sebastian Münster (1488 - 1552), der die Eifel und ihre Bewohner in die deutsche Literatur eingeführt hat, so trifft ohne Zweifel auf Mertes das Urteil zu: »Die Einwohner (der Eifel, Vf.) seind gar arbeitsam (und) haben sinnreiche Köpff wo sie geübt werden.«1) Alois Mertes, der seinerseits gerne »seine« Eifeler auf Sebastian Münster hinwies, nicht nur als Mann auf unserem langsam aussterbenden blauen 100-Mark-Schein, war als studierter Historiker und gelernter Berufsdiplomat, aus einfachen Verhältnissen stammend, sowohl »arbeitsam« als auch »geübt«. Sein beruflicher Werdegang und sein gesellschaftlicher Aufstieg waren das Ergebnis eigener Tüchtigkeit, nimmermüden Fleißes und nicht irgendeines vagen Zufalls oder sogenannten Glücks. Bei aller Liebe zu den Menschen und bei aller Freundlichkeit im Umgang mit ihnen - Alois Mertes war ein harter Arbeiter und am härtesten gegen sich selbst. Solange es ihn gab, haben dies Angehörige aller Volksschichten in seinem großen Wahlkreis voll genutzt, ja regelrecht bis an den Rand ausgeschöpft. Jeder Bittsteller, ob groß oder klein, hoch oder niedrig, wußte, «der Alois setzt sich für eine gerechte Lösung meiner Sache in Bonn ein, und wenn der es nicht schafft, schafft es kein anderer.«2) Wo auch immer Dr. Mertes in der Eitel zu einer Veranstaltung eingeladen wurde und erschien, fand man für seine Person freundliche, ja dankbare Worte. Das war sicher kein billiges Hofieren einer hochgestellten Persönlichkeit aus Bonn und tat offenbar beiden Seiten gut. Wie sieht es heute in der Eitel mit der Erinnerung an ihn aus, an seine Person, sein stets hilfsbereites Wirken und politisches Denken und Handeln? Zu welcher »Kultur der Erinnerung«3) an einen bedeutenden Sohn aus der eigenen Mitte ist man hier fähig? Sind wir noch stolz auf unseren in aller Welt bekannten und hochgeschätzten Sohn Gerolsteins, der seine besten Kräfte im Dienst für seine engere Heimat und für sein größeres Vaterland buchstäblich aufgezehrt hat? Waren wir je echt dieser Überzeugung oder haben wir diesen vortrefflichen Mann im Grunde längst »abgeschrieben«? Glauben wir wirklich, daß er als Toter für uns nutz-und wertlos sei und sich daher die Erinnerung, gar ein ehrendes Gedenken an ihn völlig erübrigten?

In der Tat erscheint das Bild, das man sich heute von Alois Mertes macht, je nach der Region, wo man von ihm (noch) spricht, recht unterschiedlich und keineswegs einhellig. Ob etwa in Gerolstein und Daun, der Eitel überhaupt, im größer gewordenen Deutschland oder gar im Ausland (in den USA, in Frankreich, Großbritannien, Israel oder in Polen)4) - die Einschätzung ist uneinheitlich. Generell läßt sich vielleicht sagen: Mit der größeren räumlichen Entfernung hat die Wertschätzung der Mertesschen Haltung und Politik eher zugenommen, und es wird die Erinnerung daran bewußt gepflegt, in der engeren Heimat dagegen - man kann es kaum glaubennimmt sie eher ab. In der gleichen Zeit, in der sich in Deutschland Stimmen angesehenerZeitungen5) oder bekannter Historiker6'mehren, die einen so hoch qualifizierten Außenpolitiker wie Alois Mertes in seiner großen Partei sehr vermissen, während in den USA eine der einflußreichsten Gesellschaftsgruppen dort, das American Jewish Committee in New York, in seinem traditionellen Jahrestreffen durch Vorträge die Erinnerung an das Wirken und die Verdienste von Alois Mertes zielstrebig kultiviert, tut man sich in seiner alten Heimatstadt Gerolstein und im Kreis Daun reichlich schwer, selbst mit den einfachsten Zeichen die Erinnerung an diesen großen Sohn der Heimat zu pflegen.

Modell der Gedenktafel für Alois Mertes, eine Arbeit von Bildhauer Johann Baptist Lenz, Oberkail

Wie soll man es anders verstehen, wenn hier schon der Vorschlag eines Schulleiters, seine Schule, für deren Wohl sich der Bundestagsabgeordnete Dr. Mertes besonders eingesetzt hat, nach seinem Namen zu benennen, oder ein ähnlicher Vorschlag des Stadtbürgermeisters, eine Straße nach dem verdienstvollen Sohn der Stadt, dem sie zu seinen Lebzeiten gerne ihre goldene Ehrennadel7) verliehen hat, zu bezeichnen, im Stadtrat keine Zustimmung findet? Statt dessen mehren sich die Stimmen, die davon berichten, man lehne derartige Ehrungen als »Personenkult«8)ab. Als ob Alois Mertes nicht ein stets hilfsbereiter Diener seiner Landsleute, oft über Parteigrenzen hinweg, gewesen sei, sondern ein selbstgefälliger und eitler »Herrscher«.

Aus dieser Sicht kann die ernsthafte Bemühung des heute in Köln lebenden gebürtigen Gerolsteiners Klaus Tombers9) nur anerkennend und dankbarbegrüßt werden. Gleichsam »auf seine Kappe«, wenn auch nicht ohne Rücksprache und Abstimmung mit der Gerolsteiner Stadtverwaltung, hat er zum Jahresbeginn 1991 bei dem renommierten Bildhauer und Kaiser-Lothar-Preisträger Johann Baptist Lenz10) eine Gedenktafel für Alois Mertes in Auftrag gegeben. Ihre Herstellung soll rund 8000 DM kosten11) Zur Finanzierung trägt eine ganze Reihe von Freunden bei, und Bundeskanzler Helmut Kohl hat einen Betrag von 1 000 DM (= 1/8 der Kosten) zugesagt.12) Kein Geringerer als der Mertesfreund und der Welt dienstälteste Außenminister hat seine Teilnahme an der Tafelenthüllung im Oktober dieses Jahres versprochen. Da klingt es nahezu absurd, zu hören, der Gerolsteiner Stadtrat sei sich noch nicht einig, ob er die Einwilligung zur Anbringung der Tafel an einem städtischen Gebäude geben soll.

Die Bronzetafel zeigt in ihrem oberen Teil links die Büschkapelle als Symbol für Gerolstein und rechts ein reliefiertes Porträt von Alois Mertes. Im unterem Feld enthält sie in erhabenen (herausgehobenen) Großbuchstaben folgende Inschrift:13)

DR. ALOIS MERTES

STAATSMINISTER IN BONN

GEB. AM 29. 10. 1921

IN GEROLSTEIN

IN ANERKENNUNG SEINER

BESONDEREN LEISTUNG, IN

DANKBARKEIT FÜR DIE ENGE

VERBUNDENHEIT UND LIEBE

ZU SEINER HEIMAT.

SEIN STREBEN GALT DER

FÖRDERUNG DES

EUROPÄISCHEN GEDANKENS UND

DEM FRIEDEN IN DER WELT.

SEINE FREUNDE UND BÜRGER

DER STADT GEROLSTEIN

Eine andere und offenbar komplizierter erscheinende Form der Erinnerung und Ehrung für Alois Mertes ist bereits seit sechs Jahren vorgeschlagen und Gegenstand des Gedankenaustausche zwischen den politischen Verantwortungsträgern der Stadt Gerolstein und des Kreises Daun. Bisher steht die Entscheidung darüber noch aus. Die Rede ist von einem Dr.-Alois-Mertes-Archiv.14) Es könnte sehr gut mit einer Archivaliensammlung für Heimatgeschichte des Gerolsteiner Landes verbunden werden. Das hätte den Vorteil, daß auch Nachlässe anderer Persönlichkeiten hierin ihre angemessene archivalische Heimstatt finden könnten. Der Nachlaß von Alois Mertes, soweit er noch nicht im Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung15) in St. Augustin archiviert ist, und private Quellen über ihn würden gleichsam den Grundstock bilden. Solange die Bundesregierung noch ihren Sitz in Bonn hat, wäre auch relativ leicht an die reichliche Bildersammlung in der Bildstelle des Bundespresseamtes heranzukommen. Für Stadt und Verbandsgemeinde Gerolstein ergäbe sich der Vorteil, endlich eine solide archivalische Grundlage'für die weitere qualifizierte Heimatforschung16) sowie eine vorzeigbare und werbewirksame Kultureinrichtung mehr zu erhalten. Archivgut ist Kulturgut; in Gerolstein so gut wie in Koblenz, Bonn oder Berlin. Doch halten wir's weiter mit Erich Kästner: »Es gibt nichts Gutes außer: man tut es«.17) Könnte dieser Spruch nicht auch von Aiois Mertes stammen?

Anmerkungen:

1) Zitiert nach Auszug aus Sebastian Münsters Kapitel »Von der Eyfel« in seiner Cosmographia von 1628, in: Mertes, Aiois: Sebastian Münsters erste Eifelbeschreibung 9, in: Eifelverein (Hrsg.), Eifeljahrbuch 1974, S.129 - 134

2) Redensart, die zu Dr. Mertes Lebzeiten oft im Gerolsteiner und Hillesheimer Land zu hören war

3) Formulierung von Ministerialrat Michael Mertes im Brief vom 22.5. 1991 an den Verfasser, in dem er über die Resonanz auf sein Referat »Deutschlands Tagesordnung für die 90er Jahre« vor dem American Jewish Committee am 3. 5. 1991 berichtet. Hierin heißt es u. a.: »Mit dem Echo auf meinen Vortrag in New York war ich sehr zufrieden. Eines hat mich erneut tief beeindruckt: Das Gedenken an gute Freunde - in diesem Falle ... an meinen Vater - gehört ganz selbstverständlich zu jener «Kultur der Erinnerung«, die den Juden in Jahrhunderten des Exils geholfen hat, ihre Identität zu wahren.

4) Belege liegen dem Verfasser hinreichend vor.

5} So beispielsweise Leo Wieland in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. 2. 1991, Reinhard Urschel in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (wörtlich: »Die CDU hat nach dem Tod von Alois Mertes keinen Außenpolitiker mehr, die CSU auch nicht.«), Ausgabe vom 6. 3. 1991 oder Klaus Dreher in der Süddeutschen Zeitung vom 9. 3. 1991.

6) So z. B. Karl Dietrich Bracher und Kar! Kaiser von der Universität Bonn. In diesem Zusammenhang sei auch die Alois-Mertes-Gedenkvorlesung des Deutschen Historischen Instituts in Washington genannt. Dieses Stipendium wird vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (Essen) mit 10000 DM gefördert. Belege dazu im Besitz des Vf.

7) Im Herbst 1981 ehrte die Stadt Gerolstein damit Dr. Mertes zu seinem 60. Geburtstag. » Diese Ehrung hatte der Stadtrat in seiner Sitzung vom 23.9.1981 einstimmig als Anerkennung für die vielen Verdienste und Bemühungen um die Stadt Gerolstein und ihrer Bürger beschlossen.» Mitteilungsblatt für den Bereich der Verbandsgemeinde Gerolstein, Nr. 16 vom 14. 11. 1981, S, 1 -3. Es lohnt sich, hier nachzulesen!

8} Vgl. Weber, Matthias: Weltoffen und in der Heimat verwurzelt / Zum Tode von Dr. Alois Mertes, in: Eifelverein (Hrsg.), Eifeljahrbuch 1986, S. 87-95, Ders.: Zur Erinnerung an Dr. BattiDohrn, P. Josef Böffgen und Dr. Alois Mertes, in: Stadt Gerolstein (Hrsg.), Gerolstein, Trier 1986, S. 326 - 336

9) Anschrift: Dipl.-lng. Klaus Tombers, Asternweg 20, 5000 Köln 71

10) Anschrift: Bildhauer Johann Baptist Lenz, Auf dem Treppchen 2, 5561 Oberkail. Über die Werke des Bildhauers informieren insbesondere die Kataloge der Europäischen Vereinigung Bildender Künstler aus Eifel und Ardennen e.V., die alljährlich in der Abtei Prüm eine große Ausstellung präsentiert.

11) Nach Auskunft des Künstlers beim Besuch des Vf. in seinem Atelier am 26. 3. 1991 (s. Foto)

12) Der entsprechende Schriftwechsel mit dem Bundeskanzleramt liegt dem Vf. vor.

13) Nach Mitteilung des Künstlers (s. Fußnote 10)

14) Vgl. Vorschlag des Vf. (s. Fußnote 8)

15) Ein Findbuch der hier bereits geordneten und viel benutzten Quellen befindet sich im Besitz von Frau Hiltrud Mertes, Lindenallee 1d, 5300 Bonn 2.

16) Hierin könnten auch die privaten Archivalien der verstorbenen Gerolsteiner Heimatforscher Dr. Batti Dohrn und Pater Josef Böffgen untergebracht und für die weitere Forschung nutzbar gemacht werden.

17) Kästner, Erich: Kurz und bündig, Epigramme 1950, Neuausgabe Ulm 1979, S. 35