Künstlerisches Schaffen auf dem Lande

Symposion Weißenseifen

Raymond Pauquet, Stadtkyll

 

Bevor ich Auszüge aus einem Gespräch mit Albrecht Klauer-Simonis wiedergebe und Gedanken zum Symposion Weißenseifen äußere, möchte ich einige biographische Daten den Leiter betreffend vorwegschicken: 

Albrecht Klauer-Simonis oder kurz AKS genannt, wurde 1918 als ältestes von drei Kindern in Hilgert/Unterwesterwald geboren. Der Vater war Eisenbahnarbeiter.

- Besuch der keramischen Fachschule Höhr-Grenzhausen

- Arbeit als Bahnunterhaltsarbeiter seit 1928 in der Jugendbewegung »Nerother Wandervogel«

- freiwilliger Arbeitsdienst und Fallschirmjäger

- 1941 nach Lazarettaufenthalt Entlassung aus dem Wehrdienst

- 1943 Studium an der Bayrischen Staatslehranstalt für Lichtbildwesen in München

- seit 1944 Studium an der graphischen Lehr-und Versuchsanstalt in Wien

- 1946 Studium an der Hochschule für bildende Künste in Berlin bei W. Tank

- 1947 Heirat mit der Pianistin und Musikpädagogin Hildegard Kröhl

- 1947 Studium der Malerei in Darmstadt bei Paul Thesing und Hermann Keil

- 1948 Teilnahme an den anthroposophischen Hochschulwochen in Stuttgart, Kontakt mit Irmgard und Günther Mancke

- seit 1948 freiberuflicher Fotograf und Lehrbeauftragter für Zeichnen und Malen an der Fachschule für Keramik in Höhr-Grenzhausen

- 1956 Italienreise

- 1956/58 Atelierstipendium der Landesregierung Rheinland-Pfalz in Koblenz-Asterstein

- 1958 Reise in die Türkei

- 1963 Erwerb des Hauses in Weißenseifen

- 1969 Erwerb des Symposiongeländes

- seit 1981 Lehrbeauftragter für Zeichnen und Plastizieren an der Erziehungswissenschaftlichen Hochschule Rheinland-Pfalz in Koblenz

-1975 erstes Symposion Weißenseifen, das seitdem jährlich stattfindet *

- 1989 Ausstellung »Zeichnungen 1989« in der Galerie am Pi in Weißenseifen

Sämtliche Ausstellungen und Auftragsausführungen aus öffentlicher Hand sind des Umfan-ges wegen nicht aufgeführt. Weißenseifen, eine Siedlung von Waldarbeitern, Landwirten und Künstlern ist kleiner als ein Eifeldorf, liegt zwischen Mürlenbach und Jakobsknopp im Kreis Bitburg/Prüm. Bestehend aus einer Kneipe mit Flaschenbier und Telefonanschluß, einem Heim für autistische Kinder und keiner Kirche, ist Weißenseifen Ort des alljährlich seit 1975 stattfindenden Künstlersymposions. Zu diesem Treffen, an dem Profikünstler und Laien teilnehmen, ist jeder eingeladen, der sich ausbilden will in Bildhauerei, Modellieren, Zeichnen und Malen.

Pauquet:

Wie kam es zu der Ortswahl Eitel und wie entstand das Symposion Weißenseifen?

AKS:

Bei den antroposophischen Hochschulwochen, 1948/49 in Stuttgart habe ich das Ehepaar Mankke kennengelernt, die mich nach Weißenseifen eingeladen haben. Sie waren Schüler der Mataree-Klasse wie E. Heerich und J. Beuys. Herr Mancke wollte in Weißenseifen eine Akademie gründen. Ich habe die Manckes dann öfter besucht, bis ich Anfang April 1963 das Häuschen hier erwerben konnte.

Pauquet:

Wie ist das Symposion entstanden?

AKS:

Das Symposion ist entstanden aus dem Bedürfnis, etwas in Bewegung zu setzen, wo man von vornherein praktisch und theoretisch arbeiten kann. Aus dieser Situation heraus haben wir klein angefangen. Wir sind davon ausgegangen, daß man eine Kunstakademie nicht in der Großstadt in Bewegung setzen, sondern sie nach Möglichkeit, um der Naturverbundenheit mehr zu genügen, auf dem Land installieren sollte. Man kann dort Dinge erfahren, die es in der Großstadt nicht mehr gibt.

Teilnehmer des Symposions Weißenseifen während einer Performance

Pauquet:

Also eine Akademiegründung bewußt im ländlichen Raum?

AKS:

Ganz bewußt im ländlichen Raum so wie die Maler von Paris nach Fontainebleau hinausgingen, um die Naturverbundenheit und das archaische Lebensgefühl zu erneuern, das eng mit dem Naturerlebnis zusammenhängt. Bei mir resultiert diese romantische Erscheinung aus der Jugendbewegung. Ich war 1928/29 in der Bewegung der Nerother und versuchte die Motivation der Jugendlichen in einer anderen Richtung zu erneuern, als das heutzutage in den Fußballarenen geschieht.

Pauquet:

Wann war das erste Symposion?

AKS:

Das erste offizielle Symposion war 1975.

Pauquet:

Hat da auch Herr Mancke teilgenommen?

AKS: Ja.

Pauquet:

Wie sind Sie zufrieden, wenn Sie heute das Symposion zurückblickend betrachten mit der Wahl des Ortes Eitel und wie waren Ihre bisherigen Erfahrungen mit den Fördermaßnahmen der Behörden?

AKS:

Die Fördermaßnahmen durch die Behörden sind mäßig, aber wir sind dankbar für jede Mark. Auf der anderen Seite ist es so, daß wir mit unserer eigenen Hilfe zurechtkommen und aus uns selbst heraus etwas entwickeln, um so unsere Unabhängigkeit zu bewahren. Wir bekommen vom Kultusministerium eine Beihilfe und von der Stadt Prüm DM 600 für jedes Symposion, allerdings ist die gemessen an anderen vergleichbaren Veranstaltungen geringfügig. Es mag aber sein, daß unser Konzept nicht den Vorstellungen und Plänen manch anderer entspricht und wir da etwas quer liegen.

Pauquet:

Wie stehen Sie zu diesen geringen Fördermaßnahmen für eine Einrichtung^ die seit 17 Jahren besteht, sich weitgehend aus eigenen Mitteln trägt und auf die das Land und der Kreis stolz sein können?

AKS:

Wir weden vom Landkreis kaum gefördert. Zu Anfang (1975) haben wir DM 600 bekommen.

Pauquet:

Und dieser Betrag ist in all den Jahren nicht erhöht worden?

AKS:

Im Gegenteil. Der Betrag wurde noch reduziert auf DM 100 und jetzt bekommen wir nichts mehr. Also, die Förderung ist ärmlichst; ärmlichst gemessen an dem, was hier an Anstrengungen unternommen wird. Ich sehe darin aber einen Gradmesser für das Vorhandensein unserer aktuellen Vorstellungen.

Pauquet:

Wieviel Teilnehmer hat das Symposion heute während der vier Veranstaltungswochen?

AKS:

Ungefähr 100 Teilnehmer aus der ganzen Bundesrepublik, den deutschsprachigen Ländern Österreichs, der Schweiz und den Benelux-Staaten. Größtenteils sind es Studenten von Garmisch-Partenkirchen bis nach Flensburg, die sich hier im Sommer aufmöbeln. Der Maler und Bildhauer Titus Lerner hat einmal gesagt, daß er während eines Symposions mehr gelernt habe als in drei Semestern EWH Koblenz.

Pauquet:

Also wird hier doch einiges geleistet!

AKS:

Es kommt uns aber nicht nur auf Leistung an. Es kann auch links von der Ypsilonachse sein. Es muß nicht immer das sein, was ein Leistungsmotiv ist. Es kann ja auch das Ausatmen betreffen, daß man sich Kraft holt für dasjenige, was passieren soll. Wichtig ist, daß man entsprechende Fähigkeiten entwickelt; die sind nicht immer auf der Ebene der Leistung zu finden, sondern auch im Ausruhen und in der Entspannung. Also Entspannung und Spannung, das gehört zusammen ahnlich wie im Zeichenunterricht die Konkave, die Entsprechung zur Konvexen ist oder die gerade Linie zur krummen.

Pauquet:

Die Möglichkeiten des Kunstunterrichts sind in Weißenseifen mit den Jahren erweitert worden, es besteht jetzt auch eine Halle, in der Zeichenunterricht erteilt wird.

AKS:

Ja, das ist ein ganz wichtiger Ort. Man könnte fast sagen der zentrale, geistige Ort an dem sich die Vorstellungen mit dem, was man Gestaltung nennt, überschneiden, wo Theoretisches mit Praktischem verbunden wird. Erst in dem Augenblick, wenn die Spitze des Bleistifts auf dem Papier steht, ist jeder sich selbst überlassen und von dort aus kann er dann operieren und etwas gestalten.

Pauquet:

Was sehen Sie in Zukunft als weitere Entwicklungen und Möglichkeiten des Symposions an?

AKS:

Entwicklungen im Sinne der künstlerischen Innovation gehen nur millimeterweise vor sich; das sind keine sprunghaften, spektakulären Erneuerungshypothesen und -neurosen, sondern nur geringfügige Erweiterungen eines Lebenshorizontes, der sich entwickelt wie der Baum wächst und sich ein Jahresring an den anderen fügt.Pauquet:

Sehen Sie die Einrichtungen des Symposions wie Hallenbau oder Werkstatt als abgeschlossen an?

AKS:

Nein, das kann sich abrunden aber, wie eben gesagt, langsam entwickeln. Da reicht unter Umständen ein Menschenleben nicht aus, denn es müßte sachte vor sich gehen und Bezug zueinander haben. Das Symposion drückt exemplarisch das aus, was anderenorts angestrebt wird. Das Symposion ist ein Modellversuch, der gegebenenfalls eine Maßnahme für menschliche Verhaltensweise sein kann ohne Siegerkomplex und ohne Leistungskomplex, daß ein anderer unterlegen sein muß. Ein Beispiel dafür, daß man ohne diese Dinge auskommen kann. Es sind Ansätze dafür da, die sich in Gesprächen ausleben und die in diese Richtung tendieren. Aber das ist ein komplizierter Vorgang, den man nicht von heute auf morgen erreicht.

Pauquet:

Herr Klauer, Sie leiten das Symposion und betreiben auch weiterhin Ihre eigenen künstlerischen Arbeiten wie Malerei und Bildhauerei. Können Sie etwas sagen zu Ihren Großplastiken aus Buntsandstein, die auf dem Gelände aufgestellt sind?

AKS:

Die Großplastiken sind auf dem Gelände so gruppiert, daß man von Koordinaten sprechen kann. Am Eingang steht »Der Tod des Orpheus,« dann die Gruppe »David und Goliat« vor meinem Wohnhaus und »Das Kreuz«, das 1975 als erste Großplastik entstand, auf der Mitte des Platzes. Dann ist da noch die Dreiergruppe mit dem Ohr, die zu einem Triptychon aufgebaut ist. Sie besteht aus dem Ohr als dem aufnehmenden Organ, dem Glockenstuhl als Mittelteil und dem Plan mit der Flöte. Ja, was soll ich weiter noch dazu sagen. Der Tag müßte 48 Stunden haben, dann käme ich noch ein bißchen weiter. Ich male im Moment weniger, denn das Malen ist ein Vorgang, der sehr viel Ausgleich, Ruhe und auch Hingabe abverlangt und die habe ich im Augenblick nicht. Also, ich zeichne ununterbrochen.

Albrecht Klauer-Simonis während einer Arbeitspause

Pauquet:

Parallel dazu haben Sie ja auch ein umfangreiches Buch herausgegeben, eine Autobiographie in Bildern. Das Buch kann als eine Dokumentation Ihres gesamten Werkes angesehen werden. Wie kam es dazu?

AKS:

Ich wollte einmal meine Arbeiten zusammenfassen und sehen, wie sich mein Werk über die Jahre hinweg zueinander verhält. Aus jedem Jahr sind von 500 Zeichnungen, die jährlich in etwa entstanden, zwei ausgewählt worden. Den Mittelpunkt des Buches bilden diese Zeichnungen, dann folgen Aquarelle und Malereien -keramische Malerei und Ölmalerei - dann die Plastik.Pauquet:

Wann ist das Buch entstanden?

ÄKS:

Das Buch wurde 1989 herausgegeben. Geplant ist jetzt ein Buch über das Symposion Weißenseifen. Eine Dokumentation mit gravierenden und einleuchtenden Bildbeispielen sowie den Einladungstexten, die jeweils zum Vorangegangenen Stellung nehmen und zu dem, was in Zukunft ansteht.

Pauquet:

Welche besonderen Veranstaltungen sind für das diesjährige Symposion geplant?

AKS:

Am 13. Juli zu Beginn des diesjährigen Symposions steht ein Eröffnung^konzert, ein Klavierkonzert von einem Argentinier, auf dem Programm. Anmeldungen für weitere Veranstaltungen liegen noch nicht vor, aber das ergibt sich noch wie in all den Jahren. Größtenteils wird aus der Situation heraus improvisiert.

Pauquet:

Am 31. März 1991 wurde wieder eine Ausstellung in der »Galerie am Pi« eröffnet. Dieses Mal von dem Maler Wolfgang Herbst aus Düsseldorf. Die wievielte Ausstellung in der »Galerie am Pi« ist das?

AKS:

Den Anfang habe ich gemacht mit Zeichnungen aus dem 89er Jahr. Seit zwei Jahren findet regelmäßig eine Weihnachtsausstellung jeweils am 1. Adventssonntag statt.

Außerdem hat Dietrich Klein zwei Ausstellungen, die aber mehr für Freunde und nicht offiziell waren, durchgeführt. Die Ausstellung von Wolfgang Herbst ist also jetzt die sechste.

In vielen Städten der Bundesrepublik haben verantwortliche Politiker längst das Bedürfnis der Menschen nach kulturellen Veranstaltungen erkannt und dem Rechnung getragen. Dies geschieht mit der Schaffung von Kulturzentren, in denen sich Möglichkeiten für Künstler bieten, ihren Interessen nachzugehen. Ausstellungsräume und Museen werden eingerichtet, Förderpreise und Aufträge vergeben, kurz, die Städte investieren in die Schaffung eines Forums für lebende Künstler. Durch eine lebendige Kulturszene hat so manche Stadt sich ein erneuertes und aktuelles Image zugelegt wie Düsseldorf, Köln und Bonn um nur einige Beispiele zu nennen. In Zugzwang gesetzt sind dadurch andere Städte und Gemeinden. Die Forderung ist daher berechtigt, daß auch im ländlichen Raum seitens der Kommunen, Kreise und des Landes mehr geschehen muß als bisher. Kunst-und Kulturförderung dürfen nicht allein den Banken und privaten Mäzenen überlassen bleiben. Das Symposion Weißenseifen ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie sehr eine kulturelle Einrichtung auf dem Land vernachlässigt werden kann. Ganze DM 3 600 beträgt die jährliche Förderung seitens der offiziellen Stellen.

Sollte das Symposion Weißenseifen, das seit 17 Jahren überlebt hat, der Gemeinde, dem Kreis und dem Land nicht mehr wert sein? Es kann nicht allein ihre Aufgabe sein, tote Künstler und dadurch sich selbst mit Gedächtnisausstellungen zu ehren. Lebende Künstler haben mehr Anerkennung und finanzielle Unterstützung verdient, als man ihnen heute gewährt.