Lehrer August Schlömer -

Laudatio auf ein Kind der Eifel

P. Dr. Herbert Schneider OFM, Remagen

 

Auf dem Friedhof in Dockweiler steht ein markanter Grabstein - auch Lehrer August Schlömer hat hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Mit ihm ging eine bemerkenswerte Epoche Eife-ler Schulwesens zu Ende. Geboren am 11. Oktober 1895 zu Dockweiler kannte August Schlömer Leben und Bedürfnisse derMenschen seiner Heimat. Für die Bewältigung des Lebens in dieser Umwelt wollte er sich ertüchtigen. Als er am 21. September 1956 verstarb, war ein Mann aus dem Dorf geschieden, der einen wesentlichen Beitrag zu Kultur und Leben des Dorfes leistete.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er am 1. Januar 1947 die Lehrerstelle Inder einklassigen Volksschule seines Heimatortes.

Lehrer Schlömer, groß und würdevoll von Gestalt, verstand es, eine einklassige Volksschule von 60 - 80 Kindern zu beschäftigen und zu unterrichten, eine wahre Kunst, wenn man an die heutigen Verhältnisse erinnert. Sie bestand darin, daß er souverän Lehrmethoden beherrschte und zugleich mit seiner Autorität alle Kinder in seriöse Arbeit einband. Während die Klasse 5 ein Diktat erhielt, beschäftigte er die Klasse 6 mit Rechenaufgaben, die Klasse 7 mußte einen Aufsatz schreiben; ebenso die Klasse 8. Andere Schüler hatten die ihnen entsprechenden Aufgaben zu erfüllen. Verwunderlich war, daß in der ganzen Schulklasse Ruhe und Konzentration herrschten, während der Lehrer mit gedämpfter, aber doch klarer Stimme sprach.

Nicht minder erstaunlich war, daß durchweg alle gut lesen und schreiben, gut rechnen und zählen lernten. Die Schülerinnen und Schüler wurden befähigt, Fleiß vorausgesetzt, einen Beruf zu erlernen und die Berufsschule zu bestehen, ebenso eine weiterführende Schule zu besuchen und das Abitur zu machen.

Nur eine einzige Person erschien zusätzlich zum Lehrer Schlömer. Es war der Pastor des Ortes; in dieser Zeit Pfarrer Karl Calsing. Er gab den Religionsunterricht für alle Klassen.

Beeindruckend an Pfarrer Calsings Unterricht war, daß nicht nur Bibel und Katechismus gelernt, sondern auch Lebensfragen der vor allem älteren Schülerinnen und Schüler behandelt wurden. Pfarrer Calsing gab dann auch von seiner eigenen Einstellung Zeugnis.

Auf dem Schulhof gingen in den Pausen diese beiden Autoritäten des Dorfes auf und ab und besprachen die Situation des Ortes, der Erziehung der einzelnen Kinder. Lehrer Schlömer verstand es auch, Abwechslung in den Schulalltag zu bringen.

So konnte er mit den Kindern auch spaßen, und wenn sie gut gearbeitet hatten, zur Belohnung spannende Geschichten vorlesen oder vorlesen lassen. Er selbst hatte eine ausgezeichnete Begabung zum Vorlesen.

Lehrersein war ihm eine volksbildnerische Aufgabe über den Schulraum hinaus. Mit den älteren Klassen konnte er im Sommer auch in der letzten Stunde, wenn er die anderen Kinder nach Hause geschickt hatte, oder auch nachmittags, in die Wiesen und Felder gehen und auch in die Gärten. Die Schüler sollten das Pfropfen der Bäume erlernen, dabei nicht nur die Veredlung des Baumes, sondern überhaupt menschliches Wirken als Veredlung begreifen. War das Ende der Schulzeit gekommen, animierte er die Jungen und Mädchen, im Garten einen Baum zu pflanzen, nicht nur zur Erinnerung, sondern als Beitrag zur Aufforstung und Kultivierung der Eifel.

Doch er sah zugleich die wirtschaftliche Seite. Daher pflanzte er den Obstbaum »Jakob Lebel« in Dockweiler ein. Dieser Baum vergrößert als Pollenträgerdie Fruchtbarkeit der anderen Bäume.

Die Leute zogen ihn gern zu Rate, wenn es um Bereitung einer Baumanlage ging. So besorgte er zum Beispiel der Familie Peter Gaspers Bäume für die Bepflanzung des »Borrenpeschs«. Für die Musik im Ort war er in besonderer Weise wirksam. Als Chorleiter veranstaltete er Konzerte in Dockweiler, Dreis und Betteldorf.

Bekannt waren seine Weihnachtsliederabende, aber auch in der Karwoche die Lamentationen des Propheten Jeremias, gesungen vom Männerchor. Um sie zu hören, kamen die Leute von weit her.

Er war ein durch und durch musischer Mensch. Beim Spaziergang sang er gern in der Stille hinter der Gemarkung »Schwammen« ein Lied wie »Das ist der Tag des Herrn«.

Auch Ausflüge mit den Schülern waren möglich. Anfang der 50er Jahre fuhr er mit den älteren Klassen zum Museum der Stadt Wittlich. Die Führung war so gestaltet, daß ein Zugang zur abendländischen Kultur eröffnet wurde, wenn er etwa das Wort »Antike« erklärte und den Schülern die eigene Heimat in ihren frühesten Wurzeln zugänglich und verständlich machte Manchen Mitbürgern von Dockweiler stand er mit Rat und Tat zur Seite. Wenn er um sein eigenes Haus herum arbeitete oder durch das Dorf ging; stets vermittelte er den Eindruck eines freundlichen, die Lebensnöte und Lebenserwartungen der Menschen tragenden Lehrers.

Schlömer studierte am Königlichen Lehrerseminar Prüm von 1913 - 1915. Im Jahre 1915 wurde er Lehrer in Steinborn und Waldkönigen. Am Heeresdienst beteiligte er sich 1916 als Musketier, doch schied er im gleichen Jahr wegen Krankheit aus, wurde wieder Lehrer in Steinborn bis 1930. Am 1. Januar 1931 begann er in Mehren als Hauptlehrer und blieb dort tätig bis zum 1. 10. 1945, unterbrochen 1940 durch Heeresdienst für ein Jahr.

Von dort wurde er nach Gerolstein versetzt. Unter seiner Leitung als Hauptlehrer begann am 8.11.1945 der Aufbau des Schulwesens in Gerolstein, zuerst im Hotel zur Linde, später im Ratskeller.

Doch August Schlömer konnte als Hauptlehrer nicht tätig bleiben. Da er - um sein Wirken zu sichern - widerstrebend Mitglied der NSDAP geworden war, was damals für die Lehrer fast unausweichlich zu geschehen hatte, wurde er nach dem Kriege als Hauptlehrer entlassen und als Lehrer nach Betteldorf versetzt.

Aus Dokumenten ist erwiesen, daß August Schlömer. keine öffentlichen Reden in der Zeit seiner Parteizugehörigkeit hielt. Man griff auf ihn seitens der Partei auch nie zurück, weil er politisch offenbar nicht hoch genug eingeschätzt wurde. Seinerseits riet er Eltern ab, ihre Kinder in die Schule nach Daun, die er als Parteischule bezeichnete, zu schicken. Weil er aber die Zuneigung der Bevölkerung und insbesondere der Eltern der Kinder genoß, ging man nicht gegen ihn vor. Auch als die Kreuze in den Schulen entfernt werden sollten, ließ er sie in seiner Schule hängen.

Am 1. Januar 1947 konnte Lehrer Schlömer mit dem Unterricht in Dockweiler noch beginnen. Doch durch Verfügung des Regierungspräsidenten wurde ihm am 24. Februar 1947 mitgeteilt, daß er zum Volksschuldienst nicht mehr zugelassen sei. Gegen diesen Bescheid legte er sofort Widerspruch ein. Am 28. Februar 1947 gab er die letzte Unterrichtsstunde, doch er kämpfte um Rehabilitierung. Es ging ihm nicht darum, wieder Hauptlehrer zu werden; er wollte Lehrer sein aus Liebe zum Beruf und zu den Kindern.

Er kämpfte gegen die Verfügung an, weil er sie als Fehlurteil ansah. Gleichzeitig verwandten sich für ihn der Ortsbürgermeister von Mehren, der Mehrener Pfarrer Nikolaus Loyo und der Dockweiler Pfarrer Karl Calsing. Die Eltern der Kinder von Dockweiler richten ein eigenes Schreiben an die Behörden. In diesem Brief bestätigen sie, daß er gegen den Geist des Nationalsozialismus eingestellt war. Die Eltern erbitten ihn als Lehrer nach Dockweiler zurück. Am 11. Dezember 1948 erhielt er den offiziellen Säuberungsbescheid, nachdem er bereits wieder Unterricht gegeben hatte. In der Zwischenzeit war er durch Beschluß des Arbeitsamtes Daun zu Straßenbauarbeiten verpflichtet worden, auch teilweise als Holzhauer.

Lehrer Schlömer hat an dieser Behandlung durch Behörden sehr gelitten, weil offenkundig nicht das bildende Wirken seiner Person und seine innere Treue und Verteidigung der Menschenwürde erkannt wurde.

An seinem Grab hielt Schulrat Legrand eine Dankesrede. Pfarrer Calsing würdigte das pädagogische Wirken als »bleibendes Beispiel männlicher Tugenden«.

Überliefert ist ein Lied, das er besonders gerne sang:

So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt; wo du wirst geh'n und stehen, da nimm mich mit. An seinem Grabe sang der Kirchenchor von Dockweiler:

1. Wo findet die Seele die Heimat, die Ruh! Wer deckt sie mit schützenden Fittichen zu?

Ach bietet die Welt keine Freistatt uns an, wo Sünde nicht kommen, noch anfechten kann? Nein, nein nein, nein, hier ist sie nicht; die Heimat der Seele ist droben im Licht.

2. Verlasse die Erde, die Heimat, zu seh'n, die Heimat der Seele, so herrlich so schön! Jerusalem, droben, von Golde gebaut, ist dieses die Heimat der Seele, der Braut? Ja, ja, ja, ja, dieses allein kann Ruhplatz und Heimat der Seele nur sein.

3. Maria, du Jungfrau und Mutter zugleich, o nimm unsre Seelen ins himmlische Reich.

Und führ sie zum Lamme, zum goldenen Thron, um dort zu empfangen den himmlischen Lohn. Heimwärts, heimwärts, heim möcht ich ziehn; die Liebe zu Jesus, sie zieht mich dorthin.