Eine kleine Bettgeschichte

Über die »Innereien« der Schlafstätte der Eifler in früherer Zeit

Theo Pauly, Gerolstein

 

Wer liebt es nicht, sein Bett! Es dient dem rechtschaffen Müden zur Erholung, dem Kranken zur Gesundung und noch zu manch anderen Zwecken. Vom Bärenfell, auf dem angeblich die alten Germanen lagen und immer noch eins tranken, bis zum Himmelbett des Mittelalters hatte die Liegestätte des Menschen schon eine gewaltige Wandlung vollzogen. Heute schlafen wir auf gesundheitsfördernden, hygiene- und körpergerechten teuren Matratzen, mancher gar im »Französischen« oder im Wasserbett, und alle unter teuren Bettlaken und daunengefüllten Decken. Für unser Bett ist uns nichts zu schade. Und so mancher stöhnt, muß er am Morgen seine Bettstatt verlassen; sei es, daß er noch länger darin verweilen möchte, sei es, daß ihm nach langem Liegen die Knochen schmerzen und er überlegt, ob er nicht doch bald neue, gesündere Matratzen anzuschaffen gezwungen sei. Ohne Bett jedoch ist der Mensch kein Mensch.

Als Kind durfte ich in einem Bett schlafen, das allen modernen Erkenntnissen hinsichtlich Hygiene, Körperform, Gesundheitsförderung und was es alles noch so gibt, gerecht wurde. Es war nicht zu hart und nicht zu weich, paßte sich der Körperform an und regulierte hervorragend Körpertemperatur und -ausdünstung. Es verlockte des Morgens zu längerem Liegenbleiben und erwartete am Abend den- Schläfer, der sich behaglich hineinkuscheln konnte. Ich war der einzige in der Familie, der sich bis zuletzt sträubte, dieses Goldstück aufzugeben zugunsten eines Bettes mit Sprungrahmen und Kapok-Matratze. Doch schließlich mußte auch ich der Moderne Tribut zollen, es sei denn, ich hätte die Mühe des Herrichtens meines Schlafgefährten, meines »Stroh«- Bettes, allein auf mich nehmen wollen. Doch die Technik machte auch vor meinen Wünschen nicht halt!

Mein Bett war bis in die fünfziger Jahre eines, wie es unsere Vorfahren seit Jahrhundertenbenutzt hatten, zwar schon ein vom Möbelschreiner hergestelltes Bettgestell, doch die» Innereien« noch so, wie sie zu Urgroßväter zeiten gewesen waren. Es besaß keinen gefederten Sprungrahmen, oder wie mein jetziges, einen Lattenrost; als untere Befestigung dienten zu-rechtgeschnittene Bretter. Darauf lag der »Strühsack«. Der Strohsack war aus selbstgewebtem Leinen, das wiederum aus selbstgesponnenem Flachs gefertigt war, zusammengenäht. Er war gefüllt mit Roggenstroh. Heute wird der Roggen wie alles Getreide vom Mähdrescher geerntet, das Stroh in Ballen oder Rollen zusammengepreßt. Solches Stroh würde sich für die Füllung in keiner Weise eignen. Nicht einmal das im »Breitdrescher« gedroschene Kornstroh konnte man hiefür gebrauchen. Der Roggen, dessen Stroh für diesen Zweck verwandt werden sollte, mußte mit dem Flegel gedroschen werden, damit die Halme nicht verletzt wurden und ihre gewachsene Form und Stabilität behielten. Es durfte sich natürlich auch kein Unkraut, Disteln etwa, in der Korngarbe befinden; es mußte reinste Ware sein. Nach dem Drusch mit dem Flegel wurden die nun leeren Ähren abgeschnitten, das Stroh säuberlich aufgestapelt und ebenso säuberlich der Länge nach schichtweise in den aufgetrennten leinenen »Strohsack« gelegt, bis dieser prall, aber locker, gefüllt war. Nun wurde der Sack wieder zugenäht und in das Bett hineingelegt. Meist füllte er das Bettgestell völlig aus und ragte gar über dessen Seitenteile hinaus. Eine elastische, nicht zu weiche, aber auch nicht zu harte Unterlage war geschaffen, der jeder, noch so gut gefederte Sprungrahmen Hohn sprach. Auf den Strohsack folgte ein weiterer Sack, der »Koawsack«. »Koaw« nennt man in der Struth die Spreu des Getreides. So gibt es »Kurkoaw« (Kornspreu), »Weeßekoaw« (Weizenspreu), »Hoawwakoaw« (Haferspreu) und »Jääschtekoaw« (Gerstenstreu). Der »Koawsack« war mit Haferspreu gefüllt, die gewonnen wurde, indem die Spreu durch ein besonderes Sieb gegeben wurde. Es kam nur die feinste Spreu zur Anwedung, sie mußte völlig frei sein von Strohrückständen oder Unkrautspreu. So wurden sowohl die Korn- als auch die Hafergarben, deren Stroh oder Spreu für die Bettfüllungen vorgesehen waren, schon bei der Getreideernte besonders aussortiert. Der »Koawsack« war nun nicht mehr aus selbstgewebtem Leinen gefertigt, sondern schon aus Inlett, um weder Spreuspitzen noch Staub nach außen dringen zu lassen. Ebenso war auch das Kopfkissen mit Haferspreu gefüllt. Lag nun der »Koawsack« auf dem »Strühsack«, sah das Bett bereits dem aus dem Märchen von der Prinzessin auf der Etbse ähnlich. Der »Koawsack« ragte über das Fußteil des Bettgestells hinaus und schloß schon fast mit dem Kopfteil ab. Über den »Koawsack« wurde das Leintuch gespannt, ebenfalls aus selbstgesponnenem Flachs und eigenhändig gewebt, als Bettdekken wurden wiederum ein Leintuch und darüber entweder eine Steppdecke oder ein Plumeau oder beides verwandt. Das Plumeau war vermutlich früher ebenfalls ein mit Haferspreu gefülltes Deckbett, zu meiner Zeit wurde es mit Federn gefüllt. Allerdings waren es keine Daunenfedern, nur Hühnerfedern, und jedesmal, wenn ein Huhn geschlachtet wurde - was im Laufe eines Jahres häufiger geschah - wanderte ein Teil der weichen Federn beim Rupfen in den »Federsack«.

In so einem Bett lag und schlief es sich vorzüglich. Man wühlte sich eine warme Kuhle, in den »Koawsack«, die Haferspreu gestattete eine körpergerechte Gestaltung und so lag man warm, doch nicht zu warm, weil die Spreu die Körperwärme und -ausdünstung aufsog und gleichmäßig verteilte; man fühlte sich geborgen wie in Abrahams Schoß. Selbst wenn jemand bei einer fiebrigen Krankheit über alle Maßen schwitzte, da waren Spreu und Stroh in der Lage, die überhöhte Flüssigkeit in für den Kranken angenehmer Weise zu kanalisieren. Als Junge von etwa acht Jahren war ich einmal schwer erkrankt. Später erzählte man mir, ich habe auf Leben und Tod dagelegen. Was für eine Krankheit das war, weiß ich bis heute nicht, man hätte sie heute sicherlich mit modernen Medikamenten schnell in den Griff bekommen. Jedenfalls hatte der Arzt mir damals strenge Bettruhe und eine noch strengere Schwitzkur verordnet. Ich sollte mindestens zwei Stunden reglos liegen und schwitzen. Wer aber soll einen Achtjährigen, der vor lauter Unbehagen unter den vielen Decken und Federbetten herumzuzappeln versucht, den es hier zwickt und dort zwackt, dazu bringen, bewegungslos zwei Stunden auszuharren, während Bäche von Schweiß über ihn und an ihm herunterrinnen?

Meine Mutter konnte es jedenfalls nicht, auch nicht der Vater, vor dem ich in diesen Dingen schon wesentlich mehr Respekt hatte. Man wird die Sorge der Eltern verstehen und auch ihre Verzweiflung, den schwerkranken Jungen, dem nach der Diagnose des Arztes nur noch diese Schwitzkur half, nicht ruhig halten zu können. Da trat, für mich wie ein deus ex machina, ein fremder Soldat, der mit anderen zu dieser Zeit in unserem Haus einquartiert war, in Aktion. In seiner Uniform stand er plötzlich an meinem Bett, herrschte mich mit bärbeißiger Miene barsch an, nur ja keinen Muckser mehr zu tun, anderenfalls ich etwas Unvorstellbares erleben könnte; er werde an meinem Bett sitzen bleiben und aufpassen, und wehe, ich würde auch nur einen Finger oder einen Zeh rühren! Dann zog er sich einen Stuhl ans Bett heran, das Seitengewehr, das er eigens für diese Aktion mitgebracht hatte, aus der Scheide und legte dieses so auf das oberste Plumeau, daß die Spitze des Mordinstrumentes geradewegs auf meine Nasenspitze zeigte. Da fuhr mir der Schreck doch gewaltig in die Glieder, und trotz Fieberschauer wagte ich nicht, auch nur den dicken Zeh zu bewegen, obwohl dieser unter der Last des vielen aufeinandergestapelten Bettzeugs unmöglich zu sehen war. Stetig aber drohte die blanke Metallspitze des Seitengewehres vor meinen Augen, nahm immer größere und groteskere Gestalt an und war geeignet, die fiebrigen Gedanken dermaßen zu beeinflussen, daß die Angst, bei der geringsten Bewegung würde dies mörderische Gerät mir den Todesstoß versetzen, immer größer wurde. Ich wagte nicht einmal, die Augen zu bewegen, um zu sehen, ob mein Zerberus noch anwesend sei. Jedenfalls war durch diese Gewaltprozedur die Heilung der Krankheit eingeleitet. Ich wurde in ein anderes Bett verlegt, der »Koawsack« und sogar der Strohsack, die beide stark durchnäßt waren, nach draußen an die frische Luft gebracht, wo sie trocknen und durchlüften könnten, und nachdem sie anderentags wieder gut aufgeschüttelt meine eigene Liegestatt gebrauchsfähig machten, fühlte ich mich darin wohl wie eh und je. Ich bin mir nicht sicher, ob synthetisches Bettmaterial den gleichen gesundheitsfördernden und das Wohlbefinden steigernden Effekt gehabt hätte.

Strohsack und »Koawsack« mußten jedoch jährlich neu bestückt werden, da nach überdreihundertmaligem nächtlichem Gebrauch der Inhalt dieser beiden Säcke doch einigermaßen lädiert war. So wurden im nächsten Erntemond wieder die entsprechenden Korn- und Hafergarben aussortiert und auf der Tenne mit dem Flegel gedroschen. Für ein warmes und gemütliches Nachtlager den Winter über war vorgesorgt.

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