Blick über die Kreisgrenze

Die Räuber auf der Genovevaburg

Von den Burgfestspielen in Mayen

Franz Josef Ferber, Daun

 

Hoch droben, auf einem Felsmassiv, steht sie, die romantische, stadtbildprägende, mittelalterliche Burg, vielen von uns seit langem bekannt, nicht wenigen seit Kindheitstagen vertraut. Erzbischof Heinrich von Finstingen hat sie einst als Schutzburg erbauen lassen. Gewiß, Schutz bot sie in all den Jahren, dennoch, vor Räubern ist sie nie ganz sicher gewesen. Am schlimmsten war es vor dreihundert Jahren. Damals brannten französische Soldaten Stadt und Burg ab. In unserer Zeit machten sich nun wieder Räuber auf der Mayener Burg zu schaffen. Doch sie konnten ihr nichts anhaben, wollten es auch nicht, genauso wenig wie die Vagabunden und der Teufel, die sich ebenfalls dort oben einfanden. Sie alle waren diesmal in guter Absicht gekommen; die Schillereschen Räuber, Nestroy's Vagabunden und der Mephisto aus Goethe's Faust, die ein großes Theaterpublikum begeisterten. Die Rede ist von den Burgfestspielen. »Die Genovevaburg ist wie geschaffen für Burgfestspiele«. Das sagte der Spielleiter des Festspielensembles. In der Tat, der Burghof ist eine Theaterkulisse, wie man sie sich geeigneter kaum vorstellen kann. Eigentlich wurde schon früh auf der Burg Theater gespielt; alte Postkarten zeugen von reger Theaterarbeit, und damit wurde es vor fünf Jahren, 1986, so richtig ernst. Damals wurden vor allem die politisch Verantwortlichen rege, einer besonders: Albert Nell, der frühere Mayener Oberbürgermeister und heutige Dauner Landrat. Ihn nannte Dr. Georg Gölter »die treibende Kraft der Burgfestspiele«. Was daraus geworden ist, kann hier an Hand einiger Beispiele nur lückenhaft erklärt werden. Zuallererst ließen die Mayener das Ensemble der Schloßfestspiele Ettlingen gastieren. In der Spielzeit 1986 standen drei Stücke auf dem Programm: »Tartuffe«, eine der Meisterkomödien Molieres (in ihr spielte übrigens auch Walter Ullrich, der im Kreis Daun von seinen früheren Gastspielen noch in guter Erinnerung ist), »Amadeus« von Peter Shaffer - es geht um Intrigen, um die Mißgunst Salieris, des Zeitgenossen Mozarts, dem Musikgenie gegenüber -und »Das tapfere Schneiderlein«, ein Märchenspiel nach den Gebrüdern Grimm.

Ein Jahr danach, im Sommer 1987, kamen »Die Räuber« auf die Burg, Schillers Jugendwerk, gespielt von der Landesbühne Rheinland-Pfalz; für Kinder führte sie den »Gestiefelten Kater« auf. Zum Schluß der Spielsaison gastierte mit Nestroys »Lumpazivagabundus« das Ensemble der Freilichtbühne Schwäbisch Hall, das seit Jahren auch das Festival im luxemburgischen Wiltz mitgestaltet und daher den Theaterfreunden der Trierer Region nicht unbekannt ist. Die Mayener, sie wollten mehr; ein eigenes Ensemble. Und sie bekamen es. Schon im Jahr 1988 war es so weit. Die Festspiele Mayen, so hieß es, sollten »in die erste Klasse der anderen großen deutschen Freilichttheater aufsteigen«. Wegen des plötzlichen Todes von Rudolf Krieg, des bewährten Intendanten, mußte die Stadt sich einen neuen Theaterchef suchen. Zum Glück gelang dies in kurzer Zeit. Im März 1988 konnte der Oberbürgermeister den Intendanten Hans-Joachim Heyse, einen ausgezeichneten, erfahrenen Theaterfachmann, vorstellen, der bis dahin ungefähr einhundertfünfzig Inszenierungen klassischer und moderner Werke an fast allen führenden deutschen Bühnen vorzuweisen hatte. Er versprach, die erfolgreiche Arbeit in der Kontinuität seines Vorgängers fortzusetzen, und er hielt Wort. Im ersten Jahr der neuen Ära präsentierte er ein gemischtes, aber dennoch anspruchsvolles Programm: »Kabale und Liebe« (Schiller), »Das Glas Wasser« (Eugene Scribe), »Eine kleine Zauberflöte« (Mozart), »Othello« (Verdi) und »Don Gil von den grünen Hosen« (nach de Molina), die beiden letztgenannten Stücke als Gastspiele des Schloßfestspielensembles Ettlingen, dem von nun an keineswegs die Stühle vor die Tür gestellt wurden, das nach wie vor willkommene Partnerin war.

Szene aus »Genoveva«, Märchen von H. J. Heyse. Heinrich Schafmeisterais Pfalzgraf Siegfried und Hendrieke Heyse als Genoveva

 

In den folgenden Jahren blieb der Spielplan kontinuierlich. Beispielhaft zu nennen sind: 1989 »Urfaust« (Goethe) und im Jubiläumsjahr 1991 (700 Jahre Stadtrechte Mayen) »Jeanne oder Die Lerche« (Anouilh), »Der Unbestechliche« (Hoffmannsthal), »Genoveva« (von HJ. Heyse für das Jubiläumsjahr geschriebenes Kinderstück), »Die Dreigroschenoper« (Brecht), »Hamlet« (Shakespeare), die zwei letztgenannten Stücke wiederum Gastspiele der Ettlinger.

Für die Spielzeit 1992 werden unsere Mayener Nachbarn wieder mit unterhaltsamen und niveauvollen Theaterstücken aufwarten: »Die lustigen Weiber von Windsor« (Shakespeare), »Der Tod eines Handlungsreisenden« (Arthur Miller) und »Die kleine Hexe« (Märchenspiel von Otfried Preußler).

Das hätte der Territorialherrscher und Erbauer sich bestimmt nicht träumen lassen, daß auf seiner Burg sich einmal Spielleute, freie Bürgerinnen und Bürger zum eigenen Vergnügen tummeln würden. Ja, heute steht die Burgfeste ganz im Zeichen des Dienstes am Bürger. Sie bietet Kultur in vielfältiger Form dar; das Eifeler Landschaftsmuseum, die ständige Präsentation der Stadtgeschichte, die Bibliothek des Eifelvereins und Wechselausstellungen mit einem breiten kulturellen Themenspektrum. Und nun rundet das Theater diese Formenvielfalt ab, wahrhaftig, eine Kulturstätte par excellence. Was das Freilichttheater angeht: » Die Burgfestspiele sind ab 1988 das einzige provinzielle Freilichttheater in Rheinland-Pfalz, das mit diesem Schritt gegenüber anderen, meist südlicher gelegenen Bundesländern aufholt und künstlerisches Neuland betritt«, so ließ die Stadt Mayen im Jahre 1987 verlauten. »Provinziell« darf dabei nicht abwertend verstanden werden; gemeint ist der ländliche Raum, in dem wir daheim sind.

Szene aus »Jeanne oder die Lerche« von Jean Anouilh. Hans-Joachim Heyse als Richter Cauchon und Ulrike Folkerts als Jeanne d'Arc

Fotos: Stadtverwaltung Mayen

Die Mayener dürfen getrost stolz sein auf das, was sie geschaffen haben. Ihr Experiment ist geglückt. Die Stadtverwaltung hat richtig erkannt, daß man in der Kulturarbeit, wie in anderen Lebensbereichen, nicht den Fehler machen darf, sich auf andere zu verlassen, sondern selbst kräftig zupacken muß. Das hat sie getan. Sicher, die Stadt hat viele zuverlässige Partner gefunden, so das Land Rheinland-Pfalz, den Landkreis Mayen-Koblenz, die Kreissparkasse Mayen, die »Freunde der Burgfestspiele Mayen e.V.«; das ist gut so.

Hans-Joachim Heyse, der Chef des Ensembles, stellte bei einem Treffen der Laientheaterspieler im Kreishaus in Daun fest: »Theater muß für das Publikum gemacht werden«. Er, der hochrangige Theatermann, weiß, wovon er spricht. Und er sagt es nicht nur, er handelt auch nach dieser Einsicht. Die hohen Zuschauerzahlen (1988 zum Beispiel mehr als 23 000) beweisen sehr eindrucksvoll seine These. Überhaupt scheint auch sonst alles zu stimmen, zum Beispiel das kaum zu überbietende Ambiente der Spielstätte, die Auswahl der Spielleute - sie garantieren ein hohes künstlerisches Niveau -, vielfach sogar das Wetter und - hoffentlich -auch die Kasse.

Diese großartige, einmalige und nicht nur für die Mayener gemachte Kulturinitiative verdient hohen Respekt. Doch nicht nur das, sie verpflichtet uns zum Dank. Ihn auszudrücken, wollen wir, die Bewohner der benachbarten Region, uns durch regen Besuch der Theaterspiele bemühen. Schließlich und letztlich sei an die Erkenntnis erinnert, daß politische Grenzen keine Kulturgrenzen sein dürfen.