Blaue Blume im Feld -

Erinnerungen an die Centaurea Cyanus

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

So viele Jahre hatte ich sie vermißt, sie war von unseren Feldrändern verschwunden, die Kornblume, Freund meiner Kindertage und Bestandteil jedes Sommerstraußes, den die Eltern von Spaziergängen durch die Felder mit heimbrachten. Kornblume und wilde Margerite pflückten wir zuerst, das gab einen prächtigen rustikalen Blumenstrauß. Dazu ein paar Ähren und ganz zuletzt - weil sie so empfindlich waren und schnell welkten - Mohnblumen. Solch ein Gebinde stand für den Sommer, es war der Inbegriff des Blühens, Reifens.

Und dann kam das Aus für die roten und blauen Blumen.

Geschmäht als Schmarotzer mußten sie buchstäblich »das Feld räumen« - man wurde der Plage mit chemischen Mitteln Herr. Jetzt sind unsere Feldergleichmäßig, gleichförmig, ertragreich und kein einziger Farbtupfer lockt ein Kind an den Rand - nichts wird zertreten, keine Ähre; nun zahlen wir für die Lagerung der Fülle, des Überflusses und unser Alltag ist ärmer geworden.

Meine Enkel kennen keine Kornblumen mehr. Höchstens die Züchtungen aus der Gärtnerei, die dann im Hausgarten anzusehen sind - mit der Kornblume meiner Kindertage haben sie nichts zu tun.

Dann ein Sonntag im August, wir gingen zwischen den Feldern in der Steffelner Flur spazieren. Auf einmal leuchtet sie auf, am Rande eines Haferfeldes, die kleine blaue Blume aus der Kinderzeit. Ein paar Blüten nur, aber wunderschön gemasert, herrlich die Farbe, fein gezahnt die Blütenblättchen, flockig, in der Mitte der dunklere Kern mit den Staubgefäßen. Im Orient und den Mittelmeerländern ist die Kornblume zu Hause. Dort blüht sie in ungefähr 500 Variationen, die bei uns verbreitete Art ist die Centaurea Cyanus, sie wird auch Hungerblume oder Kreuzblume genannt, Ziegenbein oder Tremse; nach Brockhaus ein »Ackerunkraut mit azurblauen Blüten«.

Und was sagt die Geschichte zur Blauen Blume der Felder? Mit Kornblumenkränzen schmückte man im alten Ägypten die Mumien. Häufig wurde die Kornblume auch zu Stabsträußen verwendet, in der Antike galt sie als Fieberheilmittel. Außerordentlich beliebt war die Blaue im Mittelalter - als Marienblume kann man sie auf Wandbildern sehen, auf Miniaturen in Gebetbüchern wurde sie dargestellt. Sie hat eine Menge Verwandte in ganz Europa, Westafrika und Nordasien. Da wechselt sie als Flockenblume allerdings Farbe und Wuchshöhe - mit der Kornblume im Feldstrauß hat sie nichts mehr gemein und um sie ging's ja.

Bei steigender Menge Getreides, bei fortschreitender Verarmung unsers Lebensalltags frage ich mich, ob man nicht den kleinen, lieben Dingen am Wegrand wieder Platz machen sollte? Das Argument ... das sieht ja doch keiner... zieht bei mir nicht; Sehen kann man lernen, auch die Freude an bescheidenen Dingen. Das wäre eine große Aufgabe und für's Empfinden unserer Kinder und Enkel eigentlich »lebenswichtig«.

Was bedeutet denn aller Reichtum, die Fülle technischer Mittel und Hilfen, das ganze große Angebot auf allen Märkten, wenn wir nicht in der Seele Platz haben für den »Augenblick«, das Blühen und Vergehen in den Jahreszeiten - für eine blaue Blume?

Reichtum ist nicht nur äußerlicher Besitz, das geht viel tiefer, rührt an Gefühl, Empfinden. Wenn wir das nicht weitergeben, wird die Erde ein toter Planet und wir seine seelenlosen Bewohner.