1816 - das Jahr ohne Sommer

Hans Kugel, Daun

 

Alle Jahre die gleichen Klagen, wann kommt endlich der Sommer. Die Menschen auf dem Lande haben die vergangenen und schlechten Zeiten immer gut in Erinnerung behalten. Ihre Existenz war doch weitgehend vom Wetter abhängig. Wie oft gingen im Laufe eines Jahres die Blicke gen Himmel, um eine Wetteränderung zu ergründen. Heute sind wir auf die Wettervorhersage gespannt. Oft hörte ich alte Leute von den kalten und schneereichen Wintern in der Schneeifel erzählen. Die frühzeitig einsetzenden starken Schneefälle zwangen manchmal zur Einstellung der Kartoffelernte. Mit Sehnsucht wurde auf das erste Frühjahrstauwetter gewartet, um weiter zu ernten. Während der vielen Hungerjahre des verflossenen Jahrhunderts waren doch die Kartoffeln und der Hafer das Hauptnahrungsmittel in der Eifel.

Die Chronik berichte aus dem Jahre 1816für die nördliche Halbkugel vom Jahr ohne Sommer. Das heute viel gebrauchte Wort Umweltverschmutzung für die Schuldigen gab es noch nicht. Die Ursache für diesen verunglückten Sommer fanden Wissenschaftler etwa 150 Jahre später, nachdem auch die verhältnismäßig junge Wissenschaft der Vulkanologie aus ihren reichen Forschungsergebnissen neue Erkenntnisse brachte.

Im April des Jahres 1815 erfolgte eine der gewaltigsten Vulkanexplosionen der Neuzeit. Auf der Insel Sambabwa (Indonesien) schleuderte der Vulkan Tambora 150 ckm (Kubikkilometer) Gestein und Asche in die Höhe, wovon ein großer Teil bis in die Stratosphäre gelangte. Der Dunstschleier (Aerosolwolke) aus Asche, Glaspartikeln und Wasserdampf umkreiste unseren Erdball auf der nördlichen Halbkugel wie ein Satellit und behinderte lange Zeit das Durchdringen der Sonnenstrahlen zur Erde. Erst allmählich löste er sich auf und verlor an Höhe. Noch Jahre später war diese Wolke schuld an dem verregneten oder gänzlich fehlenden Sommerwetter. Durch diese Eruption des Tambora wurde der Berg etwa 1 300 m niedriger. Soviel Asche ist nach Ansicht von Klimatologen in den letzten 400 Jahren von keinem Vulkan ausgeworfen worden. Die Jahresdurchschnittstemperatur in Mitteleuropa und Nordamerika senkte sich um einige Grad Celsius.

Wie wirkte sich die Wetterverschlechterung in der Eifel aus?

In der Festschrift zur Jahrtausendfeier der Rheinlande 1925 von Dr. Blum „Entwicklung des Kreises Daun" Seite 48 und 128 berichtet er aus den Aufzeichnungen des Ministerialbeamten Schwarz anläßlich einer Inspektionsreise im Rheinland des Jahres 1816 vom verregneten Sommer.

„Tritt dennoch ein nasser Sommer wie der von 1816 ein, wo das Schiffein und Trocknen nicht angeht, so ist das so gut wie ein Hagelschlag für die unglückliche Gegend."

„1815/16 war ein nasser Sommer, der eine große Mißernte und viel Elend im Gefolge hatte."

„1816 fiel eine so schwere Mißernte ein, daß eine entsetzliche Teuerung und Hungersnot um sich griff. In der Eifel lebten die armen Leute von Wiesenkräutern, die sie mit Hafermehl zu Mus verrührten."

Die starken Regenfälle verursachten außerdem noch verheerende Überschwemmungen, wodurch die Fruchtbarkeit des Ackerbodens beeinträchtigt wurde. Von diesen Mißernten war natürlich auch kein Saatgetreide zu erwarten, so daß die Regierung Getreide aus Rußland ankaufen mußte. Zur Erinnerung an die Notjahre ließ der Staat eine Gedenkmünze prägen. Auf der einen Seite eine Mutter, die wehmütig auf ihre beiden Kinder blickt, das eine liegt kraftlos auf ihrem Schoß, das andere umfaßt ihre Knie und hebt bettelnd die Händchen. Die Umschrift lautet: „O, gib mir Brot, mich hungert!" Von dem Elend war nicht nur die Eifel betroffen. Blicken wir in unser Nachbarland Hessen. In einem Bericht des Criminalsekretärs Carl Franz aus Gießen heißt es über den Postraub in der Subach (aus: Die deutschen Räuberbanden, Bd 3, S. 279, Eschborn Verlag) „Vom Mai bis August 1816 regnete es in Strömen. Auf den Feldern verfaulte das Getreide und Gemüse. Was noch übrig geblieben war, zerschlug der Hagel. Für die Bauern bedeutete die verminderte Ernte eine Katastrophe. Viele Deutsche entschlossen sich damals, ihr Land zu verlassen. In den Weinanbaugebieten erhöhte sich die Zahl der Auswanderer nach Übersee und nach dem Osten."

Wie war der Sommer in der übrigen Welt?

In Frankreich genau so schlecht wie in Deutschland, England war nicht minder betroffen. In Frankreich mußten die Getreidetransporte von Gendarmerie und Militär begleitet werden, um Überfälle durch die hungernde Bevölkerung zu verhüten. Napoleon schrieb zu dieser Zeit seine Lebenserinnerungen auf St. Helena. Wie war es in Nordamerika?

Hier wurden auch Wetteraufzeichnungen vorgenommen. Aus Notizen einer Familie Elizabeth und Heinz Stemmler aus dem Raum Neuengland entnehmen wir: „Im Mai begann erst der Frühling. Der Juni war unheilvoll. Das Getreide, das den ungewöhnlich strengen Eisheiligen im Mai standhielt, fiel den Nachtfrösten zum Opfer. Frosteinbrüche erfolgten am 21. und 30. August 1816.

In Kanada war es keinesfalls besser. Nördlich des St. Lorenzstromes blieben die kleinen Seen bis Mitte Juli 1816 mit Eis bedeckt. In der Neuen Welt gab es für einige Leute zu dem kalten und verregneten Sommer auch Angenehmeres zu berichten. Anläßlich einer landesweiten Umfrage über das Wetter schrieb ein Arzt und Professor der Naturgeschichte in einem Brief: „In New York gab es weniger Flöhe und Stechmücken als gewöhnlich..."