Nachdenken über Heimat

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

Wenn ein Mensch geht, für immer, wird man unweigerlich mit Erinnerungen konfrontiert; einer Fülle von Fragen, für die es keine Antwort mehr gibt.

Es sei denn, man hinterfragt das eigene Leben, sucht nach Erklärungen für persönliches Verhalten - dann gibts manchmal ein AHA-Erlebnis.

Meine Freundin kam aus der Generation, die Heimatvertriebene aus allen Räumen der Ostgebiete aufzuweisen hatte - auch sie gehörte zu jenen Menschen, die Sehnsucht nach ZU HAUSE umtrieb. Als sich die Grenzen zum Osten öffneten, unternahm sie eine Busfahrt nach DRÜBEN. Mit so viel Hoffnung im Herzen - worauf?

Sie wußte es selbst nicht.

Das Haus ihrer Eltern wollte sie wiederfinden, unversehrt. Wer mag da wohnen?

Eine junge Polin öffnete ihr die Tür, die Verständigung war schwierig, sprachliche Barrieren brachten Dissonanzen in die Begegnung, doch auf einmal verstand die fremde Frau, was der Gast wollte - nur mal sehen und ein wenig Heimaterde mitnehmen; fürs Grab, wenn es denn mal so weit sein sollte.

Nein, in fremder Erde wollte sie nie ruhen, meine Freundin, und weil das „Mitbringsel" ja von geringem Gewicht sein mußte, beschloß und verfügte sie schon damals, ihr Körper möge eingeäschert werden, die Urne dann eben mit der Heimaterde bestattet.

Dies alles ist nun geschehen.

Für mich blieb neben vielen Fragen die eine ganz dringend, weshalb diese Heimatsehnsucht nach so vielen Jahren hier, in der Eifel?

Längst war sie keine Fremde mehr, zwar anders, aber das ist auch mentalitätsbedingt. Weshalb sind die Wurzeln eines Menschen in der Kindheit irgendwo geblieben, in einem Land, zu dem man als Erwachsener überhaupt keine Beziehung mehr hat?

Wo liegt der Schlüssel des Rätsels?

Monate des Nachdenkens blieben im Ergebnis gleich Null. Dann ein Spaziergang im Wald.

Frühling wars, die Natur setzte GRÜN an, die Zeit der Kulturarbeiten kam und das bedeutet auch Neupflanzung. Weshalb - so meine Frage an den Forstmann - nimmt man da eigentlich nicht die schönen, starken Pflanzen aus der Naturverjüngung? Sie lachten uns am Weg geradezu an, strotzend vor Kraft und Frische. Hier sind sie groß geworden, mit dem Klima vertraut, das wären doch ideale Setzlinge.

Es geht nicht gut, denn wenn man sie aus unserem harten Boden nimmt - spontan riß mein Begleiter ein Pflänzchen aus - bleiben viele Haarwurzeln zurück. Sie aber sind der Garant für gutes Wachstum. Mag sein, daß ein Baum mit wenigen leben kann, der Verlust wird ihm schaden. Deshalb nehmen wir Setzlinge aus den Pflanzgärten, sie werden in leichtem Boden kultiviert, haben keine Mühe mit den Wurzeln.... mir fiels wie Schuppen von den Augen; so einfach war das.

Natürlich dachte ich gleich an meine Freundin und ganz persönliche Reaktionen wurden auf einmal verständlich.

Seit Jahren fragte ich mich nämlich, welch geheime Sehnsucht mich immer wieder ins Sächsische lockt. Eine andere treibt mich in die Pfalz - was suche ich da?

Die Haarwurzeln sinds, die ich dort ließ, beim Ausreißen.

Es stimmt, ich wollte nicht weg, widrige Umstände waren gegen mich. Nun verstehe ich auch den Spruch besser.... „alte Bäume soll man nicht verpflanzen". Da reißt man nicht nur Haarwurzeln aus, sondern das lebenswichtige Wurzelpaket wird tiefgreifend amputiert - sowas kann nicht gut gehen.

Ja, nun verstehe ich meine Freundin. Schade um die Verzögerung des Begreifens, wie viele gute Gespräche hätte es um dies Thema geben können.

Aus Versäumnissen kann man lernen und hier vielleicht dies; Augen und Ohren offener halten für die schlichten Fingerzeige der Natur.