Anna Droste-Lehnert

Heinz-Jürgen Rieden, Schalkenmehren

 

Anläßlich des 100. Geburtstages der Initiatorin und Mitbegründerin der ehemaligen „Heimweberei Schalkenmehren eG", Anna Droste-Lehnert, versammelten sich am 19. Januar 1992 in Schalkenmehren Bürger, vornehmlich einstige Mitglieder und Mitarbeiterinnen der Heimweberei-Genossenschaft, um dieser ungewöhnlichen Frau, die in schweren Zeiten soviel für Schalkenmehren getan hat, in einer Feierstunde ehrend zu gedenken. Nicht zufällig fand diese Veranstaltung an jenem Ort statt, an dem eigentlich die Geschichte Anna Droste-Lehnert's mit Schalkenmehren begonnen hatte, in der ehemaligen Schule.

Wer war diese Frau? Ihre Biographie führt zunächst ins Saarland. Am 17. Januar 1892 in Serrig in einem kleinbäuerlichen Elternhaus geboren, machte sie schon in der Schule auf ihre vielseitigen Talente aufmerksam. Auf Betreiben und mit Förderung des Serriger Pastors konnte Anna Lehnert eine Ausbildung zur Lehrerin beginnen, zunächst an kirchlichen Ausbildungsstätten, schließlich am Lehrerseminar in Saarburg. Als Junglehrerin wurde sie von ihrer ersten Stelle in Rissenthal im Saarland in die Eifel versetzt und kam zur Volksschule in Schalkenmehren. Niemand, sie selbst am allerwenigsten, ahnte damals, daß einmal ihr ganzes weiteres Leben diesem Dorf gehören würde - 56 Jahre!

Als Lehrerin fand Anna Lehnert bald die Achtung, ja Verehrung ihrer Schülerinnen. Von diesen wird sie noch heute als eine feine, freundliche und sehr gebildete Frau beschrieben, deren gepflegtes und geschmackvoll gekleidetes Äußere stets Bewunderung fand. Anna Lehnert besaß ein bemerkenswertes Kunstverständnis; gerühmt wird ihr unfehlbarer Sinn für Farben. Dennoch - das Grau des Alltags blieb nicht außen vor der Schulstube. Die Kinder dokumentierten schon durch ihr Äußeres, daß sie durch die Bank Kinder armer und allerärmster Leute waren. Die Eltern waren Kleinbauern, die einschließlich des Ödlandes im Durchschnitt nicht mehr als 16 Morgen Land ihr eigen nannten - eine Folge der traditionellen Realerbteilung. Höhenlage und ungünstige Gelände- und Bodenverhältnisse beschränkten zusätzlich die Anbaumöglichkeiten und die Erträge, so daß die Höfe sich an der Untergrenze der wirtschaftlichen Existenz befanden. Darüber hinaus waren die meisten von ihnen hoch verschuldet. Die Eifel war, so lange man denken konnte, ein bettelarmes Land.

Gerade die zwanziger Jahre brachten eine dramatische Verschärfung derohnehin angespannten Situation. Der verlorene Weltkrieg mit all seinen Folgen wie Besatzung, wirtschaftlicher Niedergang, Inflation und Massenverarmung ging auch an Schalkenmehren nicht spurlos vorüber.

Welche Fügung für dieses Dorf, daß es in dieser verzweifelten Lage eine so engagierte, phantasie- und ideenreiche Lehrerin besaß, denn es zeigte sich, daß Anna Lehnert außer ihren natürlichen Begabungen über einen ausgeprägten sozialen Sinn verfügte; genau hier fühlte sie sich gefordert.

Eigentlich eher zufällig machten Schalkenmerener ihre Lehrerin darauf aufmerksam, daß es auch im Dorf eine Webtradition gab. Hier sah Anna Lehnert einen Weg, über die Wiederbelebung des bewährten Hausfleißes, den Eigenbedarf an Textilien zu decken. Das brächte den notleidenden Haushaltungen Entlastung. Mehr noch; sollte man nicht an die fast schon in Vergessenheit geratene Eifeler Webtradition anknüpfen, die früher Leinen für den Markt erzeugt hatte? Damit müßte sich der chronische Bargeldmangel doch wenigstens lindern lassen. Mit diesem materiellen Ziel verband Anna Lehnert ein ideelles, dem sie aus ihrer eigenen bäuerlich-familiären Prägung heraus eine höhere Bedeutung zumaß, nämlich den Erhalt der bodenständig-dörflichen Kultur und besonders der bäuerlichen Familie in ihr. Beide Ziele trafen sich auf glückliche Weise mit ihren künstlerischen Interessen und Begabungen. So machte sie sich, ausgestattet mit Ideenreichtum, Zielstrebigkeit, Idealismus und sehr viel Gottvertrauen, im Winter 1922/23 ans Werk.

Die Anfänge waren schwer. Es fehlte an allem und besonders am Geld. Persönlich anspruchslos, finanzierte Anna Lehnert alles von ihrem bescheidenen Lehrersold. Sie Versand Bittbriefe und machte sogar Schulden, um die als richtig erkannte Sache voranzubringen. Unterstützung erfuhr sie von keiner Seite, eher Skepsis, sogar Ablehnung. Auch die Bauern im Dorf brauchten ihre Zeit, ehe sie begriffen, aber allmählich machten immer mehr mit. Zwei Jahre später, im Winter 1924/25, waren bereits 17 Webstühle in Betrieb. Anna Lehnert entwarf Muster und Farbkompositionen, vermittelte die notwendigen Fachkenntnisse, immer geduldig, aber im Interesse der Sache auch anspruchsvoll und streng in der Qualitätsanforderung. Sie setzte großes Vertrauen in das Können des Webers oder der Näherin und spornte so deren Leistungsbereitschaft an. Die soziale Aufgabe immer im Blick, sorgte sie dafür, daß möglichst viele, je nach ihrem Leistungsvermögen, Aufträge und damit Verdienstmöglichkeiten erhielten.

Nach vier Jahren war aus den Anfängen eine große Sache geworden. Ende 1926 wurde auf Initiative Anna Lehnert's die Heimweberei-Genossenschaft gegründet, deren Produkte unter der Markenbezeichnung „Maartuch" bald in ganz Deutschland einen ausgezeichneten Ruf genießen sollten.

Doch die Last der vielfältigen Verantwortung zum Beruf wurde groß. Zwar erhielt die junge Frau endlich auch Hilfe von außen, aber die ständige Doppelbelastung durch Schuldienst und Heimweberei ließ sie 1928 den Lehrberuf aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Sie wollte sich fortan ganz dem Weben und damit dem Wohle der Menschen von Schalkenmehren widmen. Dank ihres Bemühens nahm der Ort bis zur Stillegung der Heimweberei nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges eine Sonderstellung untern den notleidenden Gemeinden im Kreis Daun ein.

Im Jahre 1929 hat Anna Lehnert ihren Mitarbeiter und Weggefährten, den Junglehrer Johannes Droste, geheiratet, aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor.

Nie resignierte diese Frau und das lag zweifelsfrei an ihrer tiefen Religiosität, ihrem unerschütterlichen Gottvertrauen. Nur so fand sie den Mut, nach dem Krieg trotz widrigster Umstände den Neubeginn zu wagen. Die Heimweberei kam allmählich wieder in Gang. Anna Droste-Lehnert konnte ihrer kreativen Schaffensfreude wieder freien Lauf lassen, und das beileibe nicht nur auf dem Gebiet des Webens. Unvergessen im Dorf sind die gemeinsamen Theater-, Volkstanz- und Musikaufführungen.

Ebenfalls in lebendiger und besonders in dankbarer Erinnerung geblieben ist aber auch ihr stetes Bemühen um die Kranken im Dorf. In Zeiten, in denen kaum einer den Arzt bezahlen, geschweige denn Beiträge zu einer Krankenversicherung leisten konnte, waren die selbst hergestellten Salben und Säfte der „Frau Droste", ihre kenntnisreichen Ratschläge und besonders ihre wohltuende menschliche Ausstrahlung von unersetzlichem Wert.

Am 2. August 1976, im Alter von 84 Jahren, verstarb Anna Droste-Lehnert. Sie war Mitglied des Ordens vom hl. Michael vom Mont Saint Michel, Mitglied der Luxemburgischen Landfrauenvereinigung und Trägerin der Silbernen und der Goldenen Ehrennadel des Eifelvereins. Bis zuletzt ist sie für ihr Lebenswerk, die Heimweberei Schalkenmehren, rastlos tätig gewesen.

Sie fand ihr Grab an jenem Ort, dem schon lange ihre stille Liebe gegolten hatte: Im Schatten der Weinfelder Kirche über dem Totenmaar.