Zu Gast bei Fritz von Wille

Franz Josef Ferber, Daun

 

Vor mehr als fünfzig Jahren, am 16. Februar 1941, ist der Eifelmaler Fritz von Wille gestorben. Ungefähr die Hälfte seines langen Lebens hat er in der Eifel gelebt und unermüdlich gearbeitet; von 1899 bis 1911 in Reifferscheid und Dalbenden, danach, bis zu seinem Tode, auf der Burg Kerpen, die ihm gehörte. In dieser Zeit hat er sorgfältig Buch geführt beziehungsweise führen lassen. Schwerpunkte seiner eigenen Aufzeichnungen beziehen sich auf familiäre Ereignisse, das Reisen (während der kalten Jahreszeiten) nach Düsseldorf, das Wetter und die Zeitgeschichte. Daneben haben zahlreiche Gäste ihre Spuren hinterlassen, vielfach in Poesie und Malkunst, Formen, die der Gastgeber besonders begehrte. Konrad von Wille hat mir bereitwillig das Gästebuch seines Großvaters gegeben und erlaubt, dessen Inhalt zu veröffentlichen. Für diese Freundlichkeit danke ich Herrn von Wille herzlich. Die Stoffülle läßt an dieser Stelle nur einen bescheidenen Einblick in das zeitgeschichtliche Dokument zu; deswegen soll hier nur von GÄSTEN im Hause von Wille die Rede sein.

Manche, die Fritz von Wille gekannt haben, schildern ihn als einen etwas stillen, zurückhaltenden Menschen. Trotzdem, gastfreundlich muß er allemal gewesen sein. Unzählige Besucher waren ihm willkommen, von nah und fern. Das beweist sehr eindrucksvoll das Gästebuch, begonnen am 1. Mai 1899 in Reifferscheid, dem F. v. Wille die folgenden (hier auszugsweise wiedergegebenen) Reimverse voranstellte:

„jeder der uns hier oesucnt,

wird gewissenhaft gebucht.

Ob vom Pregel, ob vom Rhein,

jeder muß ins Buch hinein.

Spanien, Frank- und Österreich,

wo man herkommt ist uns gleich.

Russen, Türken, Italiener;

ungebucht entkommt uns keener.

Alle, die am Orte wohnen,

mögen dieses Buch verschonen;

um zu zieren dieses Buch,

wohnen sie nicht weit genug.

Ausgenommen ist indessen,

der Pastor, fast war's vergessen.

Auch die ganze Nachbarschaft

tritt nur einmal hier in Kraft.

Wenn Du machst in Poesie,

bitte, unterdrück' es nie.

Setz' Dich fester an den Tisch,

drucks nicht lange, dichte frisch.

Jeder der uns wohlgesonnen

ist uns herzlich hier willkommen."

Von den vielen Gästen, die im Laufe der Jahre bei der Familie von Wille einkehrten, sollen hier etliche genannt werden. Bei den ersten, die dem Ehepaar ihre Aufwartung machten, waren der Herr Bürgermeister Heindrichs und seine Frau Ottilie; das war am 1. Juni 1899 in Reifferscheid. Fortan riß die Kette bekannter und unbekannter Namen nicht mehr ab. Einige Besucher schmückten das Gästebuch mit gekonnten Zeichnungen, andere schrieben sinnige Reimverse hinein. Einer allerdings - ein gewisser Rud. Schulz - verfluchte die Dichtkunst und wünschte sie zum Teufel: „Das Dichten soll der Diable holen. Ich halt' mich lieber an Kräuterbowlen"(21.4.1905).

Auf der „neuerstandenen Burg" waren erste „entzückte Besucher": Reg.-Rat Dr. Russell aus Trier, Landrat Weismüller und Kreisarzt Dr. Windheuser aus Daun sowie Bürgermeister Vogeler aus Hillesheim. Der Dauner Landrat war nachher noch viele Male auf der Burg zu Gast; er war bekanntlich ein besonderer Förderer Fritz von Wille's und seiner Kunst. 

Später (1912/1929) waren auch die Regierungspräsidenten von Trier und Koblenz Gäste der Familie von Wille, ebenso (1928) Prof. Dr. Paul Steiner, Leitender Direktor des Provinzialmuseums (heute Rheinisches Landesmuseum) Trier. Am Sonntag, 5. September 1926, war der Kerpener Männergesangverein „Liedertafel" zu Besuch gekommen; siebenunddreißig Chormitglieder trugen sich in das Gästebuch ein, das Ereignis wurde als „Großer Sängerkrieg auf Burg Kerpen" festgehalten. 

Zu Beginn der 1930er Jahre tummelten sich auf der Burg zunehmend Menschen, die der neuen „Heilslehre" zugetan waren. Einige davon schrieben Kampfparolen und Sympathiebezeugungen in das Gästebuch, zum Beispiel am 20. Juli 1932 Hans B. aus Gerolstein, „kom. P. Leiter für Kreis Daun": „Im Kampfe fürs Dritte Reich!" Und ein August B. meinte einen Tag danach, es wehe „Hitler-Luft" auf der Burg Kerpen. Alledem setzte jedoch ein Sturmführer der SA namens Hellmuth Moll die Krone auf. Er versuchte sich in der Kunst des Dichtens und glaubte, die Kerpener Burg partout zu einer „Nazi-Hoch-Burg" hochstilisieren zu müssen. „... Nie soll in deutschen Landen mehr, wo Hitler-Burgen stehn, die Juden und Franzosen in Deutschland ein-marschiern". So endet sein sprachlich holpriges Gedicht vom 6. Oktober 1933. Am 13. September 1934 ließ sich Hans Walter Kölle, der Kreisleiter der NSDAP und stellvertretender Landrat des Kreises Daun, auf der Burg sehen. Der damalige Dauner Landrat, Dr. Wirtz hatte einige Tage zuvor (5. September) seine Aufwartung gemacht.

Daß bei der Familie von Wille in Reifferscheid, Dalbenden und Kerpen jahrzehntelang Malerfreunde des Hausherrn ein- und ausgingen, wird kaum überraschen. Es sollte hier - auswahlweise - gesagt werden, wer sie waren, die die Nähe unseres Eifelmalers suchten: Heinrich Otto, Landschafts- und Tiermaler, Lithograph und Zeichner, geboren 1858 in Wernswig/Hes-sen, gestorben 1923 in Düsseldorf; er besuchte seinen Malerkollegen Fritz am 21. Mai 1899 in Reifferscheid, zeichnete das Dorf ins Gästebuch und bemerkte dazu: „So hilft sich ein Mann, der nicht dichten kann". Hans von Volkmann weilte am 22. August 1906 bei den von Wille's in Dalbenden. Er war im gleichen Jahr wie Fritz von Wille geboren (1860), mit ihm Schüler der Kunstakademie in Düsseldorf, lebte in Karlsruhe und starb 1927 bei einem besuchsweisen Aufenthalt in seiner Vaterstadt Halle. Von Volkmann wird zu den besten Vertretern der Karlsruher Landschafterschule gezählt. Von ihm wird berichtet, daß er „für die künstlerische Erschließung der Eifel von größter Bedeutung" gewesen sei, sein „Wogendes Kornfeld", bei Dockweiler gemalt, wird beispielhaft für große Ruhe ausstrahlende Bilder angeführt.

Maximilian Klein von Diepold hielt sich vornehmlich in den Jahren 1908 und 1909 - im Januar 1909 zusammen mit Heinrich Otto - bei der Familie von Wille auf. Er, 1873 in Wilhelmshöhe bei Kassel geboren, Schüler der Düsseldorfer Akademie, war Landschaftsmaler und Tiermaler; er hat auch in der Eifel gemalt, so das Bild „Vorfrühling in der Eifel". Klein von Diepold konnte nicht nur malen und zeichnen, anscheinend auch dichten. Bei seinem Aufenthalt in Kerpen vom 7. bis 10. Juli 1928 zeichnete er das Tal östlich der Burg ins Gästebuch und schrieb dazu: „Von hoher Burg auf luftiger Höh' schau ich hinab über Wiesen und Wälder. Seid mir gegrüßt ihr Eifelberge, ihr blühenden Hänge und wogenden Felder!" 

 

Das muß ein besonders guter Freund des Hauses gewesen sein, der E. Schwarzer (Spitzname Schnaz); denn sein Name ist - hauptsächlich in den Jahren 1924 bis 1928 - häufig verzeichnet, und fast jedesmal hat er ihn mit einer ulkigen Zeichnung geziert. 

Schließlich sollte Wilhelm Degode noch erwähnt sein, der am 25. August 1912 in der Kerpener Burg einkehrte. Er beklagte seine mangelnde dichterische Begabung, schrieb dennoch einen kleinen Reimvers ins Gästebuch. Degode, geboren 1862 in Oldenburg, gestorben 1931 in Büdingen/Hessen, hat sich als Maler der Eifel einen Namen gemacht. Nicht selten zählt man ihn zu den besten Landschaftsmalern der Düsseldorfer Schule. Zeitlebens blieb er einer traditionsgebundenen Malweise verhaftet, die dem romantischen Realismus zuzuordnen ist.

 Prominenten Besuch bekam die Familie am 29. Juli 1933 von einer Dame, die F. v. Wille (und gewiß er auch ihr) in besonderem Maße verbunden und übrigens im gleichen Jahr wie er geboren war: der naturalistischen Dichterin Clara Viebig, begleitet von ihrem Ehemann Friedrich Th. Cohn. Sie, die wie sonst niemand in zahlreichen Büchern unsere Eifelheimat beschrieben hat und deren Novellenband „Kinder der Eifel" (1897) Fritz von Wille bebilderte, notierte ins Gästebuch: „Heimat ist ein Zauberwort, das Altes jung macht und Betrübte froh". Später hat irgend ein Nichtsnutz hinter den Namen Cohn den Judenstern gemalt, offenbar eine gehässige Anspielung auf den jüdischen Ehemann der angesehenen Dichterin. 

Bestimmt werden es nicht immer geladene und willkommene Gäste gewesen sein, die bei den Wille's auf der Kerpener Burg weilten. Die Offiziere, die vor dem Ersten Weltkrieg mit der Familie verkehrten, waren dem kaisertreuen Fritz von Wille sicher angenehme Gesellschafter. Nachher kamen sie weniger der Gesellschaft wegen. Auch die einquartierten deutschen Soldaten - beispielsweise vom 13. bis 15. August 1914 - mögen dem Burgbesitzer nicht unwillkommen gewesen sein. Ähnlich mag es sich auch am 25. November 1918 verhalten haben, als neun Offiziere, die auf dem Marsch von der Marne zum Rhein auf der Burg Rast gemacht haben, ins Gästebuch schrieben:„Der Krieg ist aus, wir marschieren nach Haus!"...oder etwa am 30. November 1918, als in der Burg Kriegsorden verteilt wurden: Eiserne Kreuze Erster und Zweiter Klasse. 

Anders dagegen war es höchstwahrscheinlich mit den amerikanischen Soldaten, die sich nach dem Krieg auf der Burg breit machten und derentwegen Fritz von Wille - seinen Notizen zufolge - vom 24. November 1918 bis zum 13. Januar 1919 in Kerpen blieb. Das war ganz gegen seine Gewohnheit; denn im Winter hielt der Maler sich die meiste Zeit in Düsseldorf auf, weil es ihm in der Eifel zu kalt war. Doch Besatzungstruppen auf seiner „Residenz" waren nun ganz und gar nicht nach dem Geschmack des Burgherrn und ins Gästebuch haben sie nichts geschrieben...