Wie Schuster Kaufmann beraubt wurde

Eine wahre Begebenheit

Peter Metzen, Esch

 

Um die Jahrhundertwende war es noch üblich, daß der Schuster von Haus zu Haus ging, um Schuhe zu flicken oder neue anzufertigen. So ging Schuster Kaufmann aus Esch an einem verschneiten Wintertag zur etwa zwei Kilometer entfernten Escher Mühle, um dort die notwendigen Reparaturen auszuführen. Natürlich wurde er beköstigt, und er konnte auch für seine Familie noch ein paar Leckerbissen in den Rucksack einpacken.

Sein Weg führte aus der Komm über die Jünkerather Straße bis zum Affelskreuz. Von dort ging es über einen Feldweg durch Rohfeld, Salzenpütz, Kalkwiese zur Mühle. Nach getaner Arbeit räumte Kaufmann sein Werkzeug zusammen und Frau Reifferscheid packte ihm reichlich Lebensmittel in seinen Rucksack. Dann schenkte sie ihm noch sein gewohntes Körnchen ein, das er genüßlich schlürfte; er machte sich vergnügt auf den Heimweg.

Es war bereits dunkel und ein mächtiges Schneetreiben hatte eingesetzt. Bis zum Rohfeld verlief alles reibungslos, denn bis dorthin konnte er sich an markanten Punkten orientieren. Doch jetzt wurde es schwieriger, weil der Rohfeldweg durch eine von Feldern gesäumte leichte Vertiefung verlief, die bei dem Schneegestöber nur schwer zu erkennen war. So kam es, daß Kaufmann die Orientierung verlor und vom Weg abkam.

Plötzlich wurde ihm durch einen heftigen Ruck ein Halteriemen des Rucksacks von der Schulter gerissen. Vor Schreck traute er sich nicht, sich umzuschauen, geschweige denn, sich zur Wehr zu setzen. Hastig streifte er den anderen Riemen auch noch ab, überließ widerstandslos dem Angreifer den Rucksack und lief, so schnell er nur konnte, heimwärts. Der Verlust des Rucksacks war Kaufmann schmerzlich. Schließlich überwand er seinen Kummer, weil der Räuber ihn nicht verfolgt und ihm kein weiteres Leid zugefügt hatte.

Mutige Nachbarn begaben sich sofort auf die Suche, aber die Spuren waren durch den heftigen Schneefall verwischt, erfolglos kamen sie zurück.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Geschichte im Dorf. Die Leute ängstigten sich, und bei nächtlichen Gängen ließ man größte Vorsicht walten.

Als der Schnee geschmolzen war, fuhr Bauer Crump mit seinem Ochsengespann zum Rohfeld. Seinen Pflug wollte er heimholen, den er im Winter im Feld stehen ließ. Erstaunt entdeckte er am Sterz seines Pfluges einen Rucksack. Bei näherer Untersuchung fand er Schusterwerkzeug. Da ihm - wie fast allen Dorfbewohnern -die Geschichte vom Überfall bekannt war, machte er sich sein eigenes Bild vom aufregenden winterlichen Geschehen. Kaufmann, vom Wege abgekommen, war dicht an dem Pflug vorbeigegangen und mit einem Halteriemen am Ackergerät hängengeblieben. Die „geraubten" Lebensmittel wurden Leckerbissen für hungriges Wild.

Der aufgeklärte „Raubüberfall" beruhigte die erhitzten Gemüter der Dorfbewohner und man freute sich, daß es in der Escher Flur keinen Bösewicht gab.

Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit, über die noch lange gelacht wurde. Sie stammt aus alter Zeit und hat für die Dorfgeschichte Erinnerungswert.