Schuhreparatur in der Nachkriegszeit

Peter Jakobs, Simmern

 

Wenn heute eine Schuhreparatur fällig wird, kann man lange nach einem Betrieb suchen, in den man die Schuhe bringt. Lohnt sich augenscheinlich die Instandsetzung nicht mehr, werden neue Schuhe gekauft.

Vielfach sind in den großen Märkten Schnellreparaturen eingerichtet, nach dem Einkauf kann man auch die Schuhe wieder abholen. So war es nun nicht immer und geradezu abenteuerlich in den Nachkriegsjahren; die älteren Bürger werden es noch wissen.

Neue Schuhe gab es kaum, jeder nannte nicht mehr als ein paar Schuhe sein eigen und Material für Instandsetzung war selten vorhanden. So waren die Schuhmacher der Nachkriegszeit „Wunderknaben" der Improvisation, dazu total überlastet, die Reparaturzeiten waren wegen hohen Anfalls zum großen Teil sehr lange. So galt es zunächst einen Schuster zu finden, bei dem man als Kunde angenommen wurde.

Auch bei uns in Niederbettingen war's nicht besser. Unter großer Mühe und mit einiger Überredungskunst gelang es, bei Leo von Barzikowski im Nachbarort Roth als Kunde eingetragen zu werden; in Niederbettingen war kein Schuster mehr.

Aber dann fingen die Probleme erst an. Zu Hunderten lagen in seiner Werkstätte in Roth im Keller des Jugendheimes die auf Instandsetzung wartenden Schuhe und der tägliche Zugang war höher als die Auslieferung.

Von Barzikowski arbeitete ständig unter Druck, es saßen immer Kunden in der Werkstätte, die auf ihre Schuhe warteten. In vielen Jahren habe ich nie erlebt, daß auch nur ein von ihm genannter Termin auf Fertigstellung eingehalten wurde. Auch mein Bruder Toni hatte nur ein paar Schuhe und diese wurden rechtzeitig wegen des Heranrückens des Tages des „Ewigen Gebetes" Anfang Juli nach Roth gebracht. Dort hatte er das Versprechen erhalten, sie am Vortage des Festes abholen zu können.

Er begab sich hoffnungsvoll am Vorabend nach Roth und mußte gleich feststellen, daß sie noch im großen Haufen lagen.

Toni blieb sitzen und wartete auf seine Schuhe, aber die Reparatur zog sich hinaus und immer wieder wurde der Meister gestört.

Draußen wurde es dunkel - im Juli sind bekanntlich die Tage lang - die Zeit war schon weit vorgeschritten.

In Niederbettingen wartete Vater Heinrich unruhig auf die Rückkehr seines Sohnes mit den Schuhen.

Als sich aus Richtung Roth nicht rührte, begab er sich auf den Weg, um dem Toni entgegen zu gehen. Der kam aber nicht und so landete der besorgte Vater auch in Roth am Jugendheim. Zunächst wollte er am Fenster der Werkstätte, in der noch Licht brannte, horchen, ob der Sohn noch da sei. Und siehe da, ohne große Mühe konnte er die intensive Unterhaltung Sohn -Schuster wahrnehmen. „Schuster machen wir auch Eisen drauf, wenn wir fertig sind...?" war die Frage von Toni, deutlich zu hören. Und die Antwort gab der Junge sich gleich selber,,...gell, wären wir mal soweit, Schuster!"

Nun blieb dem draußen Wartenden nichts anders übrig, als sich in die Werkstätte zu begeben um dann auch festzustellen, daß in der nächsten Stunde keine Aussicht auf Fertigstellung war. Ohne Schuhe, aber mit der festen Zusage des Schusters auf Fertigstellung für den nächsten Morgen begaben sich Vater und Sohn in die heimischen Gefilde.

Nach kurzer Bettruhe, im Morgengrauen des 10. Juli, war Toni schon wieder auf dem Weg nach Roth, um endlich seine Schuhe abzuholen. Er wurde wieder enttäuscht, sie waren noch im gleichen Zustand wie beim Weggang am Abend; Leo von Barzikowski hatte sich zur Ruhe begeben und Schuhe Schuhe sein lassen. Die Betstunden in der Pfarrkirche am Tage des ewigen Gebetes mußten in diesem Jahre ohne Toni stattfinden.