Kindheitserinnerungen . . .

Andrea Schulten, Stuttgart/Lissingen

 

Sonntagmorgen ...

„Auf geht's, wenn Du mit nach Berndorf willst!" Nach Berndorf - keine Frage, da bin ich schnell bereit.

Die Autofahrt von Gerolstein- obwohl nur zwölf Kilometer-schien mir damals immer eine kleine Reise zu sein. Bewingen, Dohm, Lammersdorf, Hillesheim - Meilensteine unserer Fahrt.

In freudiger Erwartung erblickte ich in der Ferne die Berndorfer Kirche und die ersten Häuser des Dorfes. Hier wohnte meine Oma; die „Berndorfer Oma" hieß sie bei uns. Das war, um sie von der Wascheider Oma zu unterscheiden. Und sonntags fuhr ich, als ich noch klein war, oft mit nach Berndorf, denn mein Papa spielte dort in der Kirche die Orgel. Bernhard war noch zu klein. Er mußte daheim bleiben mit Mama. Das war mir nur recht, daß ich den Quälgeist mal los war und mit Papa allein auf Tour gehen konnte. Also wir fahren ins Dorf. Da kenne ich schon die Namen. Mannebach, Lenzen, Meier... Mannebach, das war die Konkurrenz! Rechts, rein, da wohnte der Busfahrer, wie hieß denn der noch? Links an der Kurve steht Onkel Ferd mit der Mistgabel. Sein Kopf ist rot, er ist von der Arbeit erhitzt und nickt uns zu. Rechts gibt's auch einen Hof mit einem großen Misthaufen davor. So was sieht man heute gar nicht mehr. Papa hat bei den Leuten mal Kühe gehütet und durfte dann immer da essen. Es gab immer gute Sachen, sagt er.

Auf dem Hof ist wieder kein freier Parkplatz. Sitzen etwa schon Durstige in der Wirtschaft? Oma hatte nämlich eine Kneipe. Das war super! Da konnten wir Kinder immer selber Cola zapfen. Und manchmal gab sie uns zwei Groschen für den Spielautomat. Das große Los zogen wir nie. Aber in der Wirtschaft war es schon aufregend.

Dazu später. Erst kommt der Kirchgang.

Papa läuft schon vor, er muß noch mit Pater Eich reden.

Ich gehe schnell noch ins Haus. Oma zieht gerade ihren hellen Mantel über. „Tach, Andrea!" Küßchen. Sie gibt mir einen Groschen für die Kollekte. Stolz stecke ich meinen Schatz in die Jackentasche. Oma faßt mich bei der Hand und wir gehen los. Es ist nicht weit. Unterwegs begegnen uns Nachbarn. Die fragen immer: „Is dat dem Floh seins? Oh, wat is et jruß jenn!" Inder Kirche ist es meistens ziemlich langweilig. Außer, wenn gerade Weihnachten ist und die große Krippe aufgebaut ist; da gibt es immer viel zu sehen. Oder, wenn ich bei Papa an der Orgel sitzen darf. Nur muß ich da immer ganz leise sein und leider darf ich auch die Orgel nicht berühren.

Da sitze ich schon lieber unten links bei den Berndorfer Mädchen. Die von Lenzens und Adrians, die mochte ich sehr. Wir hatten immer einiges zu erzählen. Nur, wenn der Pater Eich dann so ernst zu uns rüberschaut, mitten in der Predigt, dann trauen wir uns nicht mehr. Bis ich mich nach der Kirche von allen verabschiedet habe, ist Oma schon längst wieder daheim. Schnell laufe ich ihr nach, denn bei Oma ist es immer spannend! Da ist viel los! Ich komme ins Haus, im Postzimmer steht der Becker im grauen Mantel und zählt das Geld der Kollekte. Oh, da springen die braunen, kupfernen und wenige silberne Münzen nur so. Und die Hände vom Becker können die ganz schnell in Stapeln bändigen. Manchmal muß ich unter's Sofa kriechen, wenn ihm was runterfällt. Dann steckt er ganz flink alles Geld ein, zieht seinen Hut und geht.

Auf in die Küche. Oma im weißen Kittel. Oma am Herd, da schmeckt sie gerade den Braten ab. Oma beim Spülen. Oma deckt den Tisch. Schnell läuft sie mal rüber in die Wirtschaft, dann holt sie im Laden noch Mehl zum Auffüllen. Ach ja, einen Laden hatte meine Oma auch. Und da gab's manchmal Eis in Muschelhörnchen. Wir haben oft Verkaufen gespielt, wenn andere Kinder da waren. Meine drei Vettern Roman, Markus und Alexander, wohnten ja auch dort. Die waren mir ehrlich gesagt zu klein. Aber wenn Maria aus Zell mal kam, dann haben wir uns gegenseitig die Regale leer verkauft. Meistens hatten wir danach keine Lust mehr zum Aufräumen. Das gab Ärger, fiel aber im Trubel keinem auf.

Die Erwachsenen waren nämlich immer sehr beschäftigt. Papa und mein „Pat" waren in der Wirtschaft. Da half auch Schniggischs Renate. Die fand ich nett.

Aber eng war's da. Die vielen Männer um die Theke und am Spielautomat. Eine Riesendunstwolke schwebte im ganzen Raum und ich mußte erst mal kräftig husten. An den Stammtischen ging's hoch her. „Seveschröm" spielten sie da und hauten die Karten mit Wucht auf den Tisch. Papa balancierte Riesentabletts voller Bier und Korn. Ich wunderte mich, wie er das immer heil zum Ziel brachte! Manchmal durfte ich auch ein Bier bringen, das war aufregend in dem Gewühl!

Am gemütlichsten war's bei Onkel Paul hinter der Theke. Der zapfte unaufhörlich immer neues Bier in tropfnasse Gläser. Der Schaum rutschte über den Rand und ich fragte mich jedes Mal, warum er dann noch so runde Papierdeckchen um den Stiel vom Glas legte, wo die doch sowieso immer naß wurden?

Hatte er mal ein wenig Zeit, fragte er mich, was ich denn trinken will. „Spezi" hatte damals Hochkonjunktur, und wenn er gut gelaunt war, gab's auch mal Erdnüsse oder Velemint oder Bifi - die Mini-Salami. Aber das durfte ich dann nicht ausplaudern; vor dem Mittagessen sollte ich ja nichts essen.

Ab und an stieg Onkel Paul in den Keller, um ein Faß anzuzapfen. Auch das war spannend, so ein riesiger Keller mit einem Gefrierraum... ein wenig unheimlich. Allein bin ich dort nie hinunter gegangen. Interessant wurde es, wenn Roman mit mir auf den Speicher ging - da hätte ich mich allein auch nicht hingetraut. Oh war das gruselig, wenn die Tür laut knarrend aufging. Ich hatte eine Gänsehaut und die Haare standen mir zu Berge. Damals glaubte ich noch an Gespenster. Im Halbdunkel sah ich in jeder Ecke welche lauern, die jagten mir mächtig Angst ein. Aber meine Neugierwarstärker. So viele alte Schränke, dunkle Ecken, Kisten und Koffer standendort ... da mußte doch etwas Wertvolles versteckt sein. Im Abenteuer-Eifer stöberte ich überall herum, bis ich plötzlich über eine Maus stolperte und zitternd und kreischend das Weite suchte. Mit hochrotem Kopf vor Aufregung und - weil es ja verboten war, auf den Dachboden zu gehen - erschien ich wieder bei Martha oder Oma in der Küche. Manchmal war auch Frau Müller da oder Gerta, die von „Schniggischs"... ganz früher gab's da auch noch Tante Klara, für mich war sie uralt.

In der Küche duftete es inzwischen verlockend nach Sonntagsbraten und ich durfte mal bei Oma aus dem Topf naschen. Viel gab es nicht, Mama wartete zuhause mit dem Essen. Papa kam auch schon aus der Wirtschaft und suchte mich.

Schade schon wieder heim?

Ich war doch noch gar nicht im Garten und bei Schniggischs Oma und . . . mein Sonntagsvergnügen neigte sich dem Ende zu. Manchmal gab es noch einen Höhepunkt - Sonntagsgeld! Fünfzig Pfennig oder so, ein kleines Vermögen. Das hab ich für Cassetten gespart. Onkel Paul hatte mir zur Kommunion einen Recorder geschenkt mit tollen Cassetten . . . Heino und die westfälischen Nachtigallen. Die haben mir so gut gefallen und ich kannte alle Lieder auswendig.

„Also sag Oma Tschüss, auf geht's, Mama wartet".

Und schon sitzen wir wieder im Auto - Kinder waren zu der Zeit noch stolze Beifahrer. Oma steht an derTür, winkt...nächsten Sonntag kommen wir wieder. .

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