Amerika-Auswanderer der Pfarrei Retterath im 19. Jahrhundert

Die Familie Eis von Arbach

Erich Mertes, Kolverath

Als Josef Wölwer in Arbach im Herbst 1958 das alte Haus abriß, fand er unter den Fußbodenbrettern im ersten Stock ein Kuvert mit einem Brief von 1875 aus Amerika. Absender war Mathias Eis. Er schrieb an seinen Paten („Patte") in Arbach, sicher ein naher Verwandter von ihm.

Bevor wir auf die Auswanderer-Familie Eis aus Arbach im besonderen und die Auswanderungen aus der Pfarrei Retterath und dem Kreis Adenau allgemein eingehen, zuvor der Brief aus Amerika. Im Interesse der Originalität wird die Rechtschreibung unverändert wiedergegeben. Lediglich die Zeichensetzung wurde der besseren Lesbarkeit halber weitgehend den heutigen Regeln angepaßt. Buchstaben und Worte in () ergänzen den Originaltext.

Friedrich Eis aus Arbach, Bischof in Amerika

 Mathias Eis (geb. 1.2.1840 in Arbach) schreibt aus Minnesota, im Norden der USA: „Heute, Am feste (des) herrn. Fastnacht, den 7februar 1875. Geerte Patte, Ihr wertes Schreiben vom 26. Dezember 1874 kam mir heute zur hant, In welchem ich Ersehen habe, das Ihr noch albeide beisamen gesunt und zufrieden seit, den dises ist das Beste Reigtum fön der Welt. Was Ihre fragen anbelangen, so sei hirmit zur Antwort, das mein Vätern und mutter noch frisch und gesunt sint und Erfreuen sich des 74.1 lebensjahres, so wie mein Erwürdiger patte Mathias Klasen. mein fater hat leztes Jahr noch Ein neues haus erbaut im Werte fön 500 Dolars und will noch so alt werden, bis es Baufälig wirf. Mein hoch Erw(ürdiger) Bruder friderich hat uns auch disen herbst einen besuch zu theil werten lassen, welcher sonst 125 Stunden von uns seine Farei hat. Der Nikolaus Jäger fön Oberels ist auch hir. folchende sint aus unserer farei Reterath hir bei uns in unserer farei hir: M. Eis, Wilhelm Eis fön Arbach, Remer Klas und Nikolaus Müler fön Oberels, Nikolaus und Mathias Gilles und Peter Stern fön Mannebach, Mathias Weber fön Oberels, Peter Michels fön Oberels, Mathias Schneiderfon Mannebach, Johann Gros von Berborn (Bereborn), und sonst noch file, die mir gerade nicht Einfallen. Die übrichen dieser Pfarei sint meistens Leute fön benachbarten Pfareien Aus Deutschland, Reterath.

Nun zulezt von mir selbst. Wir sint also noch frisch und gesunt, sint 6 Jahre ferheiratet, und haben 2 Kinder. Eines balt 5 Jahre, das andere Balt 2 Jahre. Übrichens sint die Zeiten jezt gerade überhaupt Schlecht, den die frucht hat keinen Preis hir. das Vie ist auch billich, der Weizen kostet Jezt nur 60 Gens 2 das Buscheil 3, Sofil als 27Sgr (Silbergroschen) Preus.-Corant (Kurant) 4 per Scheffel 5. haf(e)r 40 Gens das Büschel also 15 Sgr. (Silbergroschen) Preus. Courant per Scheffel.

Gerst(e) 1 Dolar. Kartoffeln 15 Sgr. P. Court. (= Preußisch Kurant). Es wirf aber balt besser werten, den das früh Jahr wirt die ausfur nach Europa mit frucht anfangen, und dan Einen Tüchtigen preis bekommen. Jezt will ich Schließen mein Schreiben und Grüßen auch fielmal patte und Göte 6 und Alle die nach mir fragen. Wen Ihr fileicht lust zu komen habt, so möchtet Ir mich Gefälichst dafon in Kentniß sezen, der farpreis fön Hamburch nach New York kostet nur 24 Dollars mit Kost und beten7 per damfschif, welches in 11 bis 12 tagen herüber ist. machet also eure Briefe nicht frei hirhin, Mathias Eis.

Abs.: Mr. (Mister) Mathias Eis Esq.8

          Spring Hill P. O.9

          Stearns G. O.10

          Minne. North America"

Soweit der Brief.

Die Arbacher Familie des Wilhelm Eis, er, seine Ehefrau Katharina geborene Diederich und ihre drei Kinder, wanderten 1855 nach Amerika aus. Mit ihnen auch Gertrud Schäfer aus Arbach (geb. 17.6.1827). Am 15. August 1855 landeten sie wohlbehalten in einem Osthafen der USA. Eine solch glückliche Landung war damals beileibe nicht allen Auswanderern beschert. Manche starben während der Überfahrt quer über den Atlantikan Krankheiten. Die Dampfschiffahrt war zu der Zeit erst in den Anfängen ihrer Entwicklung. Noch 1890 hatten die Segelschiffe einen Anteil von 41 Prozent der Welttonnage (Brockhaus).

Unter den Kindern der Familie Eis befanden sich die zwei Brüder Mathias und Friedrich. Mathias ist der Briefschreiber. Friedrich Eis war am 18.1.1843 in Arbach geboren. Er sollte das berühmteste der drei Kinder von Wilhelm Eis und Katharina Diederich werden, denn erbrachte es drüben bis zum Bischof.

Der Weg der Familie Eis in den USA läßt sich zunächst durch die Staaten New York, Pennsylvania, Ohio, Indiana, Illinois, nach Wisconsin verfolgen. In Wisconsin fanden viele Eifeler Auswanderer ihre neue Heimat, so auch die Familie Gundert/Bierschbach aus Lirstal11.

Die Familie Eis aber zog weiter zum Nachbarstaat Minnesota. „Dort blieb sie nicht lange", sie „griff daher noch einmal zum Wanderstab. In Rockland, Michigan, fand sie endlich eine dauernde Heimat", schreibt der Missionar Josef Meyer aus Duppach in seinem Nachlaß, veröffentlicht im Eifelvereinsblatt 1930,38. Das stimmt aber so nicht, denn eine „dauernde Heimat" fand die Familie Eis aus Arbach in Spring Hill im Staat Minnesota/USA, wie unser Brief von 1875 beweist. Wahrscheinlich gilt der Hinweis von J. Meyer für den Theologen und Priester Friedrich Eis, denn der war im Norden des Staates Michigan seelsorgerisch tätig und wurde dort für das Bistum Marquette auch Bischof. Seine Familie aber wohnte 125 Stunden von ihm entfernt in Stearns County im Staat Minnesota, als er sie im Herbst 1874 besuchte. Stearns County, vergleichbar mit einem Landkreis bei uns, liegt mitten in diesem Staat Minnesota an der Highway (Fernstraße) 94, die von Minneapolis12 quer durch das Land nach North Dakota führt. Der Postort (Absenderort) Spring Hill ist ein Dorf, etwa 18 km südlich dieses Highways, an der Landstraße 4 (State Highway). Spring Hill hatte 1980 insgesamt 94 Einwohner. Des ungeachtet werden solche Orte auf Karten als City (Stadt) bezeichnet, genauso wie unsere Hauptschule (früher Volksschule) in den USA allgemein als „high school" bezeichnet wird, was wir zunächst mit „Hochschule" übersetzen. Schon in Kriegsgefangenschaft wunderten wir uns, das die US-Soldaten fast alle die „Hochschule" besucht hatten, obwohl doch viele in Wort und Schrift starke Mängel aufwiesen. Drüben geht man halt mit Begriffen wie „Stadt", „Hochschule" und vielen anderen etwas großzügiger um, als bei uns in „old Europe". Kehren wir zum Thema der Auswanderung zurück.

Der jüngste Sohn Friedrich Eis war zwölf Jahre alt, als er 1855 mit seinen Eltern und Geschwistern aus Arbach auswanderte. In Arbach hatte er keine besondere Schule besuchen können, denn damals gab es dort noch kein Schulhaus. Ein als Lehrer eingesetzter Mann, ohne jede pädagogische Vorbildung, erteilte den Arbacher Kindern in einem gemieteten Zimmer Unterricht im Lesen und Schreiben, so gut er es eben konnte. Das geschah so zu der Zeit auch in anderen Orten des Kreises Adenau; es waren die Anfänge der Entwicklung der preußischen Volksschule.

Drüben in Amerika wurde ein Missionar M. Fox (= Fuchs) auf Friedrich Eis aufmerksam und verhalf ihm zum Theologiestudium. Während des Bürgerkrieges in den USA (1861-1865) fand er Aufnahme im Seminar zu Joliet in Canada. Dort schloß er auch sein Studium ab und wurde am 10.10.1870 zum Priester geweiht.

Im Herbst 1874 besuchte der 31jährige junge Priester Friedrich Eis seine Eltern und seinen Bruder Mathias in Spring Hill in Minnesota. Sein Vater war inzwischen 74 Jahre alt, aber wie seine Frau Katharina noch sehr rüstig, denn er hatte im gleichen Jahr (1874) noch ein Haus gebaut, auf das er sehr stolz war und sagte, „ich will noch so lange leben, bis es baufällig wird". Das Haus hatte einen Wert von 500 Dollars. Das war zwanzigmal soviel wie die Überfahrt mit dem Dampfschiff gekostet hatte. Hier wird der wachsende Wohlstand erkennbar.

Der Bruder Mathias Eis war 1875 seit sechs Jahren verheiratet und hatte zwei Kinder von fünf und zwei Jahren. Der Besuch seines Bruders Friedrich war für ihn und seine Familie ein besonderes Ereignis, denn er nennt ihn voller Hochachtung: „Mein hoch Ehrwürdiger Bruder". Man hatte also damals auch drüben noch hohen Respekt vor einem Geistlichen, selbst in der Familie.

Die Pfarrei des Priesters Friedrich Eis war 125 Stunden vom Wohnsitz seiner Eltern und der Familie seines Bruders Mathias in Spring Hilf/ Minnesota entfernt. Die Wegestunde galt als Längenmaß von etwa 4,6 Kilometer. Danach betrug die Entfernung der Pfarrei des Friedrich Eis zu seinen Eltern und seinem Bruder etwa 550 - 600 km.

Wir wissen nicht genau, wo diese Pfarrei war (vermutlich bei Marquette). Aber wir wissen, daß Friedrich Eis wegen eines Lungenleidens seinen Wirkungsbereich 1890-1895 vom Staat Michigan nach Colorado verlegte. Als sich sein Gesundheitszustand wieder gebessert hatte, kehrte er nach Marquette im Staate Michigan zurück. Dort wurde er am 24.8.1899 zum Bischof geweiht; 23 Jahre stand er der Diözese Marquette vor. Mit 79 Jahren ging er am 8.7.1922 in den Ruhestand. Am 5. Mai 1926 verstarb er mit 83 Jahren in Marquette/Michigan, USA. An diesem Tag war der Verfasser dieser Arbeit genau vier Tage alt, wenn ich das hier anmerken darf.

Der Bruder Mathias Eis war drüben Farmer, also Bauer. Er berichtet im Brief 1875, daß die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse sehr niedrig seien und rechnet die Dollarpreise noch in preußische Silbergroschen um. Das war die Währung hier bei uns in der Eifel 13. Für das beginnende Frühjahr 1875 hoffte er jedoch wieder auf einen Anstieg der Preise, vor allem wegen dem erwarteten Export nach Europa. Es ist interessant zu erfahren, wie sehr die Einfuhr von billigem amerikanischem Getreide schon vor über hundert Jahren die Gemüter hüben und drüben bewegte. Das hat sich ja bis heute nicht geändert und in unserer Zeit viel zum Bauernsterben beigetragen14.

Mathias Eis versäumt nicht, am Schluß seines Briefes für weitere Auswanderung zu werben. Er nennt den Fahrpreis für die Überfahrt Hamburg - New York einschließlich Kost und Logis und vergißt nicht zu erwähnen, sie sollten die Briefe an ihn unfrei schicken. Es war übrigens in der Postentwicklung vor Einführung der Briefmarken (1840) üblich, daß der Empfänger eines Briefes die Beförderungsgebühr bezahlte15.

In der armen Eifel, die seit 1815 zu Preußen gehörte, wanderten ungezählte Familien im 19. Jahrhundert legal oder illegal nach Amerika aus. Die meisten von ihnen gingen nach Nordamerika. Die Urkunden der registrierten Auswanderungen aus dem Kreis Adenau und der heutigen Verbandsgemeinde Kelberg befinden sich im Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK), Bestand 441/442 (Reg.-Bez. Koblenz / Trier). Die Auswanderungsakten von Dr. Josef Scheben von der Kreisbehörde Adenau hat Dr. Hanns Egon Freund durch die Mc Henry County Illinois Gen. Society, Crystal Lake, Illinois/USA 1991 publiziert16. Beide Dokumentationen sind nicht identisch und weichen beträchtlich voneinander ab. Zur Klärung bedarf es hier sicher noch weiterer Forschungsarbeiten. Nach der Auswertung von Dr. Freund wanderten aus dem Kirchspiel Retterath zwischen 1834-1911 aus: Arbach =110 Personen; Bereborn = 0; Kolverath = 25 Personen; Lirstal = 49 Personen; Mannebach = 8 Personen; Oberelz = 104 Personen und Retterath = 190 Personen.

Nikolaus Hermann von Mannebach hat jedoch aus den Archivakten im LHAK zwischen 1821-1900 allein aus seinem Heimatort Mannebach 42 Auswanderer ermittelt, dazu etliche aus Bereborn, die bei der Auswertung von Dr. Freund gar nicht vorkommen. Möglicherweise sind in der Erfassung von Dr. Freund Auswanderer unter dem Pfarrort Retterath aufgeführt, die in Wirklichkeit zu einzelnen Dörfern dieser Pfarrei gehören. Auch das bedarf noch einer Klärung. Die Auswanderungswelle war über viele Jahre des 19. Jahrhunderts so stark, daß allein im damaligen Bürgermeisteramt Virneburg (Kreis Adenau), zu dem die sieben Dörfer des Kirchspiels Retterath gehörten, innerhalb von 50 Jahren 2000 Personen auswanderten (Verwaltungsbericht Amt Virneburg 1928/29). Die Ursachen waren: Ungunst der Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten.

Von Mathias Eis aus Arbach erfahren wir, daß 1875 mindestens 12 Familien aus der Pfarrei Retterath in seiner Pfarrei in Spring Hill im Staate Minnesota lebten. Davon stammten fünf aus Oberelz, vier aus Mannebach, drei aus Arbach und eine aus Bereborn. Aus dem Kreis Adenau wanderten zwischen 1840-1858 insgesamt 3136 Personen offiziell aus. Die meisten nach Nordamerika, in die USA.

Anmerkungen:

1. Danach war Wilh. Eis 1801 geboren (seine Ehefrau Katharina Diederich 1804). In den Auswanderungsakten ist das Geburtsjahr von Wilhelm Eis mit 1807 angegeben (Dr. H.E. Freund, Emigration records, Illinois 1991). Hier können die Kirchenbücher und die standesamtlichen Register Klärung schaffen.

2. Cens = Cents, 1 Dollar = 100 Cents

3. Büschel ist ein altes englisches Getreidemaß, mit dem auch heute drüben noch gerechnet wird. Bei normalem Feuchtegehalt gilt ein Büschel zirka:

14,5 kg Hafer 21,7 kg Gerste 25,4 kg Roggen 27,2 kg Weizen. Man kann also 1 „Büschel" Roggen ungefähr 1/2 Zentner rechnen.

4. Der Ausdruck „Kurant" wurde im 17. - 19. Jh. für vollwertige Zahlungsmittel (Silbermünzen) verwandt. Preußisch Kurant war das Währungsgeld Preußens.

5. Scheffel war ein altes Getreidemaß, das in Preußen ein Volumen von 54,96 Liter hatte. Die Gewichte rechnen sich nach dem spezifischen Gewicht der Getreidearten. Das beträgt bei Weizen je nach Feuchtgehalt 0,7 - 0,8 kg/l. Mathias Eis hat aus Erfahrung die Umrechnung in Scheffel vorgenommen.

6. „Patte und Göte" = „Patt und Jött", = Pate und Patin, meist Taufpaten.

7. „Kost und beten" heißt hier nicht Kost und Gebet (z. B. eine Messe für die glückliche Überfahrt), sondern „Kost und Betten" also Verpflegung und Schlafmöglichkeit in Betten während der Atlantiküberfahrt.

 

Die Kinder des Auswanderers Peter Gundert aus Lirstal 1937

8. Esq. = Esquire (gesprochen: Iskwair). Das war im alten England

mehr als eine bloße Anrede Mister = Herr. Esquire bedeutete Edelmann. So bezeichnete man in der Feudalzeit die Schildträger, die angehenden Ritter, aberauch dieLandbesitzer waren „a squire", ein Skwair. Schließlich wurde Esquire ein Höflichkeitstitel, den man, meist als Esq. abgekürzt, hinter den Namen setzt, sofern der Betreffende keinen Titel wie Dr. u. a. hat, der vorden Namen gesetzt wird.

9. P. O. = Post office = Postamt. Dort brachte man damals die Briefe noch hin und holte sie dort ab. S. Verf., Jahrb. Daun 1992, 43ff.

10. Stearns C. = Stearns County, der Landkreis Stearns im Staate Minnesota. Das abgekürzte Wort O. konnte ich noch nicht auflösen. Vielleicht eine Kurzform von ,of or on' (?).

11. s. Franz-Josef Ferber / Erich Mertes / Reinhard Steffens, Kreis Daun, Bilder aus vergangenen Tagen, 1985, 10, 155.

12. Minneapolis ist eine Großstadt am oberen Mississippi im Osten des Staates Minnesota, die 1975 rund 378.100 Einwohner hatte, aber mit dem Umfeld und der am Fluß gegenüberliegenden Stadt St. Paul sogar über zwei Millionen. Minneapolis ist einer der größten Weizenmarktplätze in den USA und die dortige Getreidebörse eine der bedeutendsten der Welt.

13. siehe Verf., Währungen in der Eifel, Eifeljahrbuch 1992, 109ff.

14. siehe Verf., Das Bauernsterben, Landesurkundl. Vierteljahresblätter Trier, H. 1/1990, 29ff.

15. siehe Verf., 500 Jahre Post in der Eifel, Heimatjahrbuch Kreis Daun 1992, 43ff.

16. in Bücherei des Eifelvereins in Mayen, Nr. Ga-343-b.