Der protestantische Einfluß in der Grafschaft Manderscheid-Schleiden

Erwin Schöning, Gerolstein

 

Als Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen über den Ablaß und das Wesen der Buße in Wittenberg veröffentlichte, hatten diese Auswirkungen im gesamten Deutschen Reich. Die römisch-katholische Kirche besaß um 1500 in Deutschland ein Drittel des gesamten Bodens. Ein Wohlstand, der aber in erster Linie den hohen geistlichen Würdenträgern und den Klostergemeinschaften zugute kam. Besonders der Adel sah die Klöster als Versorgungseinrichtung für seine Söhne und Töchter an. Die Folge war, daß viele der Klosterangehörigen nicht aus reiner Berufung in den Orden eintraten und daher schlechte Vorbilder für die Gläubigen waren.

Wie es damals in den Klöstern aussah, verdeutlicht der Bericht einer vom Papst Gregor XIII. eingesetzten Kommission, die die Zustände in der Abtei Prüm untersucht hatte. In diesem Bericht vom 1. Februar 1574 heißt es unter anderem: „Die Abtei sei durch die Sorglosigkeit der Äbte, namentlich des jetzigen (Christoph Graf von Manderscheid 1546 bis 1576) in einen verunstalteten Zustand geraten ... jetzt gleiche die Kirche einem Kuhstall, derChoreinem Fischteiche voll Koth, da er wegen Schadhaftigkeit des Daches dem Regen ausgesetzt sei..."1) 

Über das verwahrloste Leben des Abtes Christoph wird angeführt: „Seit zwanzig Jahren habe er kaum zweimal die Kirche betreten... er trage nur weltliche Kleider... es fehle so an Geld, daß nicht einmal das Blechdach der Kirche ausgebessert werden könne. Trotz dieses Mangels lebten Freunde und Verwandte des Abtes, meist Lutheraner, mit Dienern und Pferden auf Kosten des Klosters, während die Mönche kaum ihren Hunger und Durst stillen und ihre Blöße bedecken könnten..."2)

Im Norden, Osten und in der Mitte des Reiches fand Martin Luther damals zahlreiche Anhänger, im Westen und Süden weniger. Besonders in der Eifel herrschten andere Verhältnisse.

Dieses Gebiet teilten sich die Kurfürsten von Trier und Köln und die Herzöge von Luxemburg und Jülich. Auch das Haus Manderscheid regierte über ein ansehnliches Territorium, und diese Territorialherren bestimmten auch die Religion ihrer Untertanen (cuius regio, eius religio „wessen das Land, dessen die Religion"). 

Dietrich IV. (1501 - 1551) Graf von Manderscheid, Blankenheim und Virneburg, Herr in Schleiden, Kerpen, Rüxheim, Saffenburg, Daun, Neuenstein, Kronenburg und Neuerburg war durch den Tod seines Bruders Kuno und den Verzicht seines Bruders Ulrich alleiniger Erbe des ansehnlichen Besitzes geworden. Durch die Heirat mit Margaretha von Sombref war Kerpen an das Manderscheider Haus gekommen. Wegen seiner Verdienste in Staatsgeschäften bestätigte Kaiser Karl V. die dem Haus Manderscheid von den Kaisern Friedrich III. und Maximilian l. erteilten Privilegien. 1549 wird Dietrich sogar von Kaiser Karl V. mit dem Haus Schileiden und Zubehör belohnt. Man nannte Dietrich auch den Älteren oder den Weisen. 

Dietrich IV. hatte sich Johannes Sleidanus als Hofmeister und als Lehrer seines Sohnes Franz an den Hof geholt. Sleidanus, der um 1506 in Schleiden geboren wurde, hatte Jura studiert und war Sekretär des Kardinals du Bullay in Paris gewesen, wo er auch dem Schmalkaldischen Bund auf französischer Seite diente. Der Einfluß von Sleidanus am Hof mag dazu beigetragen haben, daß Dietrich IV. dem Protestantismus zugeneigt war.

Als der zweite Sohn Franz noch vor seinem Vater starb, dessen zweite Ehe mit Elisabeth von Neufchatal kinderlos geblieben war, erbte sein Sohn Dietrich V. (1551 -1560) den gesamten Besitz. 1532 hatte dieser die Witwe des Grafen Eberhard von der Mark-Arenburg, Erika von Waldeck, geheiratet. Auch Dietrich V. neigte zum lutherischen Glauben und führte die Reformation nach dem Augsburger Bekenntnis  in Schleiden ein. Während seiner Regierungszeit zogen viele Lutheraner und Calvinisten in die Grafschaft.

Von den sechs Söhnen Dietrichs V. trat Dietrich VI. 1560 die Nachfolge an. Wie sein Vater bekannte auch er sich zur lutherischen Konfession. Er befahl den Pastoren und Kirchendienern der Grafschaft Virneburg, den Untertanen, sofern sie dies wollten, das Sakrament des Abendmahls in beiderlei Gestalt zu geben. Einige Untertanen hatten sich wegen der Verweigerung des Sakraments „des wahren leibs und bluts" Jesu Christ beschwert.3) 

Zehn evangelische Pfarrer überreichten ihm 1585 eine Bittschrift, in der sie baten, die „Sacra-mentierer und Calvinisten" aus seinem Gebiet auszuweisen. Verfasser dieser Bittschrift waren die Pfarrer Johann Deutz und Johann Wilhelm aus Schieiden, Michael Mauthardt von Waldburg aus Kronenburg, PeterStösseraus Üxheim, Sixtus Hofmann aus Dockweiler, Daniel Gendorp aus Dahlem, Christian von Remagen aus Ormont, Reiner von Kali aus Udenbrett und Peter Bleßling aus Uedelhofen. 

Auch in Gerolstein und anderen Orten um Gerolstein waren evangelische Gemeinden. In dem Bericht der päpstlichen Kommission vom 1. Februar 1574 über die Zustände in der Abtei Prüm heißt es über den Abt Christoph von Manderscheid: „...man zweifle, daß der Abt ein guter Katholik sei, da er mit Häretikern verkehre. Unter dem Schutz seines Verwandten, Arnold Graf von Manderscheid, verwalte der Prior Petrus die Pfarrei Sarresdorf auf protestantische Weise. Dieser habe sich hundert Malter Roggen aus dem Zehnten angeeignet." 4) 

Dietrich VI. stirbt im Jahre 1593. Mit ihm erlosch der Mannesstamm der Schleidenschen Linie der Grafen von Manderscheid. Die Nachfolge trat Philipp von der Mark, Herrzu  Lüman, an, der mit Dietrichs Schwester Elisabeth verheiratet war. Philipp kam dem Testament Dietrichs nach und änderte an der Religion nichts. Erst als die Grafschaft nach Philipps Tod (1612) an seinen streng katholischen Sohn Ernest fiel, trat eine Änderung ein, obwohl die Protestanten sich vor der Huldigung das Versprechen geben ließen, das Testament Dietrichs zu achten sowie das Versprechen seines Vaters „...das Exercitium der wahren unveränderten augsburgischen Confession zugethanen Religion allhierwie bis dahero, also auch ins künftige und vorhin ohne einigen Eintracht oder Hinderniß zu haben, behalten und lassen" zu halten.5) 

Ernest gab daraufhin feierlich das Versprechen, „die Bürgerschaft zu Schieiden nicht allein bei allen politischen Freiheiten, Recht und Gerechtigkeit, sondern auch in specie bei freier öffentlicher Verübung der evangelischen Religion, wie dieselbe in offenbaren Kirchen allhie bis daran exerziert, erhalten und gefunden worden, nicht zu turbieren, sondern gnädig zu manute-nieren." 6)

Ernest von der Mark hielt sein Versprechen, solange seine Untertanen bei der Augsburgischen Konfession blieben. Als aber die Schleidener Protestanten die vertriebenen Reformierten aus Aachen in ihre Kirchengemeinde aufnahmen, bestärkte ihn dies in den Glauben, daß auch seine protestantischen Untertanen dem reformierten Bekenntnis zugetan waren, denn die Protestanten in Schleiden hielten sich bei ihrem Gottesdienst keineswegs an alle „Zeremonien", die die Augsburger Konfession vorgab und die in der sächsischen Kirche in Gebrauch waren. Deshalb glaubte er mit Recht, der protestantischen Gemeinde in Schleiden die öffentliche Religionsausübung kündigen zu können, weil ihre Mitglieder heimliche Calvinisten waren.

Ernest ließ sich dennoch in Verhandlungen mit seinen protestantischen Untertanen ein und faßte seine Bedingungen in sieben Artikeln. Es zeigte sich aber, daß die Protestanten sich diesen nicht fügen wollten. Viele wohlhabende Familien verließen die Grafschaft Schleiden, was sich besonders nachteilig auf die Industrie und den Handel auswirkte. Ernest war dennoch nicht bereit, von seinen Grundsätzen abzurücken.

Die zurückgebliebenen Protestanten hatten schwer unter der Intoleranz der katholischen Mitbürger zu leiden. Erst 1698 erließ Graf Ludwig Peter von Köln aus ein Edikt mit folgendem Inhalt: „Wir, Ludwig Peter, Graf zu der Mark und Schleiden, Freiherr von Lumain und Serain, Herr zu Kerpen, thun kund, daß auf unterthäniges Ansuchen unsrer so reformirter als lutherischer Religion zugethanen denselben gnädig erlaubt und zugelassen, daß ihre Prediger in Stadt und Land ihre Glaubensgenossen besuchen, die Kinder in vorfallender Noth taufen, doch daß zuförderst dieses der Kinder halben bei uns oder unserm Amtmann angegeben werden, der unentgeltlich solches zulassen soll. Weiters erlauben wir den Predigern, ihre Kranken ohne Zulauf andrer zu bedienen, wie auch ihre Verstorbenen durch ihre Prediger mit Gesang, wie so vor älter Zeit geschehen ist, etlichen Sprüchen und Gebet auf ihrem Kirchhofe außer der Stadt zu begraben."7)

In der Grafschaft Gerolstein schützte Graf Hans-Gerhard von Manderscheid-Gerolstein (1548 -1611) die Calvinisten und Lutheraner. Graf Hans-Gerhard stand vermutlich auch unter dem Einfluß von Johann Sleidanus und hat dadurch die Reformation in seinem Gebiet begünstigt. Er hatte den abtrünnigen Mönch der Abtei Prüm, Peter Stösser (1566 - 1571), als reformierten Pastor in die Pfarrei Sarresdorf geholt. Stösser wird auch als Pfarrervon Üxheim geführt. Er war ein Priester, der mit der Kirche innerlich längst gebrochen hatte. Ein Schreiben des Abtes Christoph von Prüm vom 24. Juni 1570, selbst ein Graf von Manderscheid, informierte den Grafen Hans-Gerhard, daß „der Benediktiner Stösser der alten christlichen Religion und der katholischen Kirche abgestanden sei, seinen Eid und seinen Pflichten gröblich vergessen habe". Er erwähnt, daß „er Sodomie begangen und dem Konkubinat huldige." 8) Abt Christoph bittet Graf Hans-Gerhard um Stössers Abberufung. 

Auch der Erzbischof Salentin von Köln wendet sich am 20. September 1570 an Graf Hans-Gerhard von Manderscheid mit der Klage und dem Vorwurf, daß er Stösser in Schutz nehme, der auch kirchliche Zehnten an sich genommen habe. Graf Hans-Gerhard antwortete dem Abt von Prüm am 11. Februar 1571, daß er Stösser fallen lassen würde, wenn der Abt ihm einen evangelischen Mann der Augsburgischen Konfession „nominieren" würde.

Nach dem Tod Dietrich VI. scheint auch Graf Hans-Gerhard sich auf seine katholische Vergangenheit besonnen zu haben, denn in seinen letzten Regierungsjahren waren alle Pfarrstellen in der Grafschaft wieder mit romtreuen Priestern besetzt.

In Dockweiler, das zur Herrschaft Kerpen gehörte, begann 1559 unter Dietrich V. die Einführung der Reformation, die Dietrich VI. fortsetzte. Das Luthertum soll in Dockweiler 13 Jahre gedauert und auch einige Anhänger gefunden haben. Als lutherischer Pfarrer wird Sixtus Hofmann genannt. Als Graf Philipp von der Mark, Manderscheid und Virneburg, nach Dietrichs VI. Tod die Regierung übernahm, flüchteten die Protestanten in das SchleidenerTal. Als katholischer Pastor wurde Johann Stadtfeld (1594 -1644) eingesetzt.

Anmerkungen:

1) Carl Schorn: Eiflia Sacra, Neudruck der Ausgabe 1888, Osnabrück Otto Zeller 1966, S. 370 f.

2) Ebenda S. 371 ff.

3) Die Manderscheider. Eine Eifeler Adelsfamilie, Herrschaft - Wirtschaft - Kultur. Katalog zur Ausstellung. Rheinland Verlag GmbH -Köln 1990 S. 180.

4) Carl Schorn: Eiflia Sacra, S. 372 f.

5) Leonard Ennen: Geschichte der Reformation im Bereich der alten Erzdiözese Köln. Köln und Neuß. L. Schwann'sche Verlagshandlung 1849. S. 304.

6) Ebenda S. 304 f.

7) Ebenda S. 309 f.

8) Peter Schug: Geschichte der zum ehemaligen Kölnischen Eifeldekanat gehörenden Pfarreien der Dekanate Adenau, Daun, Gerolstein, Hillesheim und Kelberg. Herausgegeben von Professor Dr. Matthias Schuler, Trier 1956. S. 218.