Recht zu hängen und zu ertränken . . .

Gerichtsverhandlung des Hochgerichts Immerath 1660

Friedbert Wißkirchen, Daunä

 

Die Schulchronik Immerath berichtet, daß nach einer (nicht näher bezeichneten ) Urkunde ein Wilhelm, Herr von Dune, im Jahre 1300 mit dem Hochgericht Immerath belehnt worden sei. 1467 verlehnt Erzbischof Johann von Trier das Hochgericht zu „Ingmarot" wiederum an einen Wilhelm von Dune. 1486 geht das Hochgericht an Adam und Tilmann von Ensslingen, Schwäger des Johann von Dune, über. 1660 war, nachdem die Herren von Chriechingen ihren Anteil am Gericht durch das Aussterben im Mannesstamm verloren hatten, Philipp Ernst Graf von Daun alleiniger Grund- und Gerichtsherr. Grund- und Gerichtsherrschaft waren ihm vom Trierer Kurfürsten, als dem Schirmherrn, verlehnt worden.

Einer der wenigen Orte in Kurtrier, die ein eigenes Hochgericht hatten, waren neben Demerath, Gillenfeld und Strohn - Immerath. Bei Gillenfeld stellte dies keine Besonderheit dar, denn der Grundherr von Gillenfeld war der Stift St. Florin in Koblenz, die weltliche Macht übten als Erbvögte die Herren von Arenberg aus. Deme-rath, Strohn und Immerath aber gehörten zum großen Kurtrierischen Amt Daun. Für das Gerichtswesen im Amte Daun war aber das größte Gericht in Kurtrier, das „Campbücheler Hochgericht" zuständig. Es hatte seinen Namen vom „Kampbüchel", einem Distrikt in Daun, der sich vom Marktplatz in nördlicher Richtung erstreckt. Gegenüber dem heutigen Dauner Marktplatz ist hinter dem Kreuz noch heute der Gerichtsstein zu sehen. Trotz der herrschaftlichen Verbindung nach Daun konnten sich offenbar Hochgerichte in Demerath, Strohn und Immerath bilden und neben dem zentralen „Campbücheler Hochgericht" verselbständigen und behaupten. Bemerkenswert ist, daß das Gericht in Immerath kein einfaches Dorfgericht mit der niederen Gerichtsbarkeit war, sondern auch die Strafgerichtsbarkeit mit allen Konsequenzen ausübte. Die Hochgerichtsbarkeit beinhaltet das „Richten über Hals und Bauch", also die Straf- und Blutgerichtsbarkeit bis hin zur Todesstrafe. Daneben wurden auch weniger schwere Vergehen im Rahmen der mittleren Gerichtsbarkeit wie „Schuld, Gut, blutige Wunden, Ehre und Glimpf" bestraft.

Aber auch Streitigkeiten, die wir heute der Zivilgerichtsbarkeit zuordnen würden, wie Eigentums-, Erb-, Nachbarschaftsstreitigkeiten wurden bei den Gerichtsterminen verhandelt. Die Gemeinde war nicht selbst Träger des Gerichts, sondern nurüberdie Berufung derSchöf-fen aus der Mitte der Gemeinde beteiligt. Das Gericht erstreckte sich lediglich auf den Gemeindebann und Personen, die im Gericht lehensfähig waren. Dennoch mußte die Gemeinde an der Gerichtsbarkeit mitwirken, denn das Hochgericht war zuständig für Angriff, Verwahrung und Exekution des Verbrechers, wobei sich bei der Ergreifung des Täters die Gemeindemitglieder zu beteiligen hatten, soweit es erforderlich war.

Vielfach bestanden die Hochgerichte aus vierzehn Gerichtsschöffen; das Immerather Hochgericht - als kleines Gericht - setzte sich aus sieben Schöffen zusammen. Schöffen konnten nur „ehrbare und fromme Leute" werden, die bei den jährlichen Gedingtagen gewählt wurden und anschließend „kniend vor einem Kruzifixbild mit zwei Wachskerzen, zwei vordere Finger der rechten Hand an das Bild gelegt", den Schöffeneid ableisten mußten. Sie schworen, unparteilich, gerecht und verschwiegen und zum Wohl des Gerichts und der Gemeinde in Verantwortung vor Gott und ihrem Grundherrn ihr Amt auszuüben. Neben den Gerichtsschöffen war auch ein Gerichtsbote zu bestellen, der einen „Boteneid" ablegen mußte. Der Gerichtsbote hatte vor allem die Aufgabe, den Grund- und Gerichtsherrn über das Ergreifen von Missetätern zu unterrichten und die streitenden Parteien zu Gerichtsterminen zu laden.

- Weistum von 1660 -

Beim jährlichen Geding am zweiten Montag nach Dreikönigstag des Jahres 1660 waren in Haus und Scheune des Schultheißen Nicolaus Marß im Immerather Unterdorf anwesend: Philipp Ernst, Graf von Daun, der Kellner Heinrich Ludwig Bohlen als Vertreter des Kurfürsten, die Schöffen des Hochgerichts und die Untertanen und Lehensleute.

Auf die Frage, wer der Gerichtsherr des Hochgerichts Immerath sei, bestätigte der Schultheiß:"Binnen dem Gericht wissen wir niemand anders von Grund- und Hochgerichtsherren zu erkennen ... als den Herrn Grafen von und zu Daun". Auf die Frage nach der Gerechtigkeit (=Gerichtshoheit) erklärten die Schöffen, daß der gnädige Herr zu Daun Gewalt habe zu „hänken" und zu „ertränken", „alle hohe und niedere Grundgerechtigkeiten zu richten über Hals und Bauch".

- Gerichtstage in Immerath -

Der Gerichtsbote Johannes Meyer aus Immerath hatte den gräflichen Auftrag, die Schöffen des Hochgerichts, die Angeklagten, die streitenden Parteien und Zeugen für den 3. und 4. September des Jahres 1660 in die Scheune des Immerather Schultheißen und Schöffen Nicolaus Marß zu laden, wo die jährlichen Gedinge und Gerichtsverhandlungen und auch die diesjährigen Gerichtstage stattfinden sollten. Es standen eine Reihe von Verfahren an, die nicht an einem Tag verhandelt werden konnten.

Oft fanden Gerichtsverhandlungen im Freien unter der Linde, als dem bekannten Gerichtsbaum, oder in einer Scheune statt, weil kein eigenes Gerichtsgebäude vorhanden war. So auch in Immerath, wo man in die Scheune des Schultheißen Marß auswich. Vermutlich lagen Wohnhaus und Scheune gegenüber dem heutigen Schul- und Backhaus; noch heute nennt man den früheren Eigentümer des Grundstücks mit Hausnamen „Scholzen" (=Schultheiß). Wenn das Amt des Schultheißen über mehrere Generationen innerhalb der Familie blieb, erhielt die Familie und das Haus oft den Dorfnamen „Scholzen, Scholtes". Gerichtstage waren zugleich im dörflichen Alltag Abwechslung und Spektakel für das Dorf und darüber hinaus. So war es nicht verwunderlich, daß bereits um neun Uhr morgens die Schöffen, aber auch viele Zuschauer in Gruppen zusammenstanden, sich begrüßten und lebhaft und laut Nachrichten und Neuigkeiten austauschten. Als letzter Schöffe ritt Mattes Marß aus Gillenfeld in den Hof ein und wurde von seinen Schöffenkollegen willkommen geheißen. Auf ein Zeichen des Immerather Schultheißen Nicolaus Marß nahmen die Schöffen auf ihren Schöffenstühlen Platz. Als Zeichen des Vorsitzenden saß Schultheiß Marß auf einem etwas erhöhten Stuhl und hielt in seinen Händen einen Stab. Links von ihm hatten Niclas Scheffer, Jacob Blesers und Peter Scheffer, alle aus Immerath, und rechts Mathes Marß, Schöffe und Schultheiß in Gillenfeld, Franz Hieronimus aus Unterwinkel und Joannes Marß von Lutzerath Platz genommen. Dicht drängten sich die Leute aus Immerath und den umliegenden Orten in und um die Scheune, wagten Prognosen über den Ausgang der zu verhandelnden Streitigkeiten oder das Strafmaß.

Mittelalterliches Gericht. Im Hintergrund die verschiedenen Todesstrafen

Schultheiß Nicolaus Marß klopfte drei mal mit seinem Stab auf den lehmgestampften Boden der Scheune und sogleich legte sich das Ge-murmel. Er eröffnete den Gerichtstag, erinnerte die Schöffen an den geleisteten Eid und mahnte sie zur Gerechtigkeit. Er verbot Gewalt, Schelte und Schmähworte während der Verhandlung; niemand sollte dem anderen ins Wort fallen, es sei denn, um es zu berichtigen. Dann rief er den ersten Fall auf: Üble Nachrede, Bezichtigung der Zauberei.

Maria Zoinertz stand vor den Schöffen und wurde beschuldigt, die benachbarten Weiber der Zauberei bezichtigt zu haben. Auf Frage des Schultheißen gesteht sie ihre Schandtat nicht ein, sondern weist darauf hin, daß die Hausfrau des Jacob Claußen Hexenfähigkeiten besitzen müsse, weil sie besonders gut tanzen könne. Die Hexen trafen sich - so die Vorstellung im Mittelalter- zum Hexentanz an einem geheimen Tanzplatz. Wenn eine Frau gut tanzte, führte dies sehr leicht zu der Anschuldigung, sie sei eine Hexe.

Die Kläger - Ehemänner der als Hexen bezeichneten Frauen - alle Mitglieder des Gemeinderates - beharren auf ihrer Anklage. Dann ruft Schultheiß Marß die Zeugen auf. Er befragt zunächst den Schafhirten Bernhard Hilgers, 17 Jahre, der bestätigt, daß die Angeklagte es als Wunder bezeichnet habe, daß ihr Vieh noch nicht erkrankt sei, bei so vielen Hexen in der Nachbarschaft. Auch Luchers Paul aus Gillenfeld, 81 Jahre und Viehhirt in Immerath, erzählt, daß die Angeklagte beim Viehhüten viel von der Hexerei gesprochen und erwähnt habe, daß mehrere Häuser des Dorfes von der Hexerei befallen seien. Auch der Sohn der Beklagten wird gehört, kann oder will nichts sagen. Die Schöffen beraten sich ausgiebig, dann verkündet der Schultheiß das Urteil: In Sachen der Gemeinde Immerath gegen Maria Zoinertz wegen ehrlästerlicher Nachreden wird die Angeklagte verurteilt, die „übel ausgegossene Schmährede" öffentlich zu widerrufen, die Nachbarn um Verzeihung zu bitten und zukünftig böswillige Anschuldigungen zu unterlassen. Es wird eine Herrenstraf von 2 Rtlr. 27 alb. ausgesprochen. Anschließend zerbrach der Schultheiß einen Stab als symbolisches Zeichen, daß Recht gesprochen war. Bereits in fränkischer Zeit war der Stab Symbol der Gerichtsgewalt. Als zweiter Fall kam die Sache Scheffer Nicolas./.Margaret Jacobs wegen übler Nachrede und Ehebruch zur Verhandlung.

Nicolas Scheffer hatte Klage erhoben, weil seine Frau Barbara in ihrer Ehre verletzt worden war. Margaret Jacobs behauptete öffentlich, daß ihr Ehemann Clauß mit der Barbara Scheffer ehebrüchig sei. Diese locke ihren Mann mit allerlei Leckereien, lasse ihn nicht in Ruhe und verführe ihn. Nach Anhörung der Zeugen entscheidet das Gericht in der „Schmähsache", daß der Beklagten untersagt wird, ihren Mann

und ihre Nachbarin Barbara Scheffer in ehrenrühriger Form anzugreifen. Sie mußte sich verpflichten, die grundlosen Beschuldigungen vor der ganzen Gemeinde zu widerrufen und die Betroffenen um Verzeihung bitten. Sollte sie auch künftig nicht Ruhe und Frieden halten, werde sie „am Leib gestraft" und an den Pfahl (Schandpfahl = Pranger), gestellt. Die Beklagte mußte darüber hinaus 3 Rtlr. und 2 1/2 alb. an Gerichtskosten tragen.

Als letzter Fall kam am Vormittag der Diebstahl eines Pfluges zur Verhandlung. Der Beklagte, Mathes Wirz aus Gillenfeld, war nicht erschienen. Der Schultheiß beauftragte den Gerichtsboten, ihn nochmals zu laden. Bei Nichterscheinen müsse er mit der Vorführung rechnen.

Es ist Mittagszeit und der Duft von Braten und frischem Brot zieht bis in die Scheune, so daß den Umstehenden das Wasser im Munde zusammenläuft. Die Frau des Schultheißen, Tochter und Magd waren seit dem frühen Morgen mit der Zubereitung des Essens beschäftigt. Endlich wurde aufgetragen: Zuerst Erbsen mit Speck, das Fleisch drei Finger über die Schüssel hinausragend, dann wurde Rindfleisch mit Senf und Brot aufgetischt und zum Schluß Weißbrot. Dazu gab es einen Wein aus Ürzig.

Am Nachmittag wird gegen Henkhen Peter vom „Henkhenhof" verhandelt. Ihm wird vorgeworfen, an Mordtaten „auf Lutzerather Busch" beteiligt gewesen zu sein und den Hans-Jacob Leonhard von Lutzerath angestiftet zu haben, „dem Schultheißen Nicolaus Marß an der Ueßbach aufzulauern, denselben mit einer Higil (= kurze Axt) totzuschlagen und ihn anschließend in die Bach zu werfen". Peter Henkhen bekennt, an den erstgenannten Mordtaten interessiert gewesen zu sein, sich aber vorher „abgesondert" zu haben. Die Mordabsichten gegenüber dem Schultheißen und das Dingen eines Mörders bestreitet er. Neben Henkhen Peter wird auch sein Vater Niclaus der Anstiftung zum Mord beschuldigt. Aber auch er weist alle bösen Absichten gegenüber dem Schultheiß weit von sich.

Lange hat sich die Verhandlung hingezogen, aber viele Fragen sind noch offen. Ein Zeuge aus Wollmerath ist erst für den nächsten Morgen geladen. So endet am späten Nachmittag die Verhandlung und die auswärtigen Schöffen reiten in ihre Dörfer zurück, nur der Scheffe Franz Hieronimus aus Unterwinkel bleibt alsGast im Hause Maas. Dies ist ihm nicht unangenehm, bietet sich doch die Gelegenheit, mit der Tochter des Hauses, die im heiratsfähigen Alter ist, Kontakt zu knüpfen. Ein Schultheißenamt, das er später vielleicht von seinem zukünftigen Schwiegervater übernehmen könnte, bot auch Aussicht auf ein gutes Einkommen und hohes Ansehen.

Bereits am nächsten Morgen wird früh um neun Uhr weiterverhandelt. Den Vorsitz hat Schultheiß Marß aus Gillenfeld eingenommen, denn sein Kollege aus Immerath ist ja als Kläger befangen und darf nicht bei der Verhandlung mitwirken. Als Zeuge wird Hans-Jacoben Leonhards aus Wollmerath aufgerufen, zur Wahrheit ermahnt und vereidigt. Er spricht den vorgeschriebenen Eid: „Ich, Hans Jacoben Leonhard, will recht Antwort geben als mir Gott helfe und die Heiligen." Dann berichtet er ausführlich über eine Zusammenkunft am „Kehrborn" mit Henkhen Peter und Niclaus, wo beide ihm den Auftrag zum Mord gegeben hätten. Schließlich gesteht der Henkhen Peter den geplanten Mordanschlag.

Der Angeklagte wird weiter beschuldigt, auf Strotzbüscher Hoheit (= Gemarkung) einen Bienenstock gestohlen und ihn anschließend dem Claus Steinborn von Wagenhausen verlehnt (= verpachtet) zu haben. Der Beklagte gesteht diesen Diebstahl, bekennt aber, daß er dies unbedacht gemacht habe und die Tat bereue. Lange sitzen die Scheffen des Hochgerichts zusammen, um zu einer Urteilsfindung zu kommen. Wegen des gestohlenen Bienenstocks soll der Beklagte „einen Frieden" mit dem Bestohlenen machen. Wegen der Mordtaten „auf Lutzerather Busch" wird Gnade walten gelassen, weil er sich nicht beteiligt hat. Nur unter Berücksichtigung der unschuldigen und unmündigen Kinder der Beklagten werden Peter und Nicolaus Henkhen zu einer Herrenstrafe von 31 Rtlr. und 401/2 alb. wegen des geplanten Mordkomplotts verurteilt. Hinzu kamen noch die Gerichtskosten von 3 Rtlr. und 121/2 alb. Schultheiß Marß aus Gillenfeld, der den Vorsitz führte, machte eines deutlich: Sollten die Beklagten auch weiterhin gleiche Taten begehen und überführt werden, würden sie exemplarisch am Leib gezüchtigt. Leibstrafen waren das Auspeitschen, Verstümmelungen, das Abhacken der Hand (bei Diebstahl) bis hin zum Erhängen oder Ertränken.

Darstellung der Strafen Verbrennen, Hängen, Blenden, Aufschlitzen, Rädern, Auspeitschen, Enthaupten, Handabhauen

Anschließend wird der Pflugdiebstahl verhandelt, obwohl der Beklagte Mathes Wirz aus Gillenfeld „halsstarrig ausbleibt". In Abwesenheit wird er zu einer Herrenstraf von 6 Rtlr. und 131/2 alb. verurteilt. Der Diebstahl geschah am Feiertag Marie Geburt; deshalb wurde ihm außerdem auferlegt, an die Kirche eine Spende machen. An den Bestohlenen Jacoben Blesers hatte er 1 Rtlr. an Unkosten zu zahlen und natürlich auch die Gerichtskosten.

Zwei lange Gerichtstage des Hochgerichtes Immerath gingen, nachdem drei weitere Fälle von Ehebruch, Kaufpreisstreitigkeiten wegen eines Gartens, Erbschaftsauseinandersetzungen und die Gewährung von Unterhaltskosten für eine Mutter, zu Ende. Schultheiß Marß und seine Schöffen waren froh, daß sie wiederum zu einstimmigen Urteilen kamen. Jetzt konnten sie sich dem Abendessen zuwenden und morgen wieder ihren alltäglichen Pflichten nachgehen.

Der Gillenfelder Schultheiß und Immerather Schöffe Mathes Marß und der Schöffe Joannes Marß aus Lutzerath ließen ihre Pferde satteln, der Schöffe Franz Hieronimus aus Unterwinkel machte sich zu Fuß auf den Heimweg.

Im Mittelalter waren Menschenleben wenig wert. Dennoch zeigen die Verhandlungen, daß auch bei schweren Verbrechen wie Anstiftung zum Mord, relativ geringe Strafen ausgesprochen wurden, der Schöffenrat bei seiner Urteilsfindung immer auf den Ausgleich und die Erhaltung des inneren dörflichen Friedens bedacht war. Der Hexenwahn des Mittelalters, der auch im Eifelraum zu vielen Folterungen, Verurteilungen und Exekutionen, insbesondere zwischen 1560 -1630 führte, scheint gebrochen zu sein. Das Gericht mag Anschuldigungen, daß jemand Hexenkräfte besitze, keinen Glauben schenken.

Das Weistum von 1660 gibt aber auch einige interessante Aufschlüsse und Einblicke in die Regeln des Zusammenlebens und die Kosten der Gerichtsbarkeit. Die sieben Scheffen des Hochgerichts erhielten zusammen als Gerichtskosten von jeder Partei, die am Verfahren beteiligt war, einen Gulden. Außerdem hatten die Scheffen an den Gerichts- und Dingtagen Essen und Trinken frei, wie der Gerichtsbote auch. Er erhielt für jede zu ladende Partei im Dorf 1 alb. und für auswärtige Parteien 3 alb., bei längeren Wegen mehr. Ebenso wie die Scheffen bekam der Gerichtsbote von jedem Urteil oder einer Exekution 1 alb. An Kosten für Essen und Trank, für die Fütterung der Pferde berechnete Peter Marß, Sohn des Schultheißen, 16 Rtlr. 3 alb.

Für die Ergreifung eines Straftäters war der Schultheiß zuständig; die Dorfgemeinschaft war verpflichtet zu helfen, wenn der Schultheiß darum bat und er den Verbrecher nicht alleine überwältigen konnte. Das Dorf mußte auch den Stab oder Stock, also den Schandpfahl oder Pranger aufrichten und unterhalten. War ein Täterin den Stock geschlagen, lief der Gerichtsbote nach Daun und informierte den Gerichtsund Grundherrn. Die Nachbarn mußten den Verbrecher bewachen. Der Gefaßte wurde nach Daun in den „Trierer Turm" und nach sechs Wochen zur Verurteilung wieder nach Immer-ath gebracht. Bei einer Todesstrafe wurde das Vermögen des Verbrechers zur Bezahlung des Scharfrichters verwandt, Ehefrau und Kinder des Landes verwiesen. War kein Vermögen vorhanden, mußte der Grund- und Gerichtsherr, der Graf von Daun, die Kosten tragen. Wo aber wurde ein Todesurteil vollstreckt? Immerath gehörte zur Zenderei Ellscheid. Die Richtstätte für die Zenderei Ellscheid - jedoch nicht für alle Fälle - war „ Auf Thommen" bei Darscheid. Vielleicht fanden Hinrichtungen des Hochgerichts Immerath aber auch in Gillenfeld statt, wo an der heutigen Kreuzung Gillenfeld/EIIscheid/Winkel ein Galgen stand.

Anklage konnte auch nur derjenige erheben, der einen Bürgen benannte, der seine Anklage als wahrheitsgemäß bescheinigte. Konnte er keinen Bürgern stellen, mußte er, wie der Beklagte, auch ins Gefängnis. Unberechtigte Klagen konnten damit von vorn herein fast ausgeschlossen werden. Wie war es möglich, daß der Diebstahl des Bienenstocks auf dem Bann Strotzbüsch durch das Hochgericht Immerath verhandelt wurde? Wieso waren als Scheffen des Hochgerichts Immerath auch Männer aus Gillenfeld, Lutzerath und Niederwinkel berufen?

Beim Konvent und Jahrgeding 1660 ist unter der Frage: „Was sind die Frondienste?" auch „einheimisch" und „auswohnende" (außerhalb des Gerichts wohnende) Personen aufgeführt. Sie werden als „Lehensleut hierhin gehörig" bezeichnet und kamen aus den Dörfern Alflen, Eckfeld, Hontheim, Lutzerath, Strotzbüsch, Winkel und Wollmerath, Personen die zwar auswärts wohnten,aber in Immerath lehenspflichtig waren. Auch sie unterlagen der Hochgerichtsbarkeit in Immerath und mußten zum jährlichen Geding erscheinen. Daraus erklärt sich auch, daß die Schöffen des Hochgerichts nicht nur aus Immerath, sondern teilweise auch aus benachbarten Dörfern stammten.

Literatur und Quellen:

1. Archiv der Verbandsgemeinde Daun, Akte Immerath

2. Johann Dun, Urkundenbuch der Familie von Dune, Köln, 1909

3. Franz Roman Janssen, Kurtrier in seinen Ämtern, vornehmlich im 16. Jahrhundert, Bonn 1985

4. Kreisjahrbuch Daun, 1989 - Anton Sartoris, Aus dem „Weisthumb von Immerodt" 1660

5. Marlene Nicolay-Panter, Entstehung und Entwicklung der Landgemeinde im Trierer Raum, Bonn 1976

6. J.J. Scoti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen desChurfü-stentums Trier, Teil l, Düsseldorf 1832

7. Soldan-Heppe, Geschichte der Hexenprozesse, Lübeck-Leipzig 1938