Esek - Asino - Yàidapoc - Esel

Vollblut für Arme

Hans Illgen, Neroth

 

Viel Artgenossen gibt es nicht im Kreis Daun. Wozu auch? Sie werden nie bewundert, nur belächelt. Ihre Erscheinung reißt niemanden zu Beifallsstürmen hin, falls sie überhaupt jemand beachtet. Kurz und gedrungen ist ihr Körper, das Fell grau und struppig. Die Form des Kopfes ist plump und kantig, die Augen können zugleich traurig und listig dreinschauen und die Ohren, ja diese markanten Gebilde überragen einfach alles; was hat die Gattung nur verbrochen, daß man ihr solche Ohren gab?

Internationale Rennplätze, auf denen sich die High-Society der Vier- und Zweibeiner tummelt, haben die Esel nie betreten. Weder Pfleger, Trainer und Arzt kümmern sich ständig um sie, noch kommt ein gut betuchter Besitzer täglich mit großem Wagen vorbeigefahren, um ihnen einen Leckerbissen zuzustecken und sich mit ihren Erfolgen zu brüsten. Keine zartgliedrige Damenhand wird sich jemals darum reißen, den grauen Kopf zu streicheln und den kurzen Hals tätscheln zu dürfen. Ihr Zuhause ist eine kahle Wiese und ein halb verfallener Verschlag, der sie vor dem schlimmsten Wind und Regen schützen soll.

Die Kunst der Hohen Schule werden sie nie erlernen, nie den Parcours bei Springturnieren bewältigen. Ein Hindernis überwinden sie nicht mit mächtigem Sprung, sie weichen ihm aus oder kriechen darunter durch; ein Lorbeerkranz mit bunten Bändern hat ihren Hals noch nie geschmückt.

Selten jubelte das Publikum und applaudierte, wenn sie ihre Kunststücke zeigten. Man erzählt sich höchstens dumme, beleidigende Geschichten über sie und amüsiert sich noch dabei.

Keiner hat jemals behauptet, diese Tierart sei die absolut Schnellste, wie sollte sie auch, bei den X-Beinen. Böse Zungen sprechen von störrischen, trägen und faulen Gesellen. Das aber ist ihr Charakter, da kommt keiner ihrer schönen edlen Artgenossen mit, die sich für ein Stückchen Zucker oder durch einen Peitschenhieb an den Menschen verkaufen. Wenn sie nicht wollen, vermögen keine Leckerbissen sie zu überreden, auch nur einen Schritt zu tun. Peitschen, Besenstiele und gewalttätige Schläge nötigen dem Vierbeiner nur ein geringschätziges Augenzwinkern oder Ohrenwackeln ab. Wird es allzu arg, bockt kurz und keilt dabei mit den Hinterbeinen aus, um sich gleich nach diesem ungeheuren Temperamentsausbruch wieder seelenruhig hinzustellen.

Der Wortschatz birgt nur einen einzigen Laut, den aber kennen wir alle genau. Nur bei besonderen Gelegenheiten gibt das Tier sein wohlbekanntes, ohrenzerreißendes l-a von sich und man möchte taub werden bei diesem Geschrei. Besitzt man aber einmal das Vertrauen, so beweist der Esel immer wieder seine Zuneigung. Kinder liebt er über alles und ist ihnen ein getreuer Spielgefährte. Mit ihnen auf dem Rükken trabt das sonst eher träge kleine Tier über die ganze Wiese und läßt sich sogar vor einen Wagen spannen, um die Freunde fleißig zu ziehen.

Er hat es gern, wenn Kinder ihn striegeln und bürsten und die spärliche Mähne kämmen. Sie dürfen den Kopf kraulen und den Hals tätscheln, ohne vor dem Biß der scharfen Zähne, den auskeilenden Hinterbeinen Angst haben zu müssen. Im Gegenteil, zufrieden legt der Graue die langen Ohren zurück und hält dabei schon wieder mit listigem Augenzwinkern nach einem neuen Leckerbissen Ausschau. Tag für Tag wartet er geduldig am Zaun auf die Kinder, die es nie versäumen, den kleinen, störrischen Esel zu besuchen.

Auch mir ist er ans Herz gewachsen, ich freue mich, wenn ich ihn sehe und mein Gefühl sagt mir - wir beide mögen uns.