Lauscha -

Zentrum Thüringer Glaskunst

Rudolf Hoffmann, Lauscha

 

Die Suche nach einem geeigneten Standort für die Gründung einer Glashütte führte viele Glasmacher schon im frühen Mittelalter zum Thüringer Wald. Hier fanden sie vielerorts die damals für den Betrieb einer Glashütte erforderlichen Voraussetzungen: Holz zur Feuerung und Rohstoffe für die Glasschmelze. Während man die benötigten Materialien für die Herstellung des Glases, wie Quarzsand (Kieselsäure), den eigentlichen glasbildenden Stoff, und Kalk (Kalziumoxyid), das Härtungsmittel, noch relativ leicht auch aus weiterer Entfernung heranholen konnte, mußte das viele Holz zur Befeuerung des Schmelzofens und zur Bereitung der Pottasche (Kaliumoxid), dem sogenannten Flußmittel für die Glasherstellung, aus Transportgründen schon in der näheren Umgebung der Hütte verfügbar sein.

Wenn man bedenkt, daß etwa 1 000 Kilogramm Holz verbrannt werden mußten um aus der dadurch entstandenen Asche ein Kilogramm Pottasche zu gewinnen, wenn man sich weiter die Menge Holz vorstellt, mit der im Schmelzofen Tag und Nacht eine durchschnittliche Temperatur von etwa 1 100 bis 1 200 Grad Celsius gehalten werden mußte, dann wird es wohl erst so recht bewußt, in welch hohem Maße das Schicksal einer solchen Glashütte von der richtigen Wahl des Standortes abhängig war. Unter günstigen Bedingungen konnte sich so manche dieser mit Holzfeuerung ausgestatteten Hütten durchaus jahrzehntelang behaupten, doch letztendlich war für jede - bei der einen früher, der anderen später - die Verlegung oder gar Stilllegung unumgänglich. Diese sogenannten „Waldglashütten" kamen und vergingen, ohne große Spuren zu hinterlassen.

Die erste Glashütte, von der aus sich eine Kontinuität in der Entwicklung und Verbreitung der Glasmacherkunst auf dem Thüringer Wald direkt nachweisen läßt und aus deren Gründung auch eine geschlossene, dauerhafte Ansiedlung erwuchs, wurde 1525 von den aus Schwaben (in der Nähe von Göppingen) nach Thüringen eingewanderten Glasmeistern Hans Greiner und Jakob Poffinger im Langenbachtal bei Schleusingen gegründet. Die Genehmigung hierfür erhielten sie vom zuständigen Landesherren, dem Grafen Wilhelm zu Henneberg. Wohl nicht zuletzt deshalb nahm das Haus Henneberg die fremden Glasmeister bei sich auf, weil nach den Verwüstungen im Bauernkrieg auch im Henneberger Land ein großer Bedarf an Gebrauchsgläsern bestand, vor allem aber an zu Bruch gegangenen Fensterscheiben (Butzenscheiben).

Die Langenbacher Hütte bestand bis 1589 und mußte schließlich wegen Holzmangel für immer stillgelegt werden. So blieb auch dieser ersten Glashütte im Thüringer Wald, die zur Gründung eines Ortes führte und daher in Fachkreisen als „Dorfglashütte" bezeichnet wird, das Schicksal nicht erspart, welches mittelalterlichen „Waldglashütten" vorbestimmt war. Aber im Gegensatz zu diesen erlangte sie eine ganz andere Bedeutung; sie wurde zum Ausgangspunkt zahlreicher Glashütten, auch für die wohl bedeutendste im Thüringer Wald, die „Dorfglashütte" zu Lauscha.

159Z erhielten die nach der Stillegung ihres Langenbacher Glashüttenbetriebes erwerbslos gewordenen Glasmeister Hans Greiner (geb. um 1550, gest. um 1609 zu Lauscha), genannt „Schwabenhans", und Christoph Müller (geb. um 1545, gest. 1628 zu Lauscha) vom Coburger Herzog Johann Casimir die Konzession zur Gründung der Lauschaer Glashütte. Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die ohne wesentliche Unterbrechung bis heute fortgeführt werden konnte; das heißt, die weltweit anerkannte Lauschaer Glaskunst basiert auf einer 400jährigen Tradition. Während ihrer eigenen jahrhundertelangen Entwicklung hat sie das Profil des Thüringer Glases wesentlich mit geprägt. In ganz besonderer Weise gilt das für die künstlerische Gestaltung dieses faszinierenden Werkstoffes Glas. So bereicherten hervorragende Lauschaer Glasfachleute die Thüringer Glaskunst laufend mit neuen Glasarten, Techniken, Sortimenten, Formen und Dekors und bildeten die Eigenart des Lauschaer Glases immer mehr aus.

Große Bedeutung für die Kontinuität der Lauscher Glasindustrie und die Entwicklung der Glasbläserei im ganzen Thüringer Wald ist der Tatsache zuzuschreiben, daß es in Lauscha bereits nach der Mitte des 18. Jahrhunderts gelungen war, eine neue Technik der Glasverarbeitung einzuführen, die es möglich machte, Glasgestaltungsarbeiten nicht nur am Schmelzofen in der Hütte, sondern unabhängig davon auch in Heimarbeit durchzuführen. Man fand heraus, daß sich Halbfabrikate, Glasröhren und Glasstäbe, vor einer Öllampe mit Preßluftzufuhr - ab 1867 vor einem Gasbrenner - wieder erweichen und so zu verschiedenen Formen gestalten lassen. Im Gegensatz zu der bis dahin nur am Schmelzofen möglichen Verarbeitung des Glases, die man als Ofenarbeit oder Hüttenarbeit bezeichnete, hatte sich für die neue Art der Begriff Lampenarbeit herausgebildet.

Die Glasgestaltung „vor der Lampe" nahm nach und nach einen solchen Umfang an, daß es schon um 1900 in Lauscha kaum noch ein Haus gab, in dem nicht Glas geblasen wurden. Von da ab war es nicht mehr die Glashütte, sondern die in Heimarbeit ausgeübte Glasbläserei, die das Profil des Lauschaer Glases weiter prägte. Viele Neuerungen und Erfindungen haben hier ihren Ursprung und neue Erzeugnisse kamen dadurch auf den Weltmarkt.

So gelang es zum Beispiel dem Lauschaer Glasbläser Ludwig Müller-Uri (1811-1888) in Zusammenarbeit und auf Anregung führender Augenärzte, 1835 die ersten künstlichen Menschenaugen aus Glas (Augenprothesen) in Deutschland herzustellen uncLdann noch in Kooperation mit Lauscher Hüttenleuten ein für diese Erzeugnisse besonders gut geeignetes Glas zu schmelzen, das später auch von ausländischen „Ocularisten" bevorzugt wurde. Lange Jahre blieb die Methode der Herstellung künstlicher Menschenaugen aus Glas ein gut gehütetes Geheimnis in der engeren Familie des Erfinders; dann aber verbreiteten Nachkommen Ludwig Müller-Uris die Herstellung in ganz Deutschland und weit darüber hinaus. Dem hohen Ansehen der Lauschaer Glasaugenproduktion aber konnte dies alles keinen großen Abbruch mehr tun, zu tief war bereits im Bewußtsein der internationalen Fachwelt und der Öffentlichkeit die Herkunft der künstlichen Menschenaugen in Deutschland mit dem Namen Ludwig Müller-Uri und Lauscha verbunden.

Von ausschlaggebender Bedeutung fürdas Wirtschaftsleben Lauschas und der Region um den Glasbläserort sollte sich die Einführung der Christbaumschmuckproduktion erweisen. Erstmalig in Deutschland entstanden hier um die Mitte des 19. Jahrhunderts die silberglänzenden, bunt lackierten und bemalten Christbaumkugeln, Tannenzapfen, Nüsse, Sterne, Vögel und viele andere aus Glas geblasene Formen, die vor allem in der christlichen Welt jedes Jahr zur Weihnachtszeit Freude in Millionen Häuser bringen und Kinderaugen aufleuchten lassen. Die Herstellung des Christbaumschmucks erfolgte noch bis nach dem 2. Weltkrieg fastausschließlich in Familienbetrieben. Um 1900 hatte die Produktion bereits einen solchen Umfang angenommen, daß von Lauscha und einigen angrenzenden Gemeinden, in denen diese Produktion ebenfalls Fuß faßte, beinahe der ganze Weltbedarf an Christbaumschmuck aus Glas gedeckt wurde. Diese Art Monopolstellung wurde lange aufrecht erhalten, erst nach 1945 erwuchs den Lauschaer Christbaumschmuckherstellern in anderen Ländern, nicht zuletzt aber auch durch aus Lauscha und Umgebung nach Westdeutschland abgesetzten Firmen eine starke Konkurrenz, der sie sich heute noch zu stellen haben. Nach dem Zerfall der ehemaligen Sowjetunion und durch den eingetretenen wirtschaftlichen Ruin in den Ostblockstaaten ging für den Lauschaer Christbaumschmuck ein Marktanteil verloren, der bis jetzt noch nicht ausgeglichen werden konnte.

Zu den herausragenden Leistungen der Lauschaer Glasindustrie, die durch die Einführung der Lampenarbeit erbracht wurden, ist nicht zuletzt die sogenannte Kunstglasbläserei zu rechnen, das heißt die künstlerische Gestaltung des Glases zu Tierplastiken, Figuren und Gefäßformen verschiedenster Art. Zunächst nur von einigen wenigen als künstlerische Selbstbetätigung betrieben, wurde die Kunstglasbläserei nach und nach zum Hauptberuf vieler Einwohner Lauschas.

Schon beim Umgang mit dem zähflüssigen heißen Glas in der Glashütte, entwickelten sich Vorstellungskraft und Formgefühl der Glasarbeiter stärker als in manch anderen Berufen. Als sich dann mit der Lampenarbeit noch mehr Möglichkeiten zu schöpferischer Arbeit und zur Verwirklichung eigener Gestaltungsideen auftaten, kamen ihnen die in Hüttenarbeit erworbenen Fertigkeiten und Erfahrungen sehr zugute. So entwickelte sich die Kunstbläserei zu einem eigenständigen Zweig der Lauschaer Glasindustrie.

Der neue Beruf war bald sehr attraktiv, denn bereits 1872 konnten in der Gemeinde Lauscha 72 Familien registriert werden, die sich gewerblich mit der Kunstbläserei beschäftigten. Auch der Gemeinderat nahm diese Entwicklung mit Genugtuung zu Kenntnis und unterstützte die Kunstglasbläser nach Kräften. So richtete er für sie 1881 eine „Zeichen- und Modellierschule" mit Lehrwerkstatt ein und erhielt diese Art der Fachausbildung bis nach dem 2, Weltkrieg aufrecht. In der Lehranstalt haben alle Lauschaer Kunstglasbläser eine fundierte kunsthandwerkliche Grundausbildung erhalten. In den 60er Jahren nutzen viele der begabtesten Kunstglasbläser aus Lauscha, Neuhaus und Ernstthal die vom Museum für Glaskunst in Lauscha organisierten Weiterbildungskurse, die bis Fachschulabschluß führten. Andere bildeten sich autodidaktisch weiter und einige jüngere absolvierten eine Kunsthochschule. So konnte die Lauschaer Glaskunst ständig weiterentwickelt und auf ein hohes künstlerisches Niveau gebracht werden. Der Erfolg dieser gemeinsamen Anstrengungen von Glasgestaltern und Glasmuseum ist heute auch dadurch gekennzeichnet, daß es in und um Lauscha eine beachtliche Zahl international anerkannterGlasgestaltergibt. Ihre Werke sind einerseits stark vom Formgefühl und Stilempfinden unserer Zeit geprägt, aber auch unverkennbar eingebunden in die lange Tradition des Lauschaer Glases. Dies trägt dazu bei, daß sie nicht nur vom heimatlichen Spezialmuseum, sondern auch von den großen Kunstsammlungen, Museen und Galerien angekauft und ausgestellt werden.

Einen umfassenden Überblick über Entwicklung, Geschichte, Tradition und Eigenart des Lauschaer Glases vermittelt das bereits 1897 gegründete „Museum für Glaskunst" in Lauscha. Mit durchschnittlich 160 000 bis 180 000 Besuchern pro Jahr zählte es zu den meist besuchten Museen in der ehemaligen DDR.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrumpfte diese Zahl auf etwa ein Drittel. Die gewonnene Reisefreiheit nutzen nun verständlicherweise viele Bürger, um den ihnen fünfzig Jahre lang vorenthaltenen anderen Teil ihres Vaterlandes und westliche Länder kennenzulernen. Erfreulicherweise kann aber auch festgestellt werden, daß bis zu 80 % der gegenwärtigen Besucher des Museums aus den alten Bundesländern kommen.

Dies läßt die berechtige Hoffnung aufkommen, daß Lauscha mit seinem Spezialmuseum und der weltweit anerkannten Glaskunst bald wieder zum attraktiven Ausflugsziel wird.

Becher mit Liebespaar, Emailmalerei, 1747

Pokal Fadenglas Lauscha, 1930

Ziervase Hubert Koch, 1990

Ziervase Otto Schindhelm, 1985

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