Natur und Landschaft

Von der Gilge an die Kyll

Gerhard Monschewitz, Eschweiler

 

Dort, wo Reiher, Storch und Kranich

durchschritten das flache Land.

Wo die Schnepfen schaukelnd flogen,

über Sumpf und Moor.

Wo die Elche heimlich zogen,

durch das Bruch

und schwammen über's Haff

und durch die Gilge.

 

Dort, wo das Schweigen Sprache war

und Stille guter Gast.

 

Wo dumpf verhall'ner Ruf

der Dommel aus dem Schilf

die Sinne spannt

und an den Birken und auch Erlen,

dort im Moor,

die Lämmer läßt erzittern.

Wo Kalmusduft

die Nächte reich

und Tagesflimmern zart noch nährt.

 

Wo Sommer - Sonnenglut

vergoldete die großen Felder

mit dem Korn.

Und sich die Roggenmuhme

sputen mußte,

wenn die Schnitter kamen.

 

Wo über klare Wasserfluten

einst erscholl: „Hol über",

was dem Fährmann galt,

gefolgt von einer Glocke Läuten.

Wo noch der große, schwere Kahn

auf blauem Wasser uns das war,

wozu man heut' benötigt

Auto, Flugzeug und auch Bahn.

 

Du schönes, stilles Land! -

 

Doch über dunkle, weite Wälder

zog dann ein Raunen.

Und in die Sommerglut

da mischte sich ein Pulverdampf,

der alle Ruhe wohl zerstörte.

Der Mensch und Tier nicht schonte.

 

So tief kann Angst und Schrecken

vorher nicht empfunden werden,

wie es dann kam. -

 

Weit in der Taiga

wurden Siegeshymnen schon geprobt.

Doch später, im Vorüberhasten,

rief mir einer zu:

„Schnell, fliehe,

der Erzürnte folgt uns auf dem Fuße"!

 

Da wußf ich nicht,

wer wo die Hymnen

einst wird singen. -

 

Hoch bäumte sich gequälte Kreatur.

Und alle flohen, liefen, stürzten.

Doch kamen einige auch an.

Die riefen ganz verzweifelt

nach der Mutter,

denn Stille lag dann plötzlich

über fremdem Land,

das ihnen nun

zur Heimat werden sollte.

 

So weit,

so weit liegt das zurück,

wovon der Geist sich heut' noch nährt.

An ferne, längst vergang'ne Zeiten

denk' voller Sehnsucht ich zurück.

Dorthin zurück,

wo meine Kinderträume,

in der hohlen Weide,

ihre Wiege hatten.

Dort, wo am Fluß,

mit einer Angel in der Hand,

ich einst als kleiner Junge saß

und voll Vertrauen übers Wasser blickte.

Wo ich im Spiele der Libellen

so viele Möglichkeiten eines Lebens

könnt' erkennen.

 

Und immer wieder

gleitet auf der Gilge dann

ein großer Kahn

an mir vorbei.

Der Duft von seiner Fracht

aus frischem Heu,

dringt tief in meine Seele

dann hinein

und hütet einen

kleinen Hauch

von Wehmut dort.

 

Bis aus dem Schmerze des Verlorenen

sich eine wunderschöne

Erinnerung geformt,

braucht seine Zeit.

 

Drum zürne ich

nicht dem Geschick.

Unendlich reich

ist meine Freiheit dann geworden.

Hab' in der Ferne noch die Heimat,

jedoch der Weg zu ihr ist weit.

Doch in Gedanken geh' ich oft dorthin.

 

Das Größte aber, was das Herz beseelt

ist mein Refugium hier in der schönen Eifel.

Ganz zärtlich nenn' ich sie

„geknautschte Heimat",

weil sie durch Berg und Tal

sich unterscheidet von der

eb'nen Weite meines Landes.

 

Hier wächst die Schöpferkraft in mir,

die Bilder und Balladen läßt entstehen,

die wie der Spiegel einer Seele offenbaren,

das Wohlbefinden und die Schönheit.

 

Das Mohnfeld an der Kyll,

im Sommer einundneunzig;

alleine dessen Anblick

zwang mich zur Staffelei,

mit Farbe und auf Leinen es

zu konservieren

für die Ewigkeit.

Ich bin dem Zauber hier

der Maare ganz erlegen,

wie auch der erste Ton

der frisch gegoß'nen Glocke

dort aus Brockscheid

meine Seele wärmt.

 

Erzählt der Müller

in der alten Mühle dann

von guten und von schlechten

Tagen aus vergang'ner Zeit,

bin ich bereit,

halb wachend wohl,

halb träumend,

nur noch im Jetzt zu leben.

Heukahn auf der Gilge

Mohnfeld an der Kyll bei Gerolstein - Gemälde von Gerhard Monschewitz