Die Insektenwelt eines Steinbruchs

Dr. Klaus Cölln, Gönnersdorf - Jochen Hembach, Köln

 

Der Abbau von natürlichen Rohstoffen hat auch im Landkreis Daun seine Spuren hinterlassen; kaum wahrnehmbare in den vergangenen Jahrhunderten, als gewissermaßen zum Hausgebrauch Material gewonnen wurde und nachhaltige Umgestaltungen der Landschaft, als in moderner Zeit die industrielle Ausbeutung geologischer Ressourcen zunahm. Dabei sind die Auswirkungen ähnlich, gleich ob es sich um vulkanische Lockerprodukte, Sandstein oder Kalkstein handelt. Zurück bleiben in jedem Fall Gruben und Brüche als Spuren der menschlichen Eingriffe, die häufig als dringend zu sanierende „Wunden in der Landschaft" empfunden werden. Deshalb stoßen Bemühungen des Naturschutzes, die gerade auf den Erhalt von alten Abgrabungen abzielen, oft auf Unverständnis. Das Ziel, das Hintersolchen Bemühungen steht, wird erst deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, wie egalisierend menschliche Ansprüche zum Beispiel auf das Erscheinungsbild unserer Flüsse wirken. Steilufer und Kiesbänke, Lebensraum von unzähligen spezialisierten Tieren fallen Nutzungsanforderungen oder Sicherheitsbedürfnissen zum Opfer. Angesichts dieser Tatsache ist es nur folgerichtig, wenn die Forderung erhoben wird, Kiesgruben, nachdem sie aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeiten als schmerzliche Eingriffe in die Landschaft hingenommen werden mußten, anschließend als Ersatzbiotope für Verluste im Bereich unserer Flüsse zu reklamieren. In gleicher Weise sieht man die Abbruchkanten von Steinbrüchen als Ersatz für ehemalige Felsformationen.

Wie reichhaltig das Leben in alten, aufgelassenen Steinbrüchen sein kann, belegen unsere Untersuchungen über Insekten in einem Bruch unmittelbar am Dorfrand von Gönnersdorf, der bereits innerhalb der Grenzen des NSG „Mäuerchenberg, Hierenberg und Pinnert" liegt. Die Geschichte dieses Steinbruchs ist bewegt und zum Teil vergessen. Nur wenige Gönnersdorfer konnten über sie berichten, wobei Herr Malburg den damaligen Pächter noch persönlich kannte und als ehemaliger Mitarbeiter des nahegelegenen Birgeier Steinbruchs auch über die Arbeitsbedingungen zu erzählen wußte. Bis etwa 1920 wurde dort von Herrn Lüttgen aus Birgel für den privaten Hausbau Kalkstein gebrochen. Zwei kleine Kalköfen - von einem sind noch Reste erhalten - zeugen davon, daß auch direkt an Ort und Stelle Kalk gebrannt wurde, der dazugehörige Brunnen wurde später mit Zement verfüllt und dient jetzt als Eckpfeiler des Fundaments eines naheliegenden Hauses.

Das gegenwärtige Aussehen des Steinbruchs ist beeinflußt durch eine ehemalige Mutterbodendeponie, die auf Teilen der Sohle zu einer Vegetation mit ruderalem Charakter geführt hat. Nach Südwesten begrenzt ihn eine auf abfallendem Hang stockende, totholzreiche und nieder-waidartige Laubholzformation, während er ansonsten großflächig von Kalkmagerrasen umgeben wird. Die durch die Abgrabung von mitteldevonischem Dolomitgestein entstandenen süd- bis westexponierten, kaum bewachsenen Hänge, sind äußerst vielgestaltig und zeigen neben nacktem Fels auch durch Verwitterung entstandene, sandig-lehmige Substrate.

Die Untersuchungen zur Insektenfauna des Steinbruchs werden seit 1986 mit zunehmender Intensität von einer Arbeitsgruppe des Zoologischen Instituts der Universität Köln (Zusammenfassung: CÖLLN 1992) mit einigen befreundeten Spezialisten durchgeführt (FRANZEN & CÖLLN 1993, HOFFMANN 1992 und SORG & CÖLLN 1992). Obwohl die Bearbeitung einiger artenreicher Gruppen wie die der Bienen und Schmetterlinge noch aussteht, konnten bislang im Gönnersdorfer Steinbruch schon 450 verschiedene Insektenarten nachgewiesen werden (vgl. Abb.). Bei den beiden bislang artenreichsten Ordnungen des Gebiets, den Käfern und Wanzen, würde der Einsatz zusätzlicher Methoden sicherlich zu einer Reihe von weiteren Spezies führen. Unter den 90 Schwebfliegen-Arten waren zum Zeitpunkt der Untersuchung über 20 noch nicht für Rheinland-Pfalz gemeldet - ein Beispiel für die zum Teil äußerst lückenhafte Bearbeitung unserer einheimischen Fauna. Die restlichen fünf untersuchten Insektengruppen sind zwar mit deutlich geringeren Artenzahlen vertreten, weisen jedoch eine Reihe von zoologischen Kostbarkeiten auf. Stellvertretend sei hier Ammoplanus wesmaeli genannt, eine kleine Grabwespe ohne deutschen Namen, die bundesweit vom Aussterben bedroht ist.

Insekten eines Steinbruchs

Artenvielfalt

Wie wertvoll ein Lebensraum ist, kann nicht nur an der Artenvielfalt abgelesen werden, die durch die bisher gewonnenen Daten eindrucksvoll belegt wird (vgl. Abb.), sondern auch an der Struktur spezieller Artenkomplexe. So läßt sich im Steinbruch beobachten, wie die Fliegenragwurz, eine sehr seltene Orchidee, mit ihrer Blüte ein Grabwespenweibchen imitierend, von dessen Männchen bestäubt wird. Die perfekte Nachahmung in den Augen des Männchens verleitet es dazu, die Pflanze anzufliegen, dann enttäuscht abzuziehen, später aber wieder vollen Mutes auf die nächste Blüte hereinzufallen. Ein weiteres Beispiel wäre die zu den dolchwespenartigen zählende „Trugameise", die bei Sandlaufkäfern parasitiert. Sie läßt sich von der räuberischen Larve fangen, ist aber so gebaut und entsprechend gepanzert, daß ihr die dolchartigen Mundwerkzeuge der Larve nichts anhaben können. Bei der Fangbewegung verliert die Larve ihre Deckung, die Trugameise kann sie mit einem gezielten Stich lahmen und ihr Ei ablegen. Im weiteren Verlauf dient die Käferlarve dann als Futtervorrat für die junge Trugameise. Wildbienen, im Steinbruch nach ersten Abschätzungen sehr arten- und individuenreich vertreten, sind für den Fortbestand des dort vorkommenden Ölkäfers unabdingbar, denn in deren Bauten vollzieht sich die hochspezialisierte parasitische Lebensweise seiner Larven. Nördlich des Hunsrück ist diese Käferart eine Rarität. Die sehr bewegliche Dreiklauenlarve des Ölkäfers sitzt in Blüten und wartet dort auf Nahrung suchende, solitäre Wildbienen. Sie klammert sich an und läßt sich in deren Nest tragen. Dort verzehrt sie das Bienenei und anschließend, nach der Häutung zu einer madenartigen Larve, macht sie sich auch noch über den Pollenvorrat der Wildbiene her. Nach der Verpuppung erscheint dann im nächsten Frühjahr eine neue Käfergeneration.

Der Gönnersdorfer Steinbruch ist sicherlich kein Einzelfall. Wir würden in anderen Abgrabungen einen vergleichbaren Artenreichtum vorfinden. Über die Untersuchungen in Gönnersdorf wurde jedoch die Bedeutung solcher Steinbrüche für die Insektenwelt deutlich, die letztlich zu dem Schluß führt, daß solche Sekundärbiotope auch aus der Sicht der Insektenfauna schützenswert sind.

Literatur

CÖLLN, K. (1992): Bausteine zur Entomofauna des Dorfes. Untersuchungen an ausgewählten Hymenoptera, Aculeata und an Syrphidae. - Verh. Westd. Entom. Tag Düsseldorf 1991, im Druck FRANZEN, B. & CÖLLN, K. (1993): Zu den Käfern von Gönnersdorf (Kr. Daun). Beiträge zur Insektenfauna der Eifeldörfer IX. - Dendrocopos20, Trier, in Vorbereitung

HOFFMANN, H.-J. (1992): Zur Wanzenfauna (Hemiptera-Heteroptera) von Gönnersdorf (Kr. Daun, Eitel). Beiträge zur Insektenfauna der Eifeldörfer VII.- Dendrocopos 19, Trier, 98 - 107 SORG, M. & CÖLLN, K. (1992): Die Grabwespen (Hymenoptera, Sphecidae) von Gönnersdorf. Beiträge zur Insektenfauna der Eifeldörfer VI. - Dendrocopos 19, Trier, 126-142

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