Gedanken einer Thüringerin

Martin Meyer, Gerolstein

 

Als im November 1958 der neugestaltete Ehrenfriedhof Gerolstein eingeweiht wurde, erhielten die Angehörigen der hier ruhenden Kriegstoten eine Einladung zu dieser Feierstunde. Ihr haben viele Menschen - auch aus Österreich und der damaligen DDR - Folge geleistet.

Ein Teil der Besucher fand bei Gerolsteiner Familien Unterkunft, und so entwickelten sich Bekanntschaften, die zum Teil heute noch bestehen. Neben Briefkontakten wurde manches Paket von West nach Ost geschickt. Zu den Totengedenktagen erhielten die Gefallenen einen Grabschmuck aus der Heimat.

Am Volkstrauertag 1989, wenige Tage nach Öffnung der innerdeutschen Grenze, konnte die Stadt Gerolstein bei der Gedenkveranstaltung auf dem Ehrenfriedhof ein Geschwisterpaar aus dem Raum Eisenach/Thüringen begrüßen. Es hatte stellvertretend für die nicht mehr reisefähige Mutter erstmals in ihrem Leben das Grab des Vaters besucht. Seither gehört der Grabbesuch zum Volkstrauertag zur Selbstverständlichkeit dieser Frauen.

Im Anschluß an die Gedenkveranstaltung 1992 wurden, wie bereits vorher, die Auswirkungen der Wiedervereinigung hüben und drüben zwischen den Besuchern aus Thüringen und den Gerolsteiner Offiziellen erörtert. Bei dieser Gelegenheit trug eine der beiden Besucherinnen ihre Gedanken und Vorstellungen in Versform vor. Sie sind nachstehend - da sie heute mehr denn je aktuell sind - wiedergegeben.

Herzliche Grüße aus dem Thüringer Land

überbring' ich den Menschen im Eifelland.

Keiner von uns hätte jemals gedacht,

daß er heut eine Reise nach Gerolstein macht.

Die Wende macht's möglich, man glaubt es

noch kaum.

Wir gehören zum Westen! Es ist wie ein Traum.

Die Euphorie ist verklungen, der Alltag zog ins

Land,

nicht nur volle Läden, auch Arbeitslosigkeit sind uns bekannt.

Der Umschwung erfordert all' unsere Kraft:

Wir haben's gewollt, nun wird es geschafft!

Bei vielen Anlässen machte ich ein Gedicht.

Ich wußte stets, was ich sagen konnte und was

nicht!

Doch heut' such ich nach Worten, weiß nicht,

wie ich's formulier?

Nicht um Bedauern, um Verständnis bitten wir!

Seid nicht bös, wenn »Ossis« sagen: »Es war

nicht alles schlecht«.

Nach 40 Jahren haben sie, ich glaube, dazu

das Recht.

Denn DDR war nicht nur Honecker, Mielke und

Stasi,

nicht nur Mauer, Stacheldraht und Schalk-Golodkowski.

DDR war auch Wartburg und Sächsische

Schweiz,

war Gewandhaus, Dresdner Kreuzchor, Peter

Schreier und dergleich.

DDR waren Menschen, die fröhlich geschafft,

die für die Kosten des Krieges einen hohen

Obolus erbracht.

Die DDR war auch im Feiern ganz groß!

Doch langsam ging's bergab, wie kam das

bloß?

Doch das zu erörtern führt heute zu weit,

richten wir unsere Sinne auf die neue Zeit!

»Ossis« und »Wessis« brauchen miteinander noch sehr viel Geduld.

Daß es so ist, dafür trifft keinen die Schuld.

Ich glaube, Verständnis füreinander, das möge

wohl sein

und hoffe, dazu trägt auch dieses Zusammensein bei!

 

Brigitte Senf, Ettenhausen/Thüringen