Moldavien - Geschichte einer Begegnung

Norbert Möller, Hillesheim

Zum ersten Mal horte ich im Sommer 1991 von Moldavien, als Kurt Laux, Jugendpfleger der Kreisverwaltung Daun, eine Jugendbegegnungsreise in das Land am Schwarzen Meer organisierte. Obwohl ich mich spontan für die Teilnahme entschieden hatte, musste ich doch erst einmal eine Landkarte zu Rate ziehen, um die damalige Moldavische SSR im Riesengebiet der Sowjetunion ausfindig zu machen. Es war wirklich ein Begegnungsreise, in der wir, eine Gruppe von zwanzig Personen, das genau zwischen Rumänien, dem Schwarzen Meer und der Ukraine gelegene Land ganz nah und intensiv kennenlernten.

Kleine, im Schlamm versinkende Dörfer, Mönche mit dunklen, traurigen Augen, die ihre zur Zeit der kommunistischen Herrschaft zerstörten Klöster neu aufbauen; Schweinehirten und angepflockte Ziegen am Straßenrand. Aber auch sozialistische Prachtbauten, die vielerorts das Bild der Hauptstadt Kishinjov bestimmen, gemeinsam mit den überall im Osten anzutreffenden Wohnhäusern in Plattenbauweise. In einem dieser Hochhäuser, die hier in Moldavien auf Grund einer offensichtlich sehr mangelhaften Bauausführung eher krumm und bucklig wirkten, gar nicht wie aus Betonfertigplatten zusammengesetzt, wohnt und arbeitet auch unser Freund Viktor Kristov. Sein Atelier befindet sich im obersten Stockwerk des Gebäudes, ist nur nach einer abenteuerlichen Fahrt mit dem ungenügend funktionierenden Aufzug und nach Durchbücken unter zu tief montierten Heizungs- und Müllschlucker-Rohren zu erreichen. In dem niedrigen Raum, dessen Fenster auf die trostlose Betonwüste des Wohnviertels hinausblickt, hat Viktor seine Schätze gespeichert. Ölgemälde, Aquarelle, Zeichnungen in kräftig, knalligen Farben, die irgendwie dem Charakter der rumänisch-stämmigen Moldavier genau zu entsprechen scheinen, zeigen typische Impressionen der Landschaft am Schwarzen Meer, Bilder der bäuerlichen Kultur, aber auch der Träume und Wünsche eines sozialistischen Menschen. Obwohl die Gemälde nicht dem Stil des sozialistischen Realismus entsprechen, eher einen impressionistischen Charakter haben, hat der sozialistische Staat den Künstler gefördert. Viktor Kristov hatte bereits früher Gelegenheit, seine Kunst im In- und Ausland zu zeigen, wobei auch Länder wie Frankreich und die Vereinigten Staaten nicht fehlen. Allerdings entsprach das Gebaren, das die staatlichen, sozialistischen »Kunst-Mäzen-,sprich: das Ministerium für Kultur, an den Tag legten, nicht unserem westlichen Verständnis. Nicht der Künstler selbst vertritt seine Kunst bei der Ausstellung, sondern ein Beamter des Ministeriums sammelt passende oder ihm als passend erscheinende Gemälde ein, um diese selbst dem meist ausländischen Publikum zu präsentieren. Ein für den Künstler nicht unwichtiger Nebeneffekt ist hierbei auch, dass der Verkaufserlös praktisch ganz im sozialistischen Staatssäckel verschwindet. Nur der systemtreue Künstler hat als Angestellter des Staates die Möglichkeit zu arbeiten, er erhält Farbe, Pinsel, schlichtweg alles Material kostenlos vom Staat, hat aber auch nur das zu zeigen, was dem Staatsideal entspricht. Ein freier Künstler hat kaum eine Chance, einfach schon deshalb, weil er sich nicht mit dem notwendigen Material versorgen kann, aber auch wegen staatlicher Repressionen. Vielleicht ist das der Grund, warum die Kunst der ehemals kommunistischen Länder meist einem "romantischen Wohnzimmerstil" verhaftet ist, wenn nicht gerade sozialistisch-realistische Monumentalkunst zur Dekoration der öffentlichen Gebäude produziert wird. Schade ist, dass auch die eingetretene politische Wende kaum Besserung in bezug auf die politische Willensfreiheit des einzelnen gebracht hat. In bezug auf Moldavien drängt sich sogar der Eindruck auf, dass man lediglich das Staatsideal eines Lenin gegen »Stepan cel mare", das heißt Stefan des Großen, eines rumänischen Königs und Nationalhelden des Mittelalters eingetauscht hat, was in der Praxis der Staatsführung und den Lebensumständen der Menschen keine Änderung oder gar Besserung hervorgerufen hat. Um so fester stand schon damals unser Entschluss, Viktor Kristov eine Ausstellung in Deutschland zu ermöglichen, bei der er persönlich seine Arbeiten präsentieren konnte. Im September 1992 war es auch wirklich soweit. Alle Schwierigkeiten, ob es nun den Transport der Gemälde oder die sprachlichen Barrieren anging, waren beseitigt. »Genesis- hieß der Titel, den Viktor seiner Gemäldeausstellung im Hillesheimer Rathaus gab. Ein »Weltenmorgen" war es wohl auch, was diese Ausstellung für ihn bedeutete, die Öffnung und Erschließung einer ihm neuen Welt. Am Abend nach der gut besuchten Eröffnung hatte er Tränen in den Augen, war innerlich zutiefst aufgewühlt und bewegt. Ein »Weltenmorgen" schien es ja auch für seine Heimat zu sein, die zu dieser Zeit die ersten Schritte in Freiheit von der gerade zerfallenen Sowjetunion versuchte. Leider wird das Land immer noch von den Nachwehen des Bürgerkrieges geschüttelt, der sich an die Abspaltung von der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) anschloss. Für die Zukunft ist eine Vertiefung des kulturellen Austausches geplant. Zunächst wird eine umfassendere Ausstellung vorbereitet, die mehreren moldavischen Künstlern Gelegenheit zur Präsentation ihrer Werke gibt. Weiterhin soll auch eine Ausstellung von Werken deutscher Künstler in Kishinjov erfolgen, da der kulturelle Austausch seine Lebenskraft aus der Gegenseitigkeit bezieht. Kunst hat in den Ländern der GUS nicht den elitären Charakter, der ihr in Deutschland leider oft beigemessen wird. In Moldavien, genauso wie in Russland, ist Kunst am Volk orientiert, dient ein Gemälde als Gebrauchsgegenstand wie etwa in Deutschland ein neuer Wohnzimmerschrank. Daher ist das Interesse an einer Ausstellung westlicher Kunst auch gleichzeitig eine Sache, die breitere Bevölkerungsschichten interessiert, ist damit auch ein kleines Schrittchen mehr hin zu einem neuen Europa, das eines Tages vielleicht auch die Länder im Osten einschließt. Aufgrund der immer noch schwelenden Konflikte in Moldavien, aber auch wegen der teilweise chaotischen Situation in der ganzen GUS, gestalten sich die Vorbereitungen weiterer Aktivitäten recht mühsam. Ein im April geplantes Treffen in Moskau fand wegen unglücklicher Umstände, die aber typisch für die Verhältnisse in einem ehemals sozialistischen Land sind, nicht statt. Unsere Reisegruppe war wie geplant im vorher bezeichneten Hotel abgestiegen. Viktor befand sich drei Tage lang in eben diesem Hotel, fragte immer wieder an der Rezeption nach unserer Reisegesellschaft, erhielt immer wieder die ständig gleiche Antwort, daß keine deutsche Gruppe dort sei. Ein Vorgang, der stellvertretend ist für viele Fälle von Unzuständigfühlen und Unbeholfenheit der jahrzehntelang vom Staat bevormundeten Menschen. Nur langsam ist eine Besserung zu erwarten, vielleicht beschleunigt durch das Heranwachsen der jungen Generation in verantwortliche und leitende Stellen in Staat. Industrie und Gesellschaft.