Kerpen in der Eifel ist eine Reise wert -heute schon

Und vor 200 Jahren?

Dr. Peter Neu, Bitburg

»Kerpen in der Eifel ist eine Reise wert", so war in der Tagespresse am 10. September 1992 zu lesen. Der Grund: Kerpen hatte Gold der Sonderklasse errungen. Voller Stolz feierte man im Burgort das besondere Ereignis: Schließlich war festzustellen: »Kerpen gehört zu den schönsten Orten im Land:" »Es kommt darauf an, dass man nicht vergisst, wo man herkommt!« So sagte Regierungspräsident Blankenburg anlässlich der Feierlichkeiten, und er spielte damit auf die reiche historische Vergangenheit von Kerpen an. Dass beim Rückblick in die Vergangenheit aber auch sehr unangenehme Tatsachen ans Licht kommen, das weiß jeder Historiker. Und manchmal möchte man schon gern über den einen oder anderen dunklen Flecken hinwegsehen. Aber manche dieser "Schandflecken" sind nach Jahrhunderten nur noch Anlass zu einem Lächeln. So dürfte es uns auch ergehen, wenn man in Kerpen den Blick 210 Jahre zurücklenkt. Kerpen war auch 1783 ein Burgort. Auf der Burg, die damals dem Herzog von Arenberg gehörte, residierte seit 1772 Heinrich Ignaz Bender, seines Zeichens Hofkammerrat und Amtmann. Als Oberamtmann aber berief der Herzog im Sommer 1783 einen zackigen, ehemaligen Hauptmann, Henri von Bornschlegel. Er nahm Wohnung auf Schloss Arenberg, und von hier aus hatte er in allen »Deutschen Ländern" des Herzogs nach dem Rechten zu sehen. So konnte es geschehen, dass der strenge Hauptmann plötzlich, unerwartet und natürlich unangemeldet in einem Ort erschien. Fand Bornschlegel dann etwas nicht nach seinem Geschmack, so nahm er kein Blatt vor den Mund. Meist folgte auch noch eine schriftliche «Abmahnung«.

Am 12. Juni 1783 tauchte Bornschlegel unerwartet in Kerpen auf. Den Amtmann Bender traf er nicht an, so dass er am selben Abend noch, als er wieder in Arenberg weilte, einen Brief an den Amtmann schrieb. Darin heißt es dann unter anderem:

«ich erinnere mich nicht, in meinem Leben so schmutzige Häuser wie innen Kerpen gesehen zu haben, ohne einmal von der strasse einige erwänung zu machen. Die ist ein klares zeichen, dass sie sich die Polizei und Ordnung ihrer Untergebenen wenig angelegen seyn lassen! Es solle mir unlieb seyn, ihnen hierüber wiederholte verweise zuzuschicken. Ich will Ihnen also ermahnt haben, sich ein wenig um die Polizei zu bekümmern, die Leute zu Säuberung und ausbesserung der strassen anzuhalten, denn in aller sittlichen Welt ist es gebräuchlich, dass man am Sonnabend die strassen sowohl als häuser reinigt und wascht, und wann dieses geschehete, so würde Kerpen wenigstens menschlicher aussehen. Wie sollen jedoch die häuser des orts in Ordnung seyn, wenn man vor Breie kaum zu ihnen kommen kann. Da, wo der Beamte nicht mit gutem beispiel vorangehet, was soll man sich von denen Unterthanen versprechen! Ich versehe mich also, dass dieser befehl zur künftigen richtschnur dienen wird,

Kerpen - heute Bilderbuchdorf- Nach der Begehung des Ortes durch die Landeskommission im Wettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden" war der Tenor ... es ist wieder vorwärtsgegangen! Kerpen stellt sich in der Sonderklasse, selbstbewusst, nach langjährigem, beharrlichem Bemühen, den Ort dorfgerecht zu gestalten.     Foto. Manfred Simon, Daun

sich öfter herab im ort auch allenfalls in die häuser zu bemühen, um die leute zur Säuberung der strassen und häuser zu ermähnen ... Bornschlegel"

Das waren nun gewiss harte Worte für die Kerpener und vor allem für Amtmann Bender. So konnte Bender den Brief auch nicht auf sich beruhen lassen.

Schon zwei Tage später, am 14. Juni, antwortete er dem Oberamtmann und Statthalter Bornschlegel. Er klagte, dass allein im Bereich des Schlosses im letzten Winter »6 Stücke alter Mauer eingestürtzet«. Auch jetzt noch fielen hin und wieder Steine vom alten Mauerwerk auf den Weg, "wodurch die Weg aufs Schloss, wo nicht beschwerlich gemacht, doch wenigstens verunstaltet.« Die Auffahrt aus dem Tal sei »besonders ausgefahren, also dass die Spitzen der Felsen in der Mitten hervorragen.« Die Mauern um den Ort selbst seien teilweise unordentlich, weil «der Akzies, der ehemals Fonds zur Unterhaltung der Mauren^, dem Ort nun nichts mehr einbringe. Der Oberamtmann von Seigneux,

der Vorgänger Bornschlegels, habe bereits vor Jahren Zuschüsse zum Mauerbau versprochen, aber bis heute sei nichts gezahlt worden. Die »schwache Gemeine kann mit ihren geringen Einkünften die Kösten nit bestreiten«. Und in letzter Zeit hätten sich viele »unbemittelte Leut« im Ort angesiedelt. Die schlechten, unreinen Wohnungen seien also nicht auf Faulheit zurückzuführen, sondern »auf Armuth überhaupt".

Nun aber sah sich Bornschlegel wieder herausgefordert. Er antwortete schon am 17. Juni 1783:

"Nicht Armut, sondern Fahrlosigkeit, Faulheit des Untertanen! Sollte man sich wohl vorstellen können, dass ein Schmitt, dessen Handwerk nachzusetzende kräfte erfordert, Spiel einer ausgehenden nahrung vorziehet? Wie wollen Sie, dass alle diese angesiedelten und unbemittelten leute zu etwas kommen sollen, wenn sie sich an keine andere nahrung gewöhnen? Man sieht ja niemand von diesen leuten weder stricken noch spinnen! Ihre kinder wälzen sich den ganzen tag auf den kotigen strassen herum, lernen nichts als unzucht und faulenzen, ihre häuser sind schwarz wie die Kohlstuben, keine einzige treppen oder stiehgen ist ganz, in allen stallen ragen die steine so wie beim aufgang zu ihrer wohnung hervor, das vieh wird nicht gepflegt!... Alles dies hätte seit 10 jähren ihre sorge sein sollen, und wenn sie sich damit abgegeben hätten, so würde Kerpen nicht so schmutzig aussehen und wir würden uns einen schöneren Wachstum von der Jugend versprechen können! Bomschlegel.«

Noch am selben Tag sandte der Oberamtmann Bornschlegel auch einen Bericht an den Hof des Herzogs nach Brüssel, vermutlich an den Generalintendanten Gendebien. Er berichtete hier jedoch von einer zweiten Reise in das Kerpener Land.

Diese Fahrt hatte ihn am 16. Juni durch die Orte Ahütte, Brück, Dreis, Dockweiler, Zilsdorf und Niederehe geführt. Jetzt beklagte er sich nicht nur über schmutzige Häuser. Ihn erregte nun etwas anderes mehr: »Würden Sie glauben, dass die hälfte der Untertanen kaffee trinkt? Vor allem in Kerpen und Niederehe, wo sie nicht einmal brot zu essen haben. Ich war sehr erstaunt, als ich einen schuster antraf, der mit seiner frau und drei kindern kaffee trank. Aber ihre häuser, die sind meist schmutzig, schwarz wie kohle. Ihre kinder sind - wie sie selbst - sehr unsauber - aber alle trinken sie kaffee. In ländern, wo der bauer es zu etwas bringen will, da ist er morgens um 4 Uhr am pflüg, hier sieht man sie aber erst um 7 Uhr. Ich habe mir viel mühe gegeben, ihnen zu predigen. Einige wenige habe ich auch gefunden, die haben mir jetzt versprochen, ihre häuser sauberer zu halten.Bomschlegel«

"Kerpen in der Eifel ist eine Reise wert" - heute schon. Vor 210 Jahren scheint man nicht überall dieser Meinung gewesen zu sein. Bornschlegel, der übrigens nicht nur in Kerpen sehr kritische Äußerungen von sich gab, war nicht so schnell zufrieden zustellen. Aber - käme er heute zurück, er würde wohl staunen über das einst so schmutzige Kerpen. Der Ort ist zu einem Schmuckstück geworden, und das ohne »Predigten« und »Schimpftiraden« wie zur Zeit des Arenberger Oberamtmanns Henri von Bornschlegel.