Kirchspiel Retterath

Ereignisse im Dreißigjährigen Krieg von 1630 bis 1634

Eva Lacour, Paul Dinger. Anschau

Um Macht und Einfluss in der Grafschaft Virneburg, zu der auch das Kirchspiel Retterath gehörte, bot sich mancher Anlass zu Auseinandersetzungen zwischen den Kurfürsten zu Trier als Lehensherren und den protestantischen Lehenträgern, dem Hause Manderscheid und ab 1615 den Grafen zu Löwenstein-Wertheim. Während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) gerieten die Bewohner der Grafschaft zwischen die Fronten dieser beiden Parteien. Am 15. August 1630 wurde vom Kaiserlichen Kriegsrat und Obristen die Instruktion erteilt, 300 badische Soldaten sollten auf dem Weg in die Niederlande ihr Standquartier »keines wegs auff einigen Trierischen noch zum Catholischen Buntt gehorig(en)... (Orten) nehmen, lnsond(er)heit uff Chur Maintz Trier noch Cölln, bey unaußbleiblicher straff." Es blieben die Grafschaft Virneburg mit dem Kirchspiel Retterath und das Dorf Saffig für den Staat, die drei Herrschaften Reifferscheid, Dollendorf und Schmidtheim für die Unterhaltung der Leibkompanie. Da Ausschreitungen der Soldaten gegen die Bauern an der Tagesordnung waren, wurde ersteren befohlen, sie sollten »keine Exorbitantien« verüben, sondern »sich mit dem Proviand begnügen laßen«. Teilweise versuchten die Bauern, sich zu retten, indem sie in die Wälder flüchteten und soviel wie möglich von ihrer Habe mitschleppten und dort vergruben. Die Soldaten rächten sich, in dem sie »heußer und Scheuren voller fruchten und fütterungh in grund abgebrannt«, haben. Am 3. September 1630 wurde der Virneburger Amtmann Hanß Christoph Koch »ußß Ursachen, die Laidige Pest Aldorten (in Reüfferschaidt) dermaßen so starcks grassieren solle, dass die Soldaten nicht underhalten, noch der gebür Accomodirt werden können« avisiert, er müsse weiteren 150 Mann der Leibkompanie in der Grafschaft "dass quartier gedeyen« lassen. So beklagte er sich am 12. September, es »geschehe jetzo bey repartition dießer dreyen Compagnien und dem Stat unß viel zu wehe". Gerade habe Obrist Böninghausen sein Regiment, das im Kirchspiel Retterath sehr gewütet hatte, abgezogen, da er »die Unmöglichkeit selbsten gesehen und erkent hat«. Etliche seiner »pagagie pfert... (liegen noch) alhier.... hab derweg(en) die Freyheit nottringlich nehmen müssen,... und(er)thenig pittend... die Sachen also zu remidieren d(a)ß die arme und(er)tha-nen bey hauß pleiben und nit notwendigh ent-lauf(en), und den albereit vor der thür wartenden Bettelstab nach ziehen müssen«. Den Bürgern des Kirchspiels Retterath erschien es inzwischen als Ausweg, sich in den Schutz der Trierer Kurfürsten zu begeben, um sich der seit zwei Jahren andauernden ständigen Einquartierungen zu entledigen, wie dies vor ihnen vom November 1629 bis Februar 1630 die übrigen zur Grafschaft Virneburg gehörigen Dörfer versucht hatten. So halten sich, als am 6. September die Soldaten von Reifferscheid kamen, »die Bauren von Mannebach ihre quot abzunehmen nit allein geweigert, sondern auch mit sehr höhnischen und schimpflichen wortten sich verlauten lassen waß Sie nach dem Amptman zu Virnberg fragten, der habe ihnen nichts zu commandiren, er were ihnen feind, derhalben hette er sichs wohl mehrmahlen understanden, ihnen dass volck übern halß zu weisen, sie solten sich packen. od(er) sie wollen ihnen füeß machen«. Der Trierische Schützenführer zu Bongard war »mit groser furj in besagtes dorff geritten kommen, und mit diesen wortten, wo Sind die Sarzamen-tische Soldaten Seine dapferkeit sehen lassen, unnd alß die bauren nuhn ihm gesagt, daß ein Corporal von diesem volk zu Retterad were, ist er dahin geritten, und demselben gleichsam pro imperio ahnbefohlen, solte daß quartier räumen,... inzwischen der heimburger selbigen dorffs (Mannebach) naher hauß kommen, und seinen nachparn dieses ungebührlich beginnen starck verwiesen, und die daraus entstehende gefahr zu gemüth geführet,... darwegen ich (Amtmann Koch) Sie nochmahlen abgemahnt unnd daß Sie... in solchen bösen Stücken... der ernst(en) Straff... gewärtig sein solten. erinnert...-' Doch am Sonntag, den 15. September hatten sich "die Soldaten mit den hausleuten zu Mannebach gezanckt, und geltt von ihnen habe(n) wolle(n), da... (habe) der Corporal zu Retterad gesagt, der Amptman hette den führer ein Schelmen gehalte(n), daruff (habe) er (Theiß Schöffer von Mannebach) gefragt, welchen dan der Corporal vor den besten halte, er Theiß hüte einen So gut alß den ändern, daruff helfen Sie gleich getrohet. woltenß dem Amptman sagen". Inzwischen versuchten also die Soldaten, der ursprünglichen Instruktion entgegen, ihren Sold von den Bauern zu holen. Da diese nicht bezahlen wollten, drohte der Gefreite, >>er wolte den Soldaten bescheid geben, dass Sie alle hühner im dorff doth schlügen«, worauf Michel Müller von Mannebach antwortete, «er habe zwar keine, wann er aber hühner hette, und wolte Sie einer todt schlagen, So wolte er ein prügel nehmen, und sich dargegen weren«. Am selben Tag hatten dann »13. Spanische freyfähnlein fusvolks dise quartier vollend ruinirt«. Am 21. September konnte Amtmann Koch den Abzug 69 badischer Soldaten durchsetzen; »in dem aber ahm 28. hujus der feldwebel mit 56. knechte(n)... endlich auch uff Retterad aldahin ihne der weg trüge, kommen, und daselbst auch etzliche weggenommen, haben sich die bauren von Mannebach, zusammen rottirt, und mit offenem Spiel und teuer röhren obig Retterad hören und sehen auch verlaute(n) lassen, wollen die übrige Soldaten, So noch alda pliben, außjagen und übel mit ihnen umbgehen, Also dass es ahn deme gewesen, dass der feldwebel mit denen 56. Soldaten den anderen zum Succurs nit allein alda were ligen pliben, Sondern auch umb noch mehrere hülff den herrri Capitain leutenant ersuchen hat! wollen, ich bin aber eben auch darzu kommen, und alß icn solches vernommen, den feld-weibel dahin beredt, daß er laut seiner Ordo-nantz mit den 56. knecht(en) vortzihe, ich wolte schohn sehen, wie ich die bauren stilte«. Am 16. Oktober bestätigte der Trierer Erzbischof Philip Christoph die Bezahlung der Schutzgelder und des Schutzhafers an das kurtrierische Amt Monreal und betrachtete daher das Kirchspiel Retterath als seiner Hoheit unterworfen und Mitglied des katholischen Bundes. Er ordnete die Delogierung der Soldaten und Befreiung von allen weiteren Einquartierungen ungeachtet aller möglichen Einwände der Virneburger Beamten an. Doch da die übrigen Quartiere bereits überbelegt waren, wollte der Kapitänleutnant in den Abzug der Soldaten nicht einwilligen, sondern holte im Gegenteil zusätzlich noch 100 Mann aus den anderen Orten. So suchten die Retterather Amtsangehörigen Hilfe beim Virneburger Amtmann und entschuldigten sich, dass "dieser tagen durch etliche unruhiger und leichtfertiger aufwiekler Verführung wir... uns dahin verlaiten lassen, das wir uns gegen die... uns hingelegte Keyß, Soldaten nit allein mit gewalt zu setzen, sondern auch noch darüber Ihrer Churf. Gn. von Trier Schulz anzuruffen u. beedes so wol etliche im Stifft Trier gelegene Blanckhardische Soldaten, als auch däunische Schützen würklich gegen dieselbe einzuführen understanden, alles der meinung, uns der quartier dardurch, als arme, unverständige, ohne das verderbte und betrangte leut, zuentledigen... (doch haben) wir endlich allein den schaden und eußerste Verderbnis zu unserm lohn darvon getrag(en). ...Als sein wir derhalben gestriges tages (30. Oktobris) beysammen gewesen, und uns einhelliglich verglichen, uns hinführe aller solcher ungebühr... gentzlich zu enteussern,... mit dem flehentliche(n) bitten... umb abführung der gar zu vielen Soldaten«. Zu allem Überfluss verlangte Wilhelm, Markgraf zu Baden, nun außer der Verpflegung der Soldaten noch die Bezahlung von Kontributionen. Doch Amtmann Koch argumentierte, wenn die Grafschaft Virneburg nach Ablauf der ersten zwei Monate zur Kontribution des Markgräflichen Staats hätte gezogen werden sollen, so hätte die Leibkompanie abgezogen werden müssen, »welches der pilligkeit nach selbsten zu consideriren. dienstlich erinnern wollen«. Doch andererseits versuchte Koch auch, die virneburgischen Untertanen zur Bezahlung der geforderten Summe zu bewegen; doch "dan Alß ich vermeint, sie (dass kirchspiel Retterad) sollten ihre quot wie sie versprochen hatten, gleich den anderen übrigen dorff schaffte n erlegen, so ist der feldweibel mitt für lesungh einer ordonantz darinnen daß kirspel Retteraitt inß kunfftigh frei zu lassen befollen worden, etwaß zu freigebig gewesen, und dardurgh ursach geben, das sie die verfloßene und albereit uff sie vertheilte Contribution so wenigh, alß die kunftigh zu bezahlen begeren, dahero dan... der herr Regimentz quartir meister (von den übrigen dorfschaften, die nach abzuigh der Soldaten kosten... ihre quot Lauft quittungh... bezahlt) des kirspels quol... gefordert und 4. bauren von den selben (aus luckseim (Luxem), weiler, dickzedt (Ditscheid)) mitt sich gefurett...« Am 4. Dezember brachen die badischen Truppen auf. Für den 5. Dezember wurden allerdings 800 Soldaten »auf dem weg von der Gra-vschafft Arburgh nach Andernach« angekündigt, worauf die Virneburger Untertanen, die »sich under die Cölnische Schützen zum theil gemengt hatten", ihre vier gefangenen Nachbarn, »die nit anderß alß Barbarisch tractirt« worden waren, selbst befreiten und wieder einmal in die Wälder flüchteten, während die Soldaten vier Nächte in der Grafschaft einquartiert waren. Der Streit um die hinterständige "ahnsehnliche Summe gelts«, die der Markgraf zu Baden von der Grafschaft Virneburg forderte, dauerte an. Die Retterather wandten sich wieder an den Trierer Kurfürsten. Für den 19. Februar wurde eine Zusammenkunft in Mayen anberaumt. Da dort aber die Pest ausgebrochen war, zweifelte Koch daran, dass »jemand! von den herren Graffen alda hin erscheinen werde« und ritt selbst ebenfalls nicht hin. Er wurde deshalb für den 1. Mai nach Polch beschieden. Doch musste der badische Markgraf »mit sonderem missfallen vernehmen, dass sich bey jüngst angesetztem dag... die jenige welche den grösten hinderstand schuldig" nicht erschienen waren. »Nun seindt wür zwar gäntzlich dahin resolvirt geweßen ermelten hinder-standts Ein güetlichen vergleich und tractation zue pflege(n),... aber sehen wür doch dass diße guetliche vergleichung gantz vergebens, unnd Nothwendig andere daugliche mittel vor handt genomme(n) werdfen) müeßßen. So wollen wür doch deßelbig Euer herrschafft dem Graffen von Läyenstein (Löwenstein) verstand ig(en], waß durch Euer ahnstifftung und Arglüstige verlaitung... für höhn und Schadt durch die Eurige widerfahren«. Von Kurtrienscher Seite erging am 4. Mai der Befehl an den Vogt des Kirchspiels Retterath, ohne Vorweisung einer ausdrücklichen Bewilligung durch den Kurfürsten keine Einquartierungen mehr zu gestatten und keine Kontributionen zu entrichten oder anderen Geldforderungen nachzukommen »wegen deroselbigen darin (im Kirspelt Retterad) habenden schütz- und LandFürstlichen Interesse,... Weile gtes. Kirspelt zur union contribuiret, und deroselben Soldaten eine Zeitlang wie noch verpflegt und underhallen« werden müßten. Sollten gegen die Untertanen von einer Seite deshalb Maßnahmen ergriffen werden, so sollten sie dieses angeben und würden dann den Kurfürstlichen "schütz würcklich genoß empfinden".

Andererseits hatten die badischen Truppen sechs Bürger des Kirchspiels Retterath als Geiseln mitgenommen, wovon sich fünf unterwegs selbst befreien konnten. Übrig blieb Michels Jann von Mannebach, der am 11. Mai 1631 ebenfalls an den Vogt schrieb, man solle doch die geforderte Summe entrichten »unndt mich armen mann nit im Stiche Lassen (oder gantz Steinern hertz haben) unndt dem sachen mit kürtzen ein endt machen, damit ich nit die schuld mit meinem unschuldige(n) Blutt undt Leben Bezahlen müsse, welches ein groß unrecht ding wehre, Wann es dann nit anders sein könte, müste ich solches mit gedult ausstehen, welches ich hernach am jüngsten gericht Bey Gott, (welcher ein gerechter Richter ist undt nichts unrechtes ungestrafft wirdt lassen) anclagen würde". So gerieten die Angehörigen des Kirchspiels Retterath von zwei Seiten unter Druck. Trier beziehungsweise Virneburg nutzten jede sich bietende Gelegenheit für den Versuch, ihren Einfluss zu vergrößern. Dies zeigte sich auch im Dezember, als Kurtrier die Schützen dieser Orte aufbot, um sie nach Ehrenbreitstein zu führen. Obwohl Amtmann Koch »etwas ernstlichs dagegen (nicht) ahnzufangen, Sonderlich bey E. G. (der Grafen von Löwenstein-Wertheim) gar zu weit entsessenheit zu geringh« sei, wollte er doch nicht gänzlich stillschweigen und zusehen, »so hab vor nöthig geachtet, den haußleuthen bey vermeidungh höchster leibs und guts straff zu befehlen, sich bey hauß zu halten,... dann Sie uff erforderten Nohtfall uffs hauß Virnberg ihren Leibs und landtherren vermögh geleisteter Aydspflicht, und nit ihrer Churf. G. zu Trier naher Ehrenbreitstein... zu folgen, huthwehr und wacht zu thun schuldigh seyen«. So ordnete er am 14. Dezember an: »Demnach ich in erfahrung bracht... die Schützen des kirspielß Retterad... sich albereit So viel einbilden theten, alß weren Sie solchem vermeinten ahnsuchen und befelch zu folgen schuldig, AII3 ist himit mein befelch,... dass Sie... nechster tagen zum hauß Virnberg mit ihrem gewehr würden erfordert werden,... Sie sehen nuhn, ob Sie wollen zu waß intent der vermeinte Schutz ahngestellt". Hier zeigt sich, dass der Virneburger Amtsverwalter ohne Exekutivgewalt seine Ansprüche nicht durchsetzen konnte, denn am 21. Februar beklagte Koch, es gehe nicht an, »dass die übrige dörffer... allein jederzeit mit starcken durchzügen und einquartirungen hart beschwert, und von den Retteradern die geringste zusteur nit bekommen«. Von langer Dauer scheint die Befreiung jedoch nicht gewesen zu sein. So versuchten die Bauern im März 1633. als auch die Burg zu Virneburg von Isenburgischen (Kaiserlichen! Truppen gestürmt und geplündert wurde, sich selbst zu helfen. Vier Schützen aus dem Kurkölnischen Sassen und Mannebach hatten sich im Wald nahe Sassen mit Gewehren verschanzt, waren aber von acht Soldaten zu Pferd überwältigt und »jämmerlich zerschlagen« worden und mußten diesen 60 Reichsta-ler Lösegeld versprechen. Als am 10. Juli 1634 ein Verzeichnis der im Kirchspiel Retterath während zahlloser Durchzüge erlittenen Kriegsschäden erstellt wurde, ließ sich nur noch die Bilanz ziehen: »Sommarum der bettel-stab und höchste Armudt selbst.»

 

 

Archivalische Quellen: Staatsarchiv Wertheim, F 103-114 (Virneburger

Akten) J. 13,J. 14,J. 15, Nr.1038

Literatur: Nikolaus Hermann, Erich Mertes u.a.: Typoskript Chronik

von Mannebach