»Lieber ein guter Film als ein schlechtes Buch«

Workshop im Rahmen der Schulmedientage befaßte sich mit dem Buch »Novemberkatzen« und seiner Verfilmung

Malte Blümke, Daun

 

Während der rheinland-pfälzischen Schulmedientage fand im Leseclub Bücherwurm am Geschwister-Scholl-Gymnasium Daun das Projekt »Verfilmte Literatur: Mirjam Pressler, Novemberkatzen« statt. Die 30 Teilnehmer des Workshops untersuchten den Zusammenhang von Jugendbuch und dem gleichnamigen Spielfilm, woran auch Buchautorin Mirjam Pressler und die Filmregisseurin Sigrun Koeppe mitwirkten. In einer Abendveranstaltung der Kreisbibliothek las die Autorin aus ihrem Buch, und über Entstehung und Wirkung von Buch und Film berichteten Pressler und Koeppe zudem in einem live gesendeten Interview des Offenen Kanals Daun.

»Novemberkatzen« nennt man die jungen Katzen, die als dritter Wurf erst im Herbst zur Welt kommen und keine guten Lebensbedingungen haben. »Niemand will sie«, meint die Mutter der zehnjährigen Ilse, der Hauptfigur in Roman und Film. Ilse, die den Haushalt für die überarbeitete und überforderte Mutter von vier Kindern führen muß, fühlt sich selbst oft als Novemberkatze. Der Film zeigt eine Kindheit auf dem Lande, die fern jeder Idylle am Rande der Gesellschaft abläuft, ständig in Gefahr, in das »asoziale Milieu« abzugleiten. Das Engagement von Mirjam Pressler für Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, ist auch in ihrer eigenen Biographie begründet. 1940 wurde sie in Darmstadt als uneheliches Kind geboren, wuchs in Pflegefamilien auf, lebte lange Zeit in einem israelischen Kibbuz, mußte sich als alleinerziehende Mutter um ihre drei Töchter kümmern und gleichzeitig Geld verdienen. Heute lebt Mirjam Pressler als freie Autorin und Übersetzerin von israelischer Literatur in München.

V. I. n, r. Sigrun Koeppe, Anette Jondral, Malte Blümke, zwei Lehrerinnen aus Polen, Mirjam Pressler während des Workshops »Novemberkatzen« im Leseclub »Bücherwurm« am Dauner Geschwister-Scholl-Gymnasium.

Aufmerksam verfolgen die Teilnehmer des Workshops »Novemberkatzen« die Diskussion mit Autorin und Regisseurin.

Ziel des Workshops, an dem Lehrer aller Schularten, Eltern, Schüler und eine Lehrergruppe aus Polen teilnahmen, war es, neuere Methoden für die Behandlung von Lektüren im Unterricht zu erarbeiten, wird doch der Zugang zur Literatur durch die zu stark analysierenden und rationalen Literaturbetrachtungen des Deutschunterrichts oftmals verstellt. Aus diesem Grund wurde im Workshop ein aus dem Theaterspiel übernommenes Verfahren zur Erarbeitung von Rollen erprobt. Mit Hilfe eines Fragebogens setzten sich die Teilnehmer jeweils mit einer Person des Romans auseinander.

Im weiteren Verlauf der Diskussion wurden zeitgeschichtliche und historische Fragen angesprochen, die auch bei der Tandemlesung in Rudolstadt einen großen Raum einnahmen. Am Beispiel der Jugendromane »Die Welle« und »Die Webers« wurde deutlich, daß rechtsextremistische Tendenzen in der Vergangenheit und Gegenwart unterschätzt wurden und werden. Die Literatur könne, so die gemeinsame Überzeugung der beiden Autoren, einen Beitrag zur Aufklärung leisten. Dabei komme der Erzählung und dem Roman große Bedeutung zu, da diese - anders als Sachbücher und Zeitungen - über das Mittel der Identifikation oder Ablehnung Auseinandersetzungen anregten.

Das Tandem-Projekt als Modellprojekt des Friedrich-Bödecker-Kreises fand in Daun und Rudolstadt ungeteilte Zustimmung. Hier einige Originalzitate: »Ich glaube, rundherum war das Projekt Tandem ein Riesenerfolg, und ich bin der Meinung, daß es weiterlaufen sollte.« (Nina Lehnen aus Daun) »Ich persönlich habe das Autorentreffen als wirklich lohnend und interessant empfunden. Es war eine tolle Sache, und ich hätte nichts gegen eine Wiederholung einzuwenden.« (Jeanette Kummer aus Rudolstadt) »Die Schriftstellerveranstaltung mit Herrn Noack und Herrn Spillner war für mich einfach

großartig, und auch die Schüler waren äußerst angetan. Sie ließen sich sowohl von den vorgestellten Büchern in den Bann ziehen als auch von der Diskussion der sich daraus ergebenden Gegenwartsprobleme.« (Deutschlehrerin Beatrix Abt aus Rudolstadt).

Der Kontakt zwischen den Schülern aus Ost und West geht weiter. Der Austausch von Briefen und Fotos, von Meinungen und Einstellungen bei einem Treffen der Lehrer in Rudolstadt, die Gründung eines Leseclubs am Gymnasium Rudolstadt und schließlich die Jugendbuchwoche 1993 »Miteinander leben, miteinander lesen«. Deutsche Kinder- und Jugendbücher aus Ost und West zeigen, daß das Tandemprojekt eine Initialzündung bewirkt hat.