Der schreckliche Typ

A. v. Irsen

 

Herr Rother, ein erfolgreicher Geschäftsmann, bog gerade mit seinem großen und teuren Wagen von der Hauptstraße ab. Sein Ziel war das städtische Krankenhaus. Seine Gedanken weilten noch ganz bei dem letzten Schreiben, das er seiner Sekretärin diktiert hatte. In ihm hatte er ultimativ einem seiner Kunden unter Androhung aller möglichen Rechtsschritte gezeigt, was Sache ist, wie heutzutage zu handeln ist. Man kann sich ja wirklich nicht alles gefallen lassen.

Als er gerade nach links auf den Parkplatz einbog, hätte er doch bald einen Radfahrer angefahren, der ihm entgegenkam. Erschrocken trat er auf die Bremse. Der Radfahrer wich im letzten Moment aus. Wütend drückte Herr Rother auf einen Knopf, sanft und geräuschlos öffnete sich das Seitenfenster.

»Können Sie nicht aufpassen?«, fuhr er den Radfahrer an. Dieser schüttelte den Kopf und meinte: »Ich schon. Aber wie ist das mit Ihnen? Ich hatte doch Vorfahrt!«

Nun schaute sich Herr Rother den jungen Mann genauer an. Mein Gott, was ist das denn für ein Typ, dachte er. Mit diesen langen Haaren! Hinten auch noch zu einem Zopf gebunden. Und dann dieser alberne Ohrring. So recht wie ein Schwuler sieht der aus, in dem bunten Hemd und dann mit den vergammelten Turnschuhen. Der müßte mein sein, dem würde ich die Harnmelbeine schon lang ziehen. Sind doch alles Hippies und Tagediebe. Asoziale Typen. Liegen dem Staat nur auf der Tasche, faules Gesindel!

Und laut rief er ihm nach: »Sicher wieder gekifft und high, was!?«

Dann suchte er sich einen Parkplatz, stieg aus und eilte hinein ins Krankenhaus. Mit dem Aufzug fuhr er nach oben und trat dann in das Krankenzimmer, hin zu dem Bett, in dem eine alte, weißhaarige Frau lag. Jene unheilbare Krankheit zerfraß ihren Körper immer mehr.

»Tag, Mutter!«, sagte Herr Rother. »Wie geht es dir?« Die alte Frau lächelte sanft. »Es tut mir leid, daß ich dich so lange nicht mehr besucht habe. Aber all die vielen Termine, du weißt ja. Die Arbeit, sie läßt mir keine Zeit mehr, du verstehst ja. Blumen hab' ich dir nicht mitgebracht. Verwelken ja doch so schnell. Außerdem sollen sie in Krankenzimmern nicht gut sein. Ach, das ist alles ein Streß. Manchmal sehne ich mich danach, auch mal so ruhig und lange im Bett liegen zu können, wie du. Aber was will man machen. Aber ich denke viel an dich. Rufe ja auch so oft an, wie ich nur kann!« »Ja, mein Junge, das letzte Mal vor zehn Tagen!«, sagte die Mutter. »Aber ich versteh dich ja!« Ihre Augen starrten zur Decke.

In diesem Moment klopfte es an der Tür. Herein kam freundlich grüßend ein junger Mann. Einen weißen Kittel hatte er an. Und lange Haare, hinten zu einem Zopf gebunden. An seinem linken Ohr war ein kleiner Ohrring. »Das ist doch dieser verhaschte Radfahrer von vorhin«, dachte Herr Rother und sah zu, wie dieser den Mülleimer leerte, das Waschbecken putzte, das Kopfkissen der alten Frau ausschüttelte und dann behutsam deren Kopf wieder zurückbettete. »Nachher komm ich noch mal rein!«, meinte er, als er das Zimmer wieder verließ.

Herr Rother schaute seine Mutter an und meinte dann vorwurfsvoll: »Was war das denn? Seit wann werden hier denn schon solche Typen beschäftigt? Das ist aber schon mehr als eine Zumutung, so etwas auf Kranke loszulassen, da sollte man aber energisch gegen protestieren! Erst recht, wo du doch Erste Klasse liegst.« Da drehte die alte Frau ihren schmächtigen Kopf zur Seite, schaute ihren Sohn mit großen Augen, die bereits tief in dunklen Höhlen lagen, an. Ihr Atem ging rasch und flach, als sie mit aller Kraft sagte: »Das war Alex. Ein netter Kerl. Dieser Typ, wie du ihn nennst, kommt jedes Wochenende hier ins Krankenhaus. Arbeitet hier, freiwillig, bekommt kein Geld dafür. Ich mag Alex. Jedesmal kommt er zu mir. Gestern hat er mir dieses Blümchen mitgebracht. Am Fahrradparkplatz hätte es gestanden. Setzt sich zu mir ans Bett. Dann nimmt er meine Hand, erzählt mir sehr viel Schönes, oder er liest mir vor, so wie ich es früher mit dir, meinem Sohn, gemacht habe, als du noch klein warst. Und nun laß mich bitte alleine. Ich bin sehr müde!«