Literatur als Mittler

Autorenlesung mit Hans-Georg Noack und Jutta Schlott

Malte Blümke, Daun

 

Die Jugendbuchwoche 1993 am Dauner Geschwister-Scholl-Gymnasium stand unter dem Motto »Miteinander leben - oder miteinander lesen. Kinder- und Jugendbücher aus Ost und West«. Den Mittelpunkt bildete eine Buchausstellung von 300 Kinder- und Jugendbüchern aus Ost und West, die der Leseclub »Bücherwurm« am Dauner Geschwister-Scholl-Gymnasium in Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen, dem Friedrich-Bödecker-Kreis, der Landesfachstelle für Büchereiwesen und Kinder- und Jugendbuchverlagen aus der ehemaligen DDR zusammengestellt hatte.

Zur Eröffnung der Jugendbuchwoche erinnerte Oberstudiendirektor Peter Sebastian an die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933, die auf den Tag genau vor 60 Jahren stattfanden. Dies war auch der Anknüpfungspunkt von Hans-Georg Noack, der für Schülerinnen und Schüler der 6. und 8. Klassen und die geladenen Gäste das Kapitel »10. Mai 1933« aus seinem Buch »Die Webers, eine deutsche Familie 1932-45« las.

Der einfache Arbeiter Wilhelm Weber war stolz auf seine Bücher. Er konnte es nicht verstehen, daß in diesen Tagen Alfred Döblin, Leonhard Frank, Thomas Mann, Jakob Wassermann und viele andere aus der deutschen Akademie für Dichtung ausgeschlossen wurden. »Bücher schienen ihm mit eigenem Leben begabt zu sein, und er konnte sie wie lebende Wesen lieben. Deshalb konnte er kaum glauben, was er dort mit eigenen Augen sah: Auf dem Opernplatz wurden Bücher und immer neue Bücher ins Feuer geworfen. Die Flammen leckten gierig an den Seiten, die Einbände krümmten sich knackend, als litten sie Schmerzen, bevor sie verkohlten.«

Jutta Schlott, Schwerin, liest im Leseclub »Bücherwurm« am Dauner Geschwister-Scholl-Gymnasium.

 

Auf die Gefahren von Vorurteilen und Intoleranz in Ost und West wies das Theaterspiel der Lesegruppe des Leseclubs der Jahrgangsstufe 6 hin, die unter der Anleitung von Gabriela Haferkamp einen Spieltext der Hauptschule Bad Kreuznach für Jugendliche umgeformt hatte. Die durch die Wende 1989 bedingten Veränderungen konnten die Schülerinnen und Schüler der 5., 6. und 10. Klassen des Geschwister-Scholl-Gymnasiums und der Hauptschule Daun hautnah durch die Autorenlesungen von Jutta Schlott (Schwerin) miterleben. Viele ihrer Bücher wie »Der Sonderfall« (1981), »Früh und spät« (1982), »Das liebliche Fest« (1984), »Roman und Juliane« (1985), »Klare Verhältnisse« (1989), »Farbenspiele« (1989) waren in DDR-Verlagen erschienen und sind heute im Buchhandel nicht mehr erhältlich. Durch die Schließung von Büchereien und Bibliotheken verschwindet die qualitativ gute ehemalige DDR-Literatur aus der Öffentlichkeit. Mit Lesungen aus unveröffentlichten Manuskripten, darunter dem Jugendroman »Der Kreis des Delphin«, bewies Jutta Schlott den hohen Standard der ostdeutschen Literatur.

Mit rund 300 Exemplaren gab die Ausstellung einen repräsentativen Querschnitt von Kinder-und Jugendbüchern aus den alten und neuen Bundesländern. Der Schwerpunkt lag auf Ausgaben ostdeutscher Kinder- und Jugendbuchautoren, die heute nur noch schwer zu beschaffen sind. Bei der Zusammenstellung wurde eine möglichst bunte Vielfalt und große Bandbreite angestrebt. Die einzelnen Stationen von 40 Jahren Nachkriegsliteratur wurden dargestellt, neben Erzählungen fanden sich in der Ausstellung Sach- und Bilderbücher, Problembücher neben spannender Unterhaltung.

Die Ausstellung bot Werke von DDR-Autoren an, die im Westen wenig bekannt sind: Franz Fühmann, Peter Hacks, Christoph Hein, Gabriele Herzog, Gerhard Holtz-Baumert, Christa Kozik, Dieter Moll, Ulrich Plenzdorf, Benno Plu-dra, Walter Püschel, Jutta Schlott, Rolf Schneider, Maria Seidemann, Wolf Spillner, Eva und Erwin Strittmatter.

Eifrige Besucher der Ausstellung »Miteinander lesen - miteinander leben, Kinderbücher aus Ost und West« lösen die Quizfragen.

Die Buchausstellung wurde durch Schautafeln der Hauptschule Bad Kreuznach ergänzt. Auf eindrucksvolle Weise zeigten sie, wie nach der Wende »DDR-Produkte« zu Schleuderpreisen in westdeutschen Supermärkten verramscht wurden. Die Klasse 8a des Geschwister-Scholl-Gymnasiums dokumentierte mit Schautafeln und Bastelarbeiten das Projekt Tandem Ost/West. Briefe, Fotos und Zeitungsartikel stellten die Lesungen von Hans-Georg Noack und Wolf Spillner in Rudolstadt (Thüringen) und Daun (Rheinland-Pfalz) dar. Die Bücher der beiden Autoren gaben den Anstoß zu Buchkritiken, Zeichnungen und Bildern. Der Offene Kanal Daun e.V. strahlte eine Dokumentation des Tandem-Projektes während der Jugendbuchwoche aus. Durch die Ausstellung führte ein Quiz mit 13 Fragen zu Kinder- und Jugendbüchern aus den neuen Bundesländern. Obwohl das Ratespiel recht anspruchsvoll war, beteiligten sich mehr als 400 Schülerinnen und Schüler. Unter den richtigen Antworten wurden20 Buchpreise ausgelost. Die Jugendbuchwoche begleitete die Unterrichtslektüre der Jugendromane «Taube Klara«, »Ankunft im Alltag«, »Sternschnuppenzeit«, »Gewitterblumen«, »Na tschüs denn«.

Mit Unterstützung der Kreisbibliothek des Landkreises Daun standen den Besuchern der Ausstellung Kataloge und Broschüren der Stiftung Lesen und des Friedrich-Bödecker-Kreises zur Verfügung, in denen die Autoren und Bücher der Ausstellung vorgestellt wurden.

Es ist geplant, die Bücher auch an weiteren Orten im Kreis Daun zu zeigen. Über den Frie-drich-Bödecker-Kreis Rheinland-Pfalz und die Stiftung Lesen können die Bücher der Wanderausstellung bezogen werden.

Einige hundert Besucher fanden den Weg in die Ausstellung. Dies zeigt, daß es gelungen ist, Schülerinnen und Schülern die Begegnung mit ost- und westdeutscher Literatur zu ermöglichen.