»Dauner« Fenster im Kölner Dom

Alois Mayer, Daun-Pützborn

 

Dunkelheit und majestätische Größe umfängt den Besucher des Kölner Domes. Still und besinnlich wird ein jeder, der aus dem geschäftigen Lärmen und Treiben, dem Hasten, Drängeln und Stoßen ungezählter Menschen der quirligen Innenstadt in die riesige Halle dieser Kirche tritt, und unwillkürlich gleitet der Blick empor in die himmelwärts strebende Wölbung jenes Prachtwerkes der Hochgotik. Der betrachtende Mensch erahnt, wie klein, fast wie ein unbedeutendes Nichts er sich in diesem Haus Gottes vorkommt. Plötzlich drängen sich bunte Sonnenstrahlen durch die Fenster in das dunkle Schiff, dringen in die Augen, ins Bewußtsein und vermischen sich dort zu einer Symphonie herrlichster Farben in den wärmsten Tönen.

Ein jeder ist wohl überwältigt von dieser Pracht hochmittelalterlicher Glasmalkunst. Kirchenfenster, die heute - fast ein halbes Jahrtausend nach ihrer Entstehung - noch genauso farbenbunt, lebendig und leuchtintensiv sind, als seien sie soeben erst aus der Werkstatt begnadeter Künstler gekommen.

Kirchenfenster, die Geschichte sind und haben. Für ungezählte Beter, Betrachter, Pilger und Gläubige sind sie wie ein prachtvoll ausgestattetes Bilderbuch, in dem sich Menschen und ihre Empfindungen widerspiegeln. Hauptsächlich geben sie aber Kunde von biblischen Geschichten, von der Frohen Botschaft und göttlichem Heilsgeschehen. Wie wichtig diese Bilder-Erzählungen gerade für frühere Menschen waren, die weder lesen noch schreiben konnten, läßt sich heute nur mehr schwerlich ahnen. Jene gläsernen Darstellungen waren die vollkommene Illustration dessen, was Eltern und Priester erzählten. Diese Farbenpracht mitsamt ihrer reichhaltigen Allegorie, die uns, von Bildern und Piktogrammen fast erschlagenen Menschen, kaum mehr etwas vermittelt, bedeutete unseren Vorfahren alles. So konnten sie bereits zu ihrer Lebenszeit Einblick nehmen und Vorstellungen entwickeln von der Herrlichkeit des erstrebenswerten Paradieses und dem ewigen Leben.

Die prachtvollsten Renaissance-Fenster des Domes wurden im nördlichen Seitenschiff, erbaut im 15. Jahrhundert, eingesetzt.

Von den fünf dort befindlichen sind zwei Halbfenster und drei vierteilige große Fenster. Alle sind es wert, ausführlich bestaunt und beschrieben zu werden. Doch da sind zwei Fenster besonders auffallend, zwei, die heimatliche Gefühle zur Eifel wach werden lassen, ein geistiges Band zwischen dem 120 km entfernten Daun und diesem Sitz des Erzbischofes knüpfen. Denn auf diesen beiden Fenstern - es handelt sich dabei um das erste Halbfenster von Westen und das nächste vierteilige Fenster - ist deutlich und groß mehrmals das Dauner Wappen zu erkennen; sechs rote Schrägbalken, die den gelben Hintergrund in zahlreiche Rauten zerlegen. Fragen tauchen auf: In welcher Beziehung stand das kleine Daun zu dem mächtigen Kölner Dom? Wie kam es, daß auf diesen unermeßlich kostbaren Kirchenfenstern das Dauner Wappen verewigt wurde?

Eine genaue Beschreibung der beiden Fenster bringt Klarheit.

Das »Passionsfenster«

Das erste Fenster (Passionsfenster genannt) besteht aus neun Feldern in zwei Bahnen. Die Seiten sind eingerahmt von Säulen, die an die gewundenen Stangen eines Baldachins erinnern. Rote Vorhänge auf der linken und grüne auf der rechten Seite sind aufgezogen und geben den Blick frei, wie in einem Theater, auf den »Bühnenhintergrund«, in dem sich biblisches Geschehen abspielt.

Im unteren Teil ist der heilige Laurentius abgebildet. Sein priesterliches Gewand, das ihn als Leviten ausweist, ist rot wie sein Märtyrerblut, goldgemustert und mit grünen Fransen verziert. In der rechten Hand hält er ein offenes Buch und mit der linken stützt er sich auf einen Rost, dem Symbol seines schrecklichen Todes. Die Legende überliefert, daß er vom heidnischen Kaiser Valerian auf einem glühenden Eisenrost zu Tode gefoltert wurde, da ihm die Armen wichtiger waren als die Gunst jenes ungläubigen Kaisers. Ihm zur Rechten ist die Mutter Gottes. Sie steht auf einem Halbmond, das Haupt umrahmt mit dem Heiligenschein, ihr jungfräulicher Körper wird umhüllt von einem hellblauen Kleid und einem weißen Mantel, der rot-violett gefüttert ist. Darüber, in je drei Gruppen, sind Szenen aus der Passion gemalt. Die Verhaftung Jesu im Ölberg, seine Geißelung und Kreuzigung; auf der rechten Platte die Verspottung des Heilandes, die ergreifende Darstellung »Seht welch ein Mensch« und letztlich seine triumphreiche Auferstehung. In dem oberen Maßwerk erkennt man in den verschiedensten Farben deutlich dargestellt das Jüngste Gericht. Ganz unten am Fenster ist der Stifter jenes großartigen Kunstwerkes zu sehen und gibt damit auch gleichzeitig die Lösung der Frage nach der Verbindung zwischen Daun und Köln preis. Auf einem bunt gekachelten Marmorboden kniet der Dauner, Graf Philipp von Daun, die Hände besinnlich vor der Brust gefaltet, vor ihm das Dauner Adelswappen, und auf der Glasplatte ihm gegenüber, vor dem ehelichen Wappen, seine Eltern, Freiherr Wirich von Daun, Herr zu Falkenstein und Oberstein (11501) und Margarete, Gräfin von Leiningen.

Es ist davon auszugehen, daß die Kölner Glasmaler das Portrait ihres Auftraggebers, der ja immerhin Erzbischof und Kurfürst war, besonders liebevoll und detailgetreu wiedergegeben haben.

Oidtmann beschreibt ihn in seinem Werk «Die rheinischen Glasmalereien vom 12.-17. Jahrhundert« so: »Philipp von Daun besaß einen eindrucksvollen Kopf; das gelichtete, grauschwarze Haar ist nach der Stirn und nach dem Nacken gestrichen; in der Hand hält er ein rotes Birett. Ein weißer, hermelinverbrämter Talar, am Saum und Ärmel mit rotem Vorstoß, verdeckt den roten Rock fast gänzlich und legt sich in zahlreichen Falten breit über den Boden... Der Vater ist eine würdige Gestalt in rotviolettem, mit braunem Pelz gefüttertem Mantel; das bartlose Gesicht ist schmäler und länger als das des Sohnes; graue Haarsträhnen fallen locker vom Scheitel auf die Schulter. Selbstbewußtsein spricht aus der stolzen Haltung der in Purpur gekleideten Gräfin. Eine schwarz und goldene Rise (Frauenhaube des 13. und 14. Jahrhunderts) mit langem weißem Schleier läßt über der Stirn des anmutigen Gesichtes goldenes Haar hervorschauen.«

Die Dauner Grafen im Hunsrück

Jene »Dauner«, die auf ihren Namen und auf ihre Herkunft stolz waren, haben möglicherweise Daun, den Ort ihrer Vorfahren nie gesehen, denn deren Ahnen waren bereits vor über 200 Jahren, im 13. Jahrhundert, von Daun und ihrer Stammburg fortgezogen.

Um 1235 heiratete der Ministeriale Wirich von Daun in die Familie der Eberharde vom Stein ein, die ihre Burg am Idarbach (dem heutigen Idar-Oberstein) hatte. Seine Frau hieß Guda. Deren Sohn (Wirich II.) wurde bereits 40 Jahre später zum Mitbesitzer der Herrschaft. Er war ein gewandter Politiker und Stratege. So gelang es ihm in relativ kurzer Zeit, sowohl seinen Besitz als auch sein Ansehen bedeutend zu vergrößern. Von nun ab trugen er und seine Nachkommen den Namen »von Dune (Daun) und Stein«. 1286 verkaufte Wirich seinen Erbteil und seine Besitztümer, die er noch von den Vorfahren her zu Daun (Eifel) hatte, an seinen Vetter Richard. Allerdings behielt er für sich und alle seine Nachkommen das Recht, die Symbole des Geschlechtes (Fahne, Schild, Wappen) und den Namen derer von Daun weiter zu führen. Auch sorgte er dafür, daß er mit seinem Stammhaus stets in gutem Einvernehmen blieb.

Im Laufe der kommenden Generationen erlangte die Dauner Linie im Raum des heutigen Idar-Obersteins, in der Pfalz und im Rheinhessischen großen Ruhm, bedeutendes Ansehen, Macht und enormen Wohlstand.

Mit Wirich VI. (1432-1501) erlebte die Herrschaft Oberstein ihre Blütezeit. 1440 heiratete er Margarete von Leiningen. Sie war die Tochter des Grafen Emich IV. und der Beatrix von Baden. Somit verband sich Oberstein mit einem der angesehensten Adelsgeschlechter der Pfalz. Für seine Familie erwarb er Anteile an verschiedenen pfälzischen Besitzungen. 1456 kaufte er die Grafschaft Falkenstein am Donnersberg mitsamt ihren verstreut liegenden Besitzungen bei Mainz, Worms und Bretzenheim. Damit vergrößerte er seinen bisherigen Landbesitz um das Doppelte. Seit dieser Zeit nannte sich das Oberhaupt der Familie »Graf von Falkenstein, Herr von Daun zu Oberstein«.

Mit der Vergrößerung des Herrschaftsgebietes verband sich gleichzeitig ein wirtschaftlicher Aufstieg, der sich naturgemäß in erster Linie auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse und auf verschiedene Gewerbe (Gerberei, Mühlenbetriebe aller Art) stützte. Der Erzbergbau, das Graben von Achaten und der Steinhandel kamen zur Blüte. Mit der Errichtung der weltberühmten Felsenkirche hat sich Wirich VI. ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Graf Wirich hatte mit seiner Frau Margarete elf Kinder. Von diesen erreichte Sohn Philipp die höchste Würde. Er wurde Erzbischof und Kurfürst von Köln.

Philipp II. wurde 1463 zum Domherrn von Köln und 1488 zum Domscholaster berufen. Bereits ein Jahr später (1489) wurde er dann Domde-chant. In dieser Funktion stiftete er jenes herrliche Halbfenster. Er galt als ein treuer und geschickter Ratgeber seines Vorgängers (Hermann IV. von Hessen). Das Domkapitel schlug ihn am 13. 11. 1508 dem Papst Julius II. als Erzbischof vor. Diese Wahl bestätigte der Papst am 31. 1. 1509. Kaiser Maximilian belehnte Philipp von Daun am 23. 4.1509 mit Regalien. Nach all diesem positiven Gunstbezeugungen wurde er am 14. 11. 1509 zum Erzbischof geweiht und zum Kurfürsten ernannt.

Das »Petrusfenster«

Im Jahre seiner Bischofsweihe stiftete der Dauner, der ein großes Vermögen von seinem Elternhaus mitbekam, aber auch erhebliche Einnahmen aus seinen kirchlichen Ämtern erzielte, das zweite Fenster im nördlichen Seitenschiff. Diesmal ein Vollfenster, das heute wegen seiner bildlichen Darstellungen das »Petrus/Wurzel Jesse/Fenster« genannt wird. Es besteht aus vier Bahnen zu je neun Platten. Im unteren Teil ist der hl. Petrus mit Philipp von Daun und dem hl. Sebastian zu sehen, umgeben von 16 Wappen.

Oidtmann beschreibt den Stifter wie folgt:

»Graf Philipp kniet in rotem, golddurchwirktem Bischofsornat, auf dem Haupt die mit roten, blauen, grünen und weißen Edelsteinen besäte rote Mitra; der Chormantel ist von breiter, goldverzierter Perlenborte und dunkelviolettem Fransensaum eingefaßt; dazu gehört eine goldene, rot und grün eingelegte Agraffe. Die rote, schwarz gerautete Inful (Mitra) ist grün gefranst; die Dalmatika - liturgisches Festkleid -zeigt violetten Damast; auf den Handschuhen leuchten blaue (aufgeschmolzene) Edelsteine. Auf der dunkelblauen Pultdecke das von goldenen Löwen gehaltene Wappen des Erzstiftes mit dem Herzschild der Daun, rot gegittert auf Gold. Über dem Behang, unter dem aufgeschlagenen Buch, eine oben grüne, an den Seiten rote Decke, rundum mit gelber Schnur, an den Ecken mit gelbem Knauf und grüner Quaste besetzt. Neben dem Erzbischof steht der Petrus als Papst in blauem, golddurchwirktem Mantel als sein Fürsprecher; die weiße Tiara (Papstkrone) ist kostbar mit Gold und Steinen ausgestattet; über den Ohren die rote Kappe. Eine Perlenborte läuft am Rande des weißgefütterten, großblumigen Brokatmantels, der am Fußsaum mehrfarbige Fransen trägt. Die Dalmatika ist dunkelgrün, über den goldenen Fransen eine weiße Litze.« Die Hände des Dauner Stifters Philipp umklammern den Bischofsstab, und mit selbstbewußtem Stolz schaut er auf den hl. Sebastian, der ihm gegenüber in seiner goldverzierten Silberrüstung mit grünem Schurz steht. Ein schneeweißer Mantel ziert die Gestalt jenes Märtyrers, der in der Rechten eine Fahne hält und sich mit der Linken auf seinen Schild mit den Symbolen goldenes Kreuz und Pfeile stützt. (Der Legende nach ließ der römische Kaiser Diokletian den Christen Sebastian, der nicht von seinem Glauben lassen wollte, an einen Pfahl binden und von Pfeilen durchbohren.)

Die 16 Wappen stellen die sogenannte Ahnenprobe des Dauner Erzbischofes dar. Jeder Anwärter auf einen hochdotierten Sitz im Domkapitel mußte 16 adelige Vorfahren nachweisen. Diese Familienwappen väterlicher- und mütterlicherseits sind in je vier großen Feldern beiderseitig angebracht. Je zwei Wappen, gleichmäßig in Weiß und Gold eingerahmt, sind zusammengefaßt und durch eine Säule voneinander getrennt. Sie tragen auf den Halsborden der aufgesetzten Helme die Namen des Adelsgeschlechtes, oben links beginnend mit der väterlichen Herkunft: DVN (Daun) und KIRBVRG (Wildgraf von Kirburg), HONSFELT (von Ho-henfels) und LINPVRG (von Limburg an der Lahn), RVGRAE (Raugraf) und BOLAND (von Bolanden), LINING (von Leiningen) und LINING (von Leiningen). Rechts von oben dann die Wappen mütterlicherseits: BADEN und OTTI-GEN (von Ottingen), SPAENEM (von Spon-heim) und HELFENST (von Helfenstein), LINING (von Leiningen) und KYRBVRG, SALME (von Salm) und HABSBEK (von Habsburg).

Über diesen Wappen sind Szenen aus der Lebensgeschichte des hl. Petrus dargestellt; der reiche Fischzug, die Befreiung Petrus, seine Krönung zum ersten Papst, der Sturz des Zauberers Simon, die Verurteilung von Petrus, seine Kreuzigung mit dem Kopf nach unten. Im rechten oberen Feld liegt Jesse (= Isaias; Vater des Davids, aus dem Stamm Juda in Bethlehem) schlafend auf dem Boden. Unter ihm ist in der Sockelkehle die Jahreszahl 1509 zu lesen. Von Jesse aus wächst ein gelber Weinstock hinauf, der den Stammbaum Jesu zeigt und mit zahlreichen Halbfiguren von Königen und Propheten verziert ist. In der Höhe thront Jesus mit seiner Mutter Maria. In der Spitze der vier Langbahnen sind die vier Halbfiguren jener Propheten abgebildet, die stets auf das Kommen von Christus als Erlöser und Messias hinwiesen: Daniel, Isaias, Zacharias und Jeremias. Im unteren Vierpaß erkennt man den hl. Huber-tus und links den hl. Antonius der Einsiedler. Der große mittlere Fensterteil läßt das Wappen des Kölner Erzbistums aufleuchten, umgeben vom hl. Petrus mit Buch, Schlüssel und Engeln. Erzbischof Philipp von Daun hielt 1513 ein vielbeachtetes Provinzialkonzil ab, das mancherlei kirchliche Reformen beschloß. Er starb am 12. 2. 1515 auf Schloß Poppelsdorf und wurde im Dom zu Köln bestattet. Seine Grabplatte aus Messing trug die in Kupfer gegrabene Inschrift: »Philippus De Duna Archiepiscopus« (Erzbischof Philipp von Daun). Diese Platte wurde Anfang des 19. Jahrhunderts entwendet.

»Petrusfenster». Im unteren Teil der hl. Petrus mit Graf Philipp von Daun, umgeben von Wappen. Auf der Pultdecke das von goldenen Löwen gehaltene Wappen des Erzstiftes mit dem Herzschild der Daun.

Detail aus dem »Petrusfenster". Zwei Wappen von 16 aus der Ahnenprobe des Grafen Philipp von Daun, beginnend mit der väterlichen Herkunft: DVN (Daun) und KIRBVRG (Wildgraf von Kirburg).

Er, sein Reichtum, seine Macht und sein Ansehen sind dahin, vergessen und zu Staub geworden. Geblieben sind die herrlichen Glasfenster, die er stiftete. Sie tragen seine Bildnisse und sein Wappen. In diesen Kostbarkeiten hat er sich verewigt und dazu beigetragen, daß Daun im Kölner Dom stets seinen bleibenden Platz haben wird.

167 Jahre nach dem Tode des bekannten Erzbischofs und Kurfürsten Philipp von Daun erlosch das Geschlecht der Daun-Obersteiner im Mannesstamme, als der letzte Graf Wilhelm Wirich (1682) kinderlos starb.