Großer Garten im kleinen Dorf

Ursel Fricke, Bad Neuenahr

 

Er war sehr groß, der Garten, am Hang gelegen oberhalb des kleinen Dorfes in der Eifel. Wir nannten ihn schon Park. Dann der Sommer 1976, erinnern Sie sich? Hitze, Hitze und kein Regen. Das Wasser wurde knapp, in unseren Quellen zwar nicht, aber Verordnungen müssen eingehalten werden; Gießen verboten!

Ich muß es nach so vielen Jahren gestehen; manche Nacht habe ich das Tor fest verschlossen und Schläuche an die schönsten Bäume gelegt. Die stehen heute noch, aber etwa 200 Bäume überstanden das nicht. Es war schwer, durch den sterbenen Park zu laufen; er war bald wieder ein Garten.

Da fällt mir noch ein, wie unerträglich heiß auch das Haus war, und das besonders an einem Wochenende, als sich etwa 40 junge Weiber dort trafen. Es wurde die Idee geboren für eine Frauenzeitschrift, sie kam ein Jahr später auf den Markt und liegt heute noch in den Regalen neben »Brigitte« und »Spiegel«, wer hätte das gedacht? Aber das gehört eigentlich nicht hierher.

Damals war ich schon mehrere Jahre allein, der Nachwuchs führte zu der Zeit sehr intensiv sein eigenes Leben, die Besuche im Elternhaus, in der Eifel, waren spärlich. Aber es kamen Gäste in großer Zahl, sie fühlten sich wohl im weiträumigen Haus und im großen Garten.

Gute Kameraden waren meine beiden Hunde. Arco, ein Schäferhund, Rasse natürlich, aber etwas dümmlich. Bello, ein bildschöner ungarischer Hirtenhund, war vom Förster im Wald gefunden worden; der Eigentümer wurde nicht ermittelt und so landete das Tier im komfortablen Zwinger bei Arco. Siehe da, die beiden verstanden sich sofort. Absoluter Frieden, nur der natürliche Futterneid, so daß die Näpfe stets leergefressen waren. Aber wenn die Türe aufging - und das drei mal am Tage für etwa eine halbe Stunde - dann gab's die Rauferei. Einmal floß sogar Blut. Das war an einem schrecklichen Wintertag, alles tief verschneit, über Tag leichtes Tauwetter und nachts der Temperatursturz.

Wie das morgens aussah, werde ich nie vergessen. Das blanke Eis auf Wegen und Hängen, es war kaum möglich, an den Zwinger zu kommen. Schwierig, die Tür zu öffnen, die Burschen tobten raus wie immer und segelten sofort über die Eisfläche den Hang herunter. Unten angekommen, ging eine ernsthafte Beißerei los, denn jeder meinte vom anderen, er hätte ihn in die Tiefe gestürzt.

Als die beiden im Hundehimmel waren, kam Rex in den Zwinger, ein Jahr alt, wohlerzogen, ein prächtiger Wachhund. Drei Mal spazierte ich mit ihm durch den Garten, der umgeben war von einem sicheren Zaun. Das mußte sein, denn vorher kamen Rehe aufs Grundstück. Sie standen an einem frühen Morgen, fünf an der Zahl, direkt vor meinem Schlafzimmerfenster und taten sich gütlich an den vielen Blumenpolstern im Steinbeet, die ich gerade gesetzt hatte. Und noch besser schmeckten ihnen alle Rosenknospen an der langen Rabatte am Eingangsmäuerchen. Bei dem Anblick habe ich geweint und danach den Zaun bauen lassen, welcher leider die Karnickel nicht störte, ihr Unwesen im Garten zu treiben. Rosenbeete sind sehr beliebt für die Kinderstube. Ich muß gestehen, daß ich manches Mal den Gartenschlauch reingelegt habe. Das durfte ich meinen Gästen nicht sagen, ich höre immer noch ihr Entzücken - oh, die niedlichen kleinen Häschen ..., na ja, die brauchten sich auch nicht zu ärgern über abgefressene Mohren und zerwühlte Dahlienknollen.

So war das Leben mit dem großen Garten in der Eifel. Die schwere Arbeit mit den Maschinen wurde von Männern aus dem Dorf verrichtet. Ich hatte Glück mit Willi und Hubert, auch mal mit größeren Jungs, die die Maulwurfshü-gel einsammelten - gute Erde für den mageren Boden - und gern die Zäune lackierten. Dafür gabs Bares.

Mir blieb reichlich Arbeit, die ich mit Freuden machte. Ich kannte fast jeden Baum. Am Ende des Grundstücks war eine schöne Wildnis, durch die unser Vater noch Wege geschnitten hatte. Alte Eichen standen dort, Eschen, ein wilder Kirschbaum mit einem gebogenen Stamm, eine etwa 150jährige Eberesche; sie werden selten so alt, sagte der Förster.

Blumen habe ich gesetzt und gesät, wo es der felsige Boden nur möglich machte. Rosen fühlten sich wohl, Tage habe ich im Herbst gebraucht, um sie zu schneiden. Im Sommer wurden prächtige Blüten geschnitten, oft nur eine, dann einen ganzen Arm voll für die Vase in der Diele. Und eine Hand voll Samen brachte auf den Stufenbeeten unterhalb der Terrasse bunte Blütenpracht für zauberhafte Sträußchen.

Die Dahlien waren eine Freude, nur so zum Schneiden, denn sie standen auf dem Acker vor dem Wäldchen, auf dem Kartoffeln und dicke Bohnen gediehen. Karotten fühlten sich wohl, Kohlrabi und grüne Bohnen. Das Erdbeerbeet, viel Arbeit zwar immer, aber die Ernte war köstlich! Und die schwarzen Johannisbeeren - hm, eben mal vorbeigehen und einige in den Mund stecken. Die Himbeeren waren eine Pracht, bis spät in den Herbst hinein trugen sie ihre Früchte.

Meine Erinnerung geht durch den Garten, sieht die ersten Schneeglöckchen und Veilchen, die Bäume blühen; Goldregen, Kastanien, bescheiden der Ahorn und die vielen Birken. Später einige Obstbäume, Kirschen und Pflaumen, dann die wilde Johannisbeere, unser Eifelginster, wo immer nur ein Plätzchen frei ist; Forsythie und Felsenbirne. Wenn der Schlehdorn blühte im Wäldchen, meinte man, die Hecken hätten Hochzeitskleider angelegt. Überall die wilden Apfelbäume, der Weißdorn auf den Wiesen in seiner Üppigkeit.

Beim Haus blühte im Sommer eine ganze Wand Rhododendron. Die langen Stiele habe ich geschnitten (wenige wissen, wie wunderbar sie in der Vase frisch bleiben) und in der Nachbarschaft verteilt, so als kleine Entschuldigung für das Hundgekläff, es war nicht immer zu vermeiden.

Und dann im Sommer die blühenden Wiesen. Sie konnten leben, wurden nicht gemäht, nur im Herbst, wenn ihre Schönheit dahin war. Da gab es die reizende Bergnelke, das Leberblümchen, Buschwindröschen, die rote und weiße Taubnessel, den Löwenzahn natürlich, Ehrenpreis und Schlüsselblume, Klee in vielen Farben und Formen; die unzähligen Gräser sind nicht beim Namen zu nennen.

Wie gern sähe ich meine Sommer-Berg-Wiese mal wieder! Der Spätsommer brachte die Früchte des Feuerdorns, rot und gelb, schön für die Blumenvasen. Das rote Laub des Perückenstrauches, die Farbenpracht dieser Jahreszeit, könnte ich sie nochmals erleben! Meist bescheiden im großen Garten die Pilze, Champignons am Komposthaufen und Birkenpilze unter den Birken. Es gab auch Butterpilze am Wegesrand und Reizker unter den Fichten; besonders lecker paniert und gebraten. Daneben kleine Stellen voller Fliegenpilze, zur Zierde.

Dann war es Herbst, auch bei mir, die Hälfte der sechziger Jahre überschritten. Garten und Haus nahmen mir meine Kraft - soll ich alles verwildern lassen? Ein Häuschen unten im Dorf und nur ein paar Blumenbeete? Nein, dann läßt mich das Anwesen nicht los. Also etwas ganz Neues. In die Stadt ziehen, in ein Mietshaus, wo der Hausmeister die Anlagen pflegt. Und so ist es gekommen. Etwa ein Jahr brauchte ich, den Haushalt mit allem, was dazu gehört, aufzulösen - die Stadtwohnung ist klein. Meinen Rex konnte ich einer Bauernfamilie schenken, Vater und Sohn holten ihn mit dem Auto ab, auf der hinteren Sitzbank saß der Junge und legte seinen Arm um meinen Hund, so wars kein all-zu schmerzlicher Abschied für mich. Alles regelte sich nach diesem schweren Entschluß, die Eifel, meine Wahlheimat und für zwei Jahrzehnte Zuhause, zu verlassen. Nun habe ich Ruhe und Muße, Erinnerungen aufzuschreiben, ganz ohne Wehmut, aber voller Dank, daß ich so viel Beglückendes in meiner Eifelzeit erleben durfte.