Eine Viertelstunde Freude

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

Ins Partnerland Thüringen fuhren wir, in Eisenach war Station, Besuch der Wartburg mit einem Gang durchs historische Gemäuer, dann Wanderung durch die Drachenschlucht zum Rennsteig ... so schön ist Deutschland!

Vor der Wende war Eisenach unser Haltepunkt nach dem Grenzübertritt und »Halbzeit« auf der Fahrt gen Dresden. Im Städtchen trafen wir Freunde zu meist recht kurzem Wiedersehen - an der Georgenkirche zwischen zwölf und zwei, das war damals DIE Möglichkeit, Informationen und kleine Geschenke auszutauschen; kein Wunder, daß zu dieser Stadt ganz besondere Beziehungen wuchsen. Da kennt man dies und jenes Haus, freut sich herzlich über alle positiven Veränderungen, registriert aber auch Negativeinflüsse, die nirgends ausbleiben.

Nach einem wunderschönen Nachmittag und Abendessen mit der Reisegruppe aus der Eifel rührte sich das »schlechte Gewissen« in Eisenach wohnt eine alte Bekannte, einmal hat sie uns besucht, das ist Jahre her, damals war sie schon in den Siebzigern - ob sie noch lebt? Amalienstraße 1 und die Telefonnummer wußte ich. Also ein Blick ins aktuelle Buch, die Nummer war da, der Ruf ging nicht durch. Nein, diesmal keine »Oststörung«. Vor Tagen war im Raum Eisenach - das erzählte bereits der Wanderführer - ein großes Unwetter mit Hagelschäden und Wassereinbrüchen, die Leitungen hatten sich noch nicht überall regeneriert. Also erneuter Versuch aus einer städtischen Telefonzelle und siehe da, es klappte. Die alte Dame war so verblüfft, daß sie erst einmal gar nicht antwortete, als ich Name und Ort nannte. Dann ein wenig unsicher die Frage... wo sind Sie den jetzt... ich bin heute im Haus umgezogen, alle Räume sind voller Kisten und Kartons ...; nein, wir wollten ja nicht EINGELADEN werden, nur eben GUTEN TAG sagen.

O ja, bitte, kommt doch! Ein Blick auf den Stadtplan zur Orientierung und dann zu Fuß in ein altes Villenviertel aus den 30er Jahren. Da gab's eine Emilienstraße, Bachstraße ... wo bitte ist die Amalienstraße? Immer wieder fragten wir Leute, die in Gärten vor den alten Häusern den Sommerabend genossen. Amalien ...? Ach, vielleicht links, es könnte auch rechts sein. Ein wenig höher, eventuell hinter diesem Hang ...; wir liefen eine halbe Stunde umher, standen schließlich vor einem Haus Nummer Eins und - es war die Amalienstraße.

Der Aufgang zur Haustür in schlimmen Zustand. Bei uns würde das baupolizeilich gesperrt, in Eisenach geht's unter TOP ... wird demnächst saniert. Ein Arztehepaar - so hörten wir später - hat das Anwesen erworben, will's RETTEN. Doch vorab eben diese Treppen, für eine ältere Frau gar nicht ungefährlich und die Klingel, die tut's nicht. Aber sie hatte uns erwartet und kam aus dem ersten Stock zur Tür, empfing uns mit ausgebreiteten Armen und ...»herzlich willkommen bei mir«. Nein, das hätte sie schon arg übel genommen, wenn wir nicht vorbei gekommen wären. Eine Viertelstunde saßen wir mit ihr zwischen Tüten und Kartons, dem alten Flügel ihres Mannes - er war Kantor in Eisenach - erzählten von gestern und heute, luden zum Besuch in die Eifel ein und da meinte die resolute Dame ... »das wird Ihnen leid tun, ich komme vielleicht wirklich!« Es tut uns nicht leid und summa summarum, dies war eine Viertelstunde der Freude, der Kurzbesuch mit Einblick ins Alltagsleben unserer Bekannten.

Offen gesagt, ich hatte mir unter Amalienstraße schon ein Wohngebiet im Villenstil vorgestellt, aber nicht so heruntergekommen. Das hat mich arg bedrückt und die Vorstellung, daß eine betagte Frau dort wohnt, solch ausgetretene und geschundene Treppen benutzt, die Tür nicht abschließen kann, die Klingel nicht funktioniert und im Haus auch jeder Komfort fehlt... das ist ernüchternd.

Sie brachte uns bis zur Ecke der Straße, winkte lange und wir freuen uns aufs Wiedersehen.

So ein Besuch macht nachdenklich, ja auch dankbar für alle guten Dinge, die uns hier und heute der Tag beschert.

Vielleicht ist das die Essenz, die positive, die (auch) von der Fahrt ins Partnerland bleibt?

Man sollte ab und an verreisen ...