An Ostern nach Steiningen

Zur Geschichte der Mauritius-Kapelle

Alois Mayer, Daun-Pützborn

 

Steiningen, in der Verbandsgemeinde Daun, direkt am Fuße des einst mächtigen vorchristlichen Ringwalles, der Steineberger Ley gelegen, gehörte von Beginn seines Bestehens an bis heute stets zur Pfarrei Mehren. Seit etwas mehr als 250 Jahren bildet eine kleine Kapelle den Mittelpunkt jener Gemeinde. Sie ist nicht nur das Prunkstück des Dorfes, sondern gleichzeitig zur Osterzeit ein Magnet für viele Besucher und Gläubige, die einen frommen und höchst seltenen Brauch pflegen, der auf die Verehrung des Kapellenheiligen, des hl. Mauritius, zurückzuführen ist.

In der Pfarrchronik Mehren und in anderen voneinander abschreibenden Publikationen steht zu lesen, daß die erste Kapelle in Steiningen 1749 erbaut worden sei. Diese Angabe stimmt nicht, sie läßt sich urkundlich widerlegen.

1. Bereits 1744 wird erwähnt, daß in Steiningen die Reliquien des Mauritius verehrt werden. Sie waren mit Sicherheit in einem Altar oder Reliquienschrein innerhalb einer Kapelle untergebracht.

2. Es findet sich der urkundliche Hinweis, daß am 17. 9. 1741 zu Steiningen ein »Benefizium simplex« errichtet wurde. Das bedeutete, daß Steiningen eine Stiftung gründete, aus deren Erlös oder Einkommen der jeweilige Pastor eine Vergütung erhielt, wenn er in Steiningen Gottesdienst hielt. Da solche Benefizien nur durch den Papst oder durch einen von ihm beauftragten Bischof - damals der Erzbischof von Trier - eingerichtet werden konnten, muß also in diesem Jahr 1741 eine Kapelle gestanden haben. Da dieses Benefizium »sine cura« war, also ohne Pfarrhaus und Residenzpflicht eines Geistlichen, kann es sich nur um die Einrichtung einer Frühmesserei gehandelt haben. Das Ziel dieser Stiftung war, daß mit ihr »damit künftighin alt und preßhaften Leuten sonn- und feyertags Eine Heylige Meß haben mögten.« Demnach wurde also an allen Sonn- und Feiertagen in der Kapelle eine Frühmesse gehalten. Ausgenommen waren nur die Feste Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Allerheiligen und Maria Himmelfahrt, an denen die Steininger zum Gottesdienst nach Mehren mußten.

3. Am 17.9.1741 wurde auf Vorschlag des Kölner Generalvikariates der in Adenau geborene Johann Stefan Seutor als Frühmesser nach Steiningen eingewiesen. Seine Besoldung bezog er aus der dortigen Kapelle.

So ist also ganz eindeutig bewiesen, daß die Mauritiuskapelle in Steiningen 1741 erbaut und rechtzeitig zur damaligen Dorfkirmes, Sonntag, 17. September, fertiggestellt worden war.

Von ganz entscheidender Bedeutung war dabei der hohe persönliche Einsatz des damaligen Ortsbürgermeisters Anton Schröder. Im ganzen trierischen Land zog er umher und erbettelte sich von einflußreichen Personen, vom Bistum Trier und Köln, von Klöstern und Pfarrern Geld, um den Neubau der Dorfkirche zu ermöglichen. Ihm ist es auch zu verdanken, daß Reliquien vom hl. Mauritius nach Steiningen gelangten. Aus Dankbarkeit für Schröder und andere Wohltäter wurden bis ins 19. Jahrhundert in der Kapelle jährlich sieben Messen gehalten, die aus dem Kapellenvermögen bezahlt wurden.

Die Frühmesserei

Der Mehrener Pastor konnte die vielen Arbeiten und Gottesdienste in seiner großen Pfarrei, die bis 1803 aus sechs weit verstreuten Filialen bestand, nicht alleine bewerkstelligen. Von ihm angestellte Frühmesser, Vikare oder sonstige Hilfsgeistliche wohnten im Mehrener Pfarrhaus, wurden dort auch beköstigt. Sie waren häufig sehr arm, erhielten vom Pastor nur geringe finanzielle Unterstützungen und waren meist nur auf das angewiesen, was sie von den Filialen für gehaltene Gottesdienste, unterrichtliche oder sonstige seelsorgerliche Tätigkeiten er hielten. Der Steininger Frühmesser war verpflichtet, an Sonn- und Feiertagen zu predigen und nachmittags Unterricht zu halten. Er hatte aber die Erlaubnis, das Allerheiligste Sakrament in der Kapelle zu bewahren und auszusetzen. Da die Bewohner Steiningens für den Lebensunterhalt eines solchen Frühmessers aufzukommen hatten, stand ihnen auch das Recht zu, einen solchen Vikar zu ernennen, zumindest die Zustimmung oder Ablehnung für die Person zu geben, die der Mehrener Pastor vorschlug.

Dieses Altarbild des hl. Mauritius, gemalt von dem Trierer Lehrer Kraus, gelangte 1896 in die Kapelle.

Der erste bekannte Frühmesser in Steiningen war Johann Stephan Seuter (Sutor) aus Ade-nau, welcher am 17. 9. 1741 seine Ernennung erhielt und 1759 in Steiningen starb. Es bleibt zu vermuten, daß er im Ort selbst seine Wohnung hatte. Sein Einkommen bezog er aus dem Ertrag von zwölf Morgen Ackerland, aus der Lieferung von vier Wagen Heu und dem nötigen Brandholz. Dazu hatte er das Recht, zwei Schweine, vier Stück Rindvieh und 25 Schafe frei zu halten. Insgesamt betrug sein jährliches Einkommen, ohne Stipendien oder sonstige Zuwendungen, 92 Reichstaler und 18 Petermännchen.

Für viele Bürger des stets einkommensschwachen Ortes Steiningen bedeuteten diese Zahlungen und Aufwendungen ein hohes Maß an Opferbereitschaft. Aufgrund ihrer persönlichen Armut waren die finanziellen Leistungen und die Zehntabgaben an den Frühmesser und an den Pastor zu Mehren kaum aufzubringen. Bereits 1760 beklagte daher der Mehrener Pfarrer Bürsgens die negativen Wirkungen dieser Stiftung und sagte aus, daß es durch sie zum Ruin der Gemeinde, der Gemeinschaft und somit auch zu Vorurteilen und unschönen Auseinandersetzungen zwischen Bürgern, Pastoren und Frühmessern käme.

Der zweite und letzte durch Steiningen fest angestellte Vikar war Matthias Hohn aus Gillenfeld, der am 20. 12. 1760 ernannt und von Pastor Bürsgens eingeführt wurde. Nach dessen Amtszeit wollte Steiningen keinen weiteren Frühmesser mehr anstellen. Es kam in dieser Angelegenheit zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Mehrener Pastor und dem Ort, der 1794 und 1795 inständig die Bischöfliche Behörde bat, das Benefizium von Obrigkeitswegen zu annullieren. Dieser Bitte wurde entsprochen, und so endete die Frühmesse-Stiftung in Steiningen, nachdem sie 54 Jahre bestanden hatte. Die Güter der Stiftung fielen an die Gemeinde zurück.

Der Hochaltar mit dem Mauritiusbild und der ehemaligen Kommunionbank in der Ortskapeile.

Foto: Hubert Hab

Zweiter Neubau

Der Säulen-Hochaltar in der Steininger Kapelle war von Beginn an dem Schutzpatron des Dorfes, dem hl. Mauritius, geweiht. 1861 war er für 50 Taler von der Seminarkirche (= Jesuitenkirche) in Trier gekauft worden. Das nachträglich ersetzte Mittelbild auf dem Hochaltar zeigt Mauritius hoch zu Pferde, umgeben von Soldaten seiner thebäischen Legion, gemalt von dem Trierer Gymnasialzeichenlehrer Kraus, der es der Gemeinde schenkte.

Dieses Mittelbild ziert noch heute den Altarraum. Der alte Altar, der heute nicht mehr existiert, besaß nach vorn herausgedrehte, geschweifte und reich profilierte Gesimse. Die Kapitelle und freien Flächen waren mit Rokokoornamenten verziert. Den oberen Abschluß bildete eine Strahlenglorie hinter Wolken.

 Obwohl immer wieder Erhaltungs- und Renovierungsarbeiten in der Kapelle stattfanden, war sie 1862 in so schlechtem baulichen Zustand, daß 1876 der Neubau erfolgte. Bezahlt wurde er durch freiwillige Spenden, Fronarbeiten und durch das Eigenkapital der Kirche. Nach dem Zweiten Kriege mehrmals angestrichen und notdürftig repariert, erhielt die Kapelle 1963 einen neuen Altar und eine neue Außentür.

Pastor Egon Helmes bei der traditionellen Pferdesegnung Ostern 1992, Nahezu 140 Pferde waren mit ihren Besitzern zu dieser Feierlichkeit gekommen. Foto: Alois Mayer

Die Empore mit den Kreuzwegstationen wurde 1951 errichtet, im gleichen Jahr der Einweihung des neuen Ortsfriedhofes. Platz wurde gebraucht, besonders bei Beerdigungen, denn die Totenmessen für Verstorbene aus Steiningen wurden ab diesem Jahr nicht mehr in Mehren gehalten.

1984 wurde eine gebrauchte Pfeifenorgel eingebaut. Sie stammt aus der Pfarrei St. Paulus, Saarbrücken. Durch die Bemühungen des damaligen Rendanten Michels, Mehren, erhielten die Steininger sie nahezu geschenkt. Dieses neue Musikinstrument mit ihrem anmutigen Klang löste die alte, wurmstichige und nicht mehr brauchbare Orgel ab, die Mitte der 50er Jahre von der Pfarrei Demerath erworben wurde.

Die bisher letzte und grundlegende Renovierung begann 1989 und wurde rechtzeitig zur Kirmes 1992 abgeschlossen. Bei einem Kostenaufwand von nahezu 100000,- DM wurden Arbeiten am Dach, Außenputz und Innenanstrich, Holzschutzarbeiten an der Empore und am teilweise wurmstichigen Gebälk, am Turm- und Firstkreuz, an den Fenstern und den Eingangsgewänden vorgenommen und neue Kirchenbänke angeschafft.

Mauritius und seine Verehrung in Steiningen

Mauritius gilt als der Schutzpatron der Soldaten, der Messer- und Waffenschmiede und wird bei Kämpfen und Gefechten angerufen. Er hilft bei Besessenheit, Gicht und Ohrenleiden. In ganz besonderer Gunst steht er aber bei der Landbevölkerung, die ihn als Schutzpatron für ihre Pferde erkoren hat.

Gerade das Pferd, von der Germanenzeit bis heute im deutschen Volk als heiliges Tier angesehen, war für Bauern stets der treueste und zuverlässigste Freund. Wer sich ein Pferd leisten konnte, galt als reich und angesehen. Man hegte und pflegte es und flehte bei Krankheiten die Hilfe aller Heiligen an, besonders die des hl. Mauritius.

Sofort nach dem Bau der Kapelle in Steiningen und der Überbringung von Reliquien nach dort setzte eine intensive Verehrung des Heiligen ein, die bis heute noch nicht nachgelassen hat. Aus weitem Umkreis eilen Gläubige mit ihren Pferden nach Steiningen, um für das Wohlergehen ihrer Pferde zu beten und auf sie feierlich den Segen Gottes und die Fürsprache des heiligen Mauritius herabzurufen.

Ist das Fest des Heiligen kirchlich zwar erst am 22. September, so wurde in Steiningen sein Gedenktag von Anfang an an Ostermontag gehalten. Urkundlich belegbar ist, daß bereits 1749 Pferdehalter aus nah und fern an Ostermontag nach Steiningen kamen, um dort nach feierlichem Hochamt die Segnung für ihre mit Blumen und bunten Tüchern geschmückten Tiere und für sich zu erhalten. Hoch zu Roß ritten die Besitzer oder führten ihre Rösser nach der Messe dreimal um die Kapelle und empfingen dann den Segen. Bauern, die kranke Pferde hatten oder sie nicht mit nach Steiningen bringen konnten, nahmen am Gottesdienst teil und schritten ebenfalls prozessionsartig um die Kirche.

Für diese Weihehandlung opferten sie die im Laufe des Jahres gesammelten Pferdehaare. Sie wurden weiterverkauft und mit dem Erlös konnten sowohl der Priester bezahlt, als auch kirchliche Anschaffungen getätigt werden. Am 24. 4. 1787 schloß Pastor Bürsgens mit dem »achtbaren Meister Stefan Roos aus Mayen« einen Vertrag ab, wonach dieser, »die Pferdehaare bekommen sollte, die in der Kapelle zu Steiningen auf Ostermontag geopfert würden«; für das Pfund sollte er 8 1/2 Albus bezahlen, eine beachtliche Summe für die damalige Zeit. Das Opfer bezog der Pastor ganz. Ab Mitte des letzten Jahrhunderts wurde statt der Pferdehaare Geld geopfert. Nach dem Hochamt wurden den Pferdebesitzern die Reliquie des hl. Mauritius zum Kuß dargereicht, wofür sie dann spendeten. Die Summe betrug durchschnittlich 2-3 Taler.

In diesem Jahrhundert, besonders nach den Wirren des Ersten Weltkrieges und der sich anschließenden französischen Besatzungszeit mit ihren zahlreichen Pferdebeschlagnahmungen, wurde der ostermontägliche Brauch eingestellt, 1934 aber wieder feierlich eingeführt; 30 Pferde waren zur Kapelle gebracht worden. Nach dem Kriege vermeldet die Chronik für1949, daß 75 Pferde anwesend waren und das Geldopfer 99,- DM betrug. Die Zahl der zur Segnung herbeigebrachten Tiere blieb nahezu konstant, stieg 1960 auf 80 Pferde an und ging dann infolge der stark einsetzenden Technisierung und Motorisierung stark zurück.

Fast schien es, als sei das Pferd aus den Dörfern verschwunden, würde nicht mehr gebraucht.

Doch das war nicht der Fall. Fand es seinen Einsatz auch nicht mehr so stark als Haus- und Arbeitstier, so erlebte es durch Ferien- und Freizeitangebote von Reitervereinen oder -höfen erneut eine starke Zunahme. Presse und Medien berichten über diesen Brauch, der alljährlich zahlreiche Gläubige und Interessierte nach Steiningen führt; 1992 war wohl das bisherige »Rekordjahr«. Nahezu 140 Pferde, angeführt vom kleinsten Pony bis zum mächtigen Kaltblut, wurden durch den Mehrener Pastor, hoch zu Roß reitend, gesegnet.

Festgestellt werden konnte aber auch, daß sich außerhalb der Kirche am Bierstand mehr Gläubige aufhielten, als drinnen in der halbleeren Kapelle. Selbst das urkundlich notierte, dereinst beliebte Mauritiuslied, war - und dies schon seit Jahren - nicht mehr zu hören:

»Mauritius, Freund Christi, groß,

der Du nun ruhst in Gottes Schoß,

wir ehren Dich an diesem Tag

soviel nur unser Herz vermag.

Es litt Dein Leib den Martertod,

doch Deine Seel' fuhr auf zu Gott,

dort jubelt sie vor Jesu Thron

geschmückt mit Palm und Siegeskron.

Mauritius, im Himmelslicht,

vergiß nun auch die Deinen nicht.

Wir alle sind Dir anvertraut,

auf Deinen Schutz ein jeder baut.«