Hör' ich ein Mühlrad gehen

Die »Hummes Müll«

Franz-Josef Ferber, Daun

 

Dicht an der alten Bundesstraße 257, unterhalb des Dorfes Üß, stand sie, die Getreidemühle der Familie Emmerichs, nach deren Hausnamen im Volksmund «Hummes Müll« genannt, umsäumt von einer Buche an der oberen und einem Wildkirschbaum an der unteren Seite. Am hinteren Giebel war das Wasserradhäuschen angebaut; es hatte ein Schottelpfannendach. Oberhalb der Mühle, längs der Straße, befand sich der Mühlteich, den wir die «Klaus« nannten und den der Üßbach speiste. In den Jahren des Zweiten Weltkrieges wurde in der Mühle noch Mehl gemahlen, nach dem Krieg nur noch Schrot, das die Bauern an das Rindvieh und die Schweine verfütterten.

Die Mühle hatte es uns Jungen besonders angetan. Interessantes gab es hier zu sehen und zu tun. Die Straße, die an der Mühle vorbeiführte, war gleichzeitig unser Kirchweg. Den mußten wir oft gehen. Manchmal gingen wir ihn widerwillig. Da tat uns eine Abwechslung gut. Ungestört konnten wir dort unser Unwesen treiben, weil die Mühle zu jener Zeit nicht den ganzen Tag bewacht war. »Hummes Mattes«, der langjährige treue Knecht auf dem Gutshof Emmerichs, kam nur periodisch zum Kornmahlen in die Mühle. Und selbst wenn er uns mal bei unseren »Schelmestöcka« ertappte, dann tat er uns nichts, dafür war er zu gutmütig.

»Hummes Müll« bei Üß

Foto: Alfons Possder

Am meisten hatten wir es auf die Schleuse abgesehen. Diese Vorrichtung bestand aus einem Eichenpfahl, am unteren Ende der »Klaus« in den Boden gerammt. Hieran war kreuzförmig ein Hebel angebracht, an ihm eine Kette mit einem mächtigen Holzpfropfen befestigt. Die Bedienung war kinderleicht. Man brauchte nur den Hebel herunterzudrücken. Dadurch zog sich die Kette nach oben, und es löste sich der Pfropfen aus dem Einlauf. Schon war die Schleuse offen. Und weil es so einfach war, machten wir, wenn wir aus der Kirche - etwa vom Beichten - kamen, hiervon häufig Gebrauch. Wir hatten nur darauf zu achten, daß die Schleuse geschlossen und die Klaus wassergefüllt war; denn dann konnte normalerweise niemand in der Mühle sein. Kurzerhand bahnten wir uns einen Pfad durch die hohen Brennesseln und Farnkräuter, um die Schleuse zu erreichen, drückten - zumeist mit zwei Mann - kräftig auf den Hebel, und schon schoß das Wasser durch eine hölzerne Rinne auf das riesige Mühlrad. Dieses setzte sich schwerfällig in Bewegung. Sein unheimliches Getöse störte die Stille des Tales. Das dämonische Geräusch strapazierte arg unsere Nerven. Hin und wieder liefen wir zu dem Häuschen, blieben dort eine Weile stehen und schauten im Halbdunkel dem Spiel des Wassers mit dem Rad zu. Das war ein unheimlicher Anblick, der uns erschaudern ließ. Danach machten wir uns eiligst aus dem Staub. Wenn Hummes Mattes später kam, um Korn zu mahlen, war die Wasserkraft erschöpft, und er mußte unverrichteter Dinge nach Hause gehen.

In den letzten Kriegsjahren diente die Mühle auch anderen Zwecken. Die Textilfabrik einer fernen Großstadt hatte ihre Waren, um sie vor den Bombenangriffen zu schützen, in der Hummes Müll gelagert. Aber sicher waren die Sachen, in der Hauptsache Garne, auch hier nicht. Bomben fielen zwar nicht auf die Mühle, dafür hatte sie es aber stets und ständig mit ungebetenen Besuchern zu tun, die sich am fremden Eigentum bedienten. Und es dauerte nicht lange, da sah man überall Gestricktes und Gehäkeltes aus den Garnen, die auf dem Mühlenspeicher lagerten. »Müllejoa« (Mühlengarn) wurde bald zu einem Begriff.

Es mag in den 60er Jahren gewesen sein, als das schadhafte Dach der Mühle plötzlich in sich zusammenfiel. Und es dauerte nicht lange, da stürzten auch die scheinbar stabilen Bruchsteinmauern ein. Damit war es mit der Mühlenromantik, die einen Teil unserer Kindheitserinnerungen ausmacht, endgültig vorbei.

Aus: F. J. Ferber »Wie's daheim war - Erzählungen aus dem Üßbachtal« (nicht veröffentlicht)

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