Der Baum, die Frucht -

und ein fast vergessenes Gedicht

Marianne Schönberg, Jünkerath

 

Zu Umwelttagen hatte die Schule eingeladen, ein aktuelles Thema und die Sorge um den BAUM brennt auf den Nägeln. Texte und Lieder wurden dargeboten, ein Singspiel - alles sehr zeitnah und das ist ja auch wichtig, man möchte Menschen hier und heute aufmerksam machen. Auf einmal - ich traute meinen Ohren kaum - sagte ein Mädchen das alte Gedicht vom Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havellande. Das hatte ich seit meiner Schulzeit nicht mehr gehört. Mir wars als Kind eine Besonderheit. Nein, nicht wegen der schönen Sprache des Theodor Fontäne. Die hätte zwar alle Beachtung verdient, doch damals war Krieg, Entbehrung herrschte allenthalben in den Familien der großen Städte - nichts gabs, auch keine Birnen, von denen eben dieser Text so anschaulich berichtete; ich sah die Frucht richtig vor mir, gelb, groß, duftend. . . so etwas geschenkt zu bekommen, das wärs. Aber für mich bliebs ein Traum und für viele meiner Schulkameraden auch.

Jahrzehnte später, als unsere Kinder zur Schule gingen, wurde Modernes gelehrt. Auch an Gedichten. Meine einsamen Rezitative am häuslichen Herd - Frühlingsspaziergang aus Goethes Faust oder eben die Birnbaumgeschichte - kamen beim Nachwuchs überhaupt nicht an. Verständnislos reagierten sie auf den alten Kram, fanden die Spache unmöglich und irgendwann hörte ich auf, Klassiker anzubieten. Für den Schulalltag Notwendiges wurde abgefragt, meist waren das englische Texte oder Reime; Zeitgemäßes in mehr oder weniger schöner Versform.

Und dann so viele Jahre später dies Erlebnis, an der gleichen Schule, das verwirrte mich arg. Gewiß, Leben heißt sich verändern, entwickeln, auch mal korrigieren, neues (oder altes) aufnehmen, neu bewerten. Daheim hab ich nach dem Gedicht gesucht - vergeblich. Im Haus gabs kein so altes Schulbuch mehr.

Schließlich brachte ein lieber Bekannter aus seinem Schatz eine Fotokopie des Fontäne-Gedichts und gleich füllte ich Erinnerungslücken auf, entdeckte (nun) auch die Schönheit der Sprache, war wieder aufs neue in meiner Vorstellung begeistert. Aber es sollte noch besser kommen.

Ein Besuch bei Freunden im Berliner Raum stand an und die fragten uns . . . was wollt ihr mal sehen?

Ribbeck. Der Ort lag früher hinter der Grenze, doch nun war er problemlos zu erreichen. Auf der alten Hauptstraße von Berlin Richtung Hamburg gehts nach Nauen und da liegt das Dorf. Unscheinbare graue Häuser säumen die Straße, wir suchen im Ort einen Parkplatz, fragen ältere Männer, die am Vormittag unter der Baumgruppe ihren Schwatz halten, nach den historischen Stätten ... wo bitte ist der Birnbaum?

Die alte Dorfkirche, neben dem Haupteingang der neue Birnbaum.

Unter diesem jungen Bäumchen soll die Grabstätte des alten Herrn liegen. Foto: Gertrud Neuge-bauer, Spandau

 

Ach, Sie auch. Da kommen jetzt eine Menge Leute. Schauen Sie mal an der Kirche und dahinter im Friedhof - das Interesse der Einheimischen hält sich in Grenzen. Beim Plausch so ein Stück des Wegs knurrt ein Alter... der von Ribbeck war überhaupt nicht freigiebig, ich weiß gar nicht, was das alles soll.

Welchen er meinte, war nicht festzustellen. Den neuen, jungen, den Verstorbenen aus dem Gedicht oder dessen Nachkomme? Immerhin, Fontäne schreibt ja ... «der Neue aber knausert und spart, hält Park und Kellerraum strengstens verwahrt. Aber der Alte, vorahnend schon und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn, der wußte genau, was damals er tat, als um eine Birne ins Grab er bat.«

Nun folgt im Gedicht die schöne, botanisch leider unmögliche Version . . . »und Jahre drauf aus dem stillen Haus ein Birnbaumschößling sproß heraus«. Ein wenig weiter dann .. . »und kam ein Junge des Wegs daher, so flüsterts im Baume, »willste en Beer?« Und so weiter und so fort. Der Alte von Ribbeck beschenkte zur HERBSTZEIT durch seinen Baum aus dem Grab die Kinder im Ort - Legende, frommer Wunsch, schöner Traum.

Was blieb von den Ribbecks? Das alte Herrenhaus, ein stolzes Gebäude, aber der Verfall ist unübersehbar. Ein Erinnerungsfoto macht man am besten in gehörigem Abstand. Im ehemaligen Parkgelände pflanzte die Arbeiterwohlfahrt kürzlich einen neuen Baum, dort, wo der gestanden haben könnte, von dem Fontäne erzählt. Ein wenig abseits vom Herrenhaus, hinter den ehemaligen Gesindehäusern, gibts einen kleinen internen Friedhof derer von Ribbeck. Viele Grabsteine stehen da, sind zum Teil noch zu entziffern - nein, die suchten wir nicht. Aber neben der Kirche an der Mauer eine Gedenktafel und wieder ein kleiner Birnbaum. Unter ihm soll der ALTE ruhen; der Baum wurde vor Jahren durch ein Unwetter zerstört.

Die Stirnseite des Herrenhauses derer von Ribbeck, im Vordergrund im alten Park der Birnbaum, den die AWO ungefähr an historischer Stelle neu pflanzte.

Was bleibt nun unterm Strich von solcher Reise in die Vergangenheit? Nachdenklichkeit und ein wenig mehr.

Weil der Mensch nicht nur aus Erinnerung lebt, ihm der Tag hier und heute wichtig ist und eigene Fagen aufwirft, gibts da noch eine ganz gezielte - was geschieht jetzt mit den Früchten unserer Streuobstwiesen, des alten Birnbaumes am Weg, im Garten? Ihre Fülle war im letzten Herbst so groß, daß nicht mehr geerntet wurde. Überall fielen Äpfel, Birnen und Pflaumen zu Boden, faulten, wurden zertreten und gar nicht wahrgenommen und wenn - dann als Plage: Früchte, Geschenke der Natur.

Doch, wir mögen welche. Aber es soll etwas Besonderes sein, Teures, Exotisches ist gefragt, das macht Eindruck.

Nur selten bereichern heimische Obstsorten unsern Speisezettel. Beinahe schamhaft wird schon mal Birnenkompott gereicht, von Apfelmus ist gar keine Rede. Pflaumen gedünstet im Schüsselchen? Das sieht ja nach »arme Leute« aus! Irre ich mich?

Das wäre schön, mit Freude würde ich morgen schreiben ». . . unser heimisches Steinobst ist wieder in Mode gekommen, und wer auf sich hält, bringts in irgendeiner Form auf den Tisch.« Vielleicht muß man warten können ..