Glück am seidenen Faden

Erzählung ums Jünkerather Schloß

Wilma Herzog, Gerolstein

 

So war es immer schon gewesen, auch Fortuna machte sich kaum Mühe mit denen in den Hütten. Lieber ging sie eine Zeit achtlos an ihnen vorbei. Wenn das Gewissen sie deswegen doch einmal packte, betrat sie den holperigen Pfad dahin, bückte sich unter der niedrigen Tür hindurch und hängte einen seidenen Faden an die Wiege eines Neugeborenen.

Es war das Geschenk einer wohlklingenden Stimme, ein Instrument vollendet spielen zu können oder eine andere, die Menschen erfreuende Gabe wie Malen oder Dichten. Es galt, diesen feinen Faden zu finden, geschickt und eifrig daran zu arbeiten und zu drehen, daß er kräftiger und stärker wurde. Bis er eines Tages fest genug war, an ihm hinausgeführt zu werden aus dem Elend, hin zu den Palästen, Burgen und Schlössern der mächtigen Grafen und genußliebenden Fürstbischöfe, die sich diese Talente nutzbar machen konnten. War aber eine solche Gabe nicht beseelt durch einen guten Geist, war sie hohl wie eine taube Nuß, die im Herbst wohl mit den anderen geerntet, dann aber fortgeworfen wird.

Zu den wenigen Begünstigten der launischen Glücksbringerin gehörten der Sohn eines Korbflechters und eine Köhlerstochter. Der Graf von Manderscheid-Blankenheim, Herr über viele Burgen und Besitztümer im Eifelland, vernahm eines Tages auf seinem Ritt entlang der Kyll das meisterhafte Spiel eines Horns. Als er den Klängen nachgegangen war, fand er einen Jungen musizierend auf dem Dach einer Hütte sitzen. Sein Vater, der Korbflechter, zögerte zunächst, willigte dann aber ein, seinen Sohn mit dem Grafen ziehen zu lassen, als dieser ihm fest versprach, den Jungen ausbilden zu lassen, um ihn im Stab seiner Musikanten aufzunehmen. So genoß dieser eine Schulausbildung und hatte in den folgenden Jahren neben anderen Instrumenten jetzt auch das Lautespielen erlernt. Gerade rechtzeitig zum großen Einweihungsfest, das alle vorhergewesenen übertrumpfen sollte. Denn der Graf hatte auf den Ruinen einer alten Burg, im wunderschönen Kylltal bei Glaadt, ein prächtiges Schloß errichten lassen. Weithin waren seine hohen Türme sichtbar und die Sonne spiegelte sich nun munter in den buntverglasten hohen Fenstern. Sie spiegelte sich aber auch genauso gern in einem kleinen Bach, der tief im Wald an der Hütte des Köhlers vorbeieilte, dessen Tochter an seinem Rande die Wäsche bleichte. Dazu sang sie mit wunderschöner Stimme ein Lied nach dem anderen. Die Mägde des Grafen, unterwegs im Wald, die vielen Fichtenreiser für die Girlanden zur Ausschmückung des neuen Schlosses zu sammeln, hörten diese Stimme und berichteten dem Grafen darüber. Da er zur Einweihung viele erlauchte Gäste erwartete, die er auch mit schönem Gesang erfreuen wollte, ließ er das Mädchen zu sich rufen. Nachdem es ihm ohne Scheu vorgesungen hatte in seiner herzerfrischenden jungen Schönheit, nahm der Schloßherr es sofort in seine Dienste.

 

Am Tage der Einweihung wehten überall festlich vielfarbene Fahnen von den Türmen des Schlosses, blumengeschmückte Girlanden umrandeten, mit bunten Bändern verziert, alle Fenster- und Torbögen. Die hohen Gäste, von fern und nah angereist, saßen an fürstlich gedeckten Tafeln und ließen sich's Wohlsein an allem was wilde Eifelbäche, tiefe Wälder und Gärten an Köstlichem dem Gaumen boten. Dazu tranken sie die erlesensten Weine. Der Graf gab ein Zeichen, da erschienen die Musikanten, seine Gäste mit musikalischen Köstlichkeiten zu laben. Hier traf erstmals das Auge des Korbflechtersohnes das der schönen Köhlerstochter, als sie zu seinem Lautenspiel sang. Beide waren wie vom geheimen Blitz getroffen und mußten immer wieder Blicke tauschen.

Jetzt gab der Graf abermals ein Zeichen, diesmal betraten Tänzerinnen in bunte Seidentücher gewandet den Saal, zum Klang der Hörner und Trommeln zeigten sie ihre Kunst. Sie wirbelten schnell und immer schneller, heftiger dröhnten die Trommeln, ausgelassen mischten sich die einen unter die Vorführenden, rascher leerten die anderen die Gläser und trieben zu immer gewagteren Sprüngen an, bis allen die Scheu abgefallen war und sie auf die Tische sprangen, um sich der wildesten Ausgelassenheit hinzugeben.

Die jungen Menschen, die sich soeben zum ersten Male gesehen hatten, wandten sich entsetzt fort von dem, was sich vor ihren Augen entzündet hatte. Eine ganz leichte Kopfbewegung des Lautenspielers hin zur Tür verstand die Köhlerstochter sofort. Während die anderen Musiker mit offenem Mund dem gottlosen Treiben zusahen und dieses auch noch durch wildere Töne anheizten, verließen die beiden jungen Menschen den Saal. Sie wußten, daß sie mit diesem Entschluß ihr Brot verlieren würden und das Schloß wohl nie mehr betreten durften. Damit sie nicht aufgehalten wurden, gingen sie zunächst langsam an den Bediensteten vorbei, die immer noch neue Weinkrüge hereinbrachten, bis sie aus dem Hauptgebäude heraus waren. Erst als sie bei den Stallungen waren, wo Pferdejungen sich um die prächtigen Rösser der Gäste kümmerten, liefen sie über den Hof mit seinem großen eingepflasterten weißen Kreuz, doch der leichte Schuh des Mädchens blieb in einem Spalt stecken, als es sich danach bücken wollte, entdeckte ein Wachmann die Flüchtenden vom nahen Turm. Er rief sie in harschem Ton an, da ließen sie den Schuh und rannte atemlos, bis sie das Schloß weit hinter sich gelassen hatten.

Sie erreichten die bewaldete Anhöhe, blieben in dieser sicheren Entfernung stehen und schauten noch einmal zurück zum prächtigen Bau, aus dem ein weit besseres Leben noch einmal zu locken schien, als das, was nun dunkel vor ihnen lag, und die Trommeln dröhnten zu ihnen herüber und schlugen im Takt mit ihren bangen Herzen wegen des gewagten schnellen Entschlusses. Da faßten sie einander tröstend an den Händen und sahen dabei die gelbgeränderten schwarzen Wolken, die sich über Kylltal und Schloß zusammenzogen, aus denen plötzlich ein gewaltiger Blitzstrahl in den höchsten Schloßturm schoß. Der darauffolgende Donner mischte sich mit dem Zerbersten der Mauern und Türme des Schlosses, das nun wie ein Kartenhaus vor ihren Augen in Flammenlodern und Staubwolken versank.