Der Pferdekrieg

Lotte Schabacker, Daun

 

Diesmal war alles genau umgekehrt wie sonst: Die Menschen waren sich einig, und die Pferde zankten sich! - Die Mitglieder des Reitvereins grüßten sich auf der Straße schon von weitem, ganz gleich, wer beim letzten Ausreiten das beste Pferd ergattert hatte; die Vorstandssitzung wurde gegen alle Erfahrung und Sitte zur gegenseitigen Sympathiekundgebung, und selbst die Voltigierer unterbrachen ihren permanenten Aufstand.

Die neue Eintracht war ein Beweis für die These, daß die großen und echten Sorgen die Menschen zusammenführen, ohne Ansehen der Person. Dieser Pferdekrieg nämlich würde, wenn es uns nicht bald gelänge, die streitenden Parteien zur Vernunft zu bringen, unseren geliebten kleinen Reitverein in den Bankrott treiben...

Unschuldig-schuldiger Anlaß zu dem unglückseligen Krawall war der Neue! Als er zum erstenmal mit großem menschlichem Geleit in den Stall geführt wurde, sagte er: «Grüß Gott, die Herrschaften!« Da hatte er schon verspielt. Ich weiß, es ist verpönt, tierische Regungen zu vermenschlichen. Nun kann ich zwar wiehern, schön und laut, aber nicht ein paar Seiten lang, das macht mich heiser. Und außerdem wäre auch nicht viel damit getan. Der Signalkodex unter Tieren ist ja menschlichen Ohren und Augen weitgehend unwahrnehmbar. Ich müßte also das Papier mit pferdlichen Codezeichen füllen, aber dann wäre dies keine Geschichte für Pferdenarren, sondern für Verhaltensforscher, vorausgesetzt, ich könnte ihnen übersetzen, was ich da geschrieben, - und selbst verstehen, was ich gemeint habe. - Im übrigen: Wenn eine bestimmte pferdliche Situation mit bekannten Teilnehmern, erst einmal in Fluß gekommen, aufs gleiche hinausläuft wie bei charakterlich adäquaten Menschen, wenn also beide Fälle mit Hilfe der gleichen Denkschablone einigermaßen errechenbar oder doch wenigstens nachfühlbar sind, so sollten sie auch, hier wie dort, in einem menschlich verständlichen Idiom erzählt werden dürfen; denn die Schlußfolgerungen in bezug auf die zwischendurch wirksam gewordenen Gefühle und »Gedanken« sind bestimmt bei Mensch und Tier gleich windig.

Kurz und gut, der Neue signalisierte: »Grüß Gott, die Herrschaften!« Das war verkehrt. Wir sind hier in der Hocheifel. Bei uns findet man schon, daß »Guten Tag« mindestens zur Hälfte gelogen ist. Bei uns grüßt man mit »Tag zam-men« oder »Mahlzeit«. Und wenn man keine Antwort bekommt, dann brummt man »Götz von Berlichingen«, was erstens treffend den Gemütszustand in einer solchen Lage klarmacht und außerdem beweist, daß man auch hier literarisch gebildet ist. Der Neue aber erwiderte die bockige Stille leider mit »Nanu«. Nanu ist überall eine Herausforderung, bei uns jedoch ist es geradezu der Auftakt zum Krakeel. Sich hierher zu wagen als Ersatz für die unersätzliche Charlotte-Scheherazade - und dann auch noch gleich gute alte Bräuche beanstanden!

Statt sich die Sache nun einmal durch den Kopf gehen zu lassen und klein beizugeben, stolzierte der Unglückswurm fröhlich auf die gegenüberliegende Tür zu, um endlich in den großen Stall mit den vielen Tieren zu gelangen, in den er gehörte, denn dies hier konnten doch wohl nur ein paar eingebildete, rotznasige Privatpferde sein! Und das war der fatale Irrtum seines sonnigen jungen Lebens, denn bei uns gibt es den großen Stall mit den vielen, vielen Pferden gar nicht und auch keine Privatpferde. Wir sind schon glücklich über die fünf, die hier stehen, denn wie gesagt, wir sind ein kleiner Reit- und Fahrverein in der Hocheifel - und wir sind stolz darauf. Und unsere Pferde auch!

Als der Neue schließlich begriffen hatte, daß es so was auch gibt, beschloß er offensichtlich, die Sache apart zu finden, ließ sich willig in seinen Ständer führen, guckte nach beiden Seiten, sagte »Tschuldigung« und genoß erst mal in aller Gemütsruhe die menschliche Bewunderung und den Willkommhafer. Und damit setzte er seiner Fehlhaltung die Krone auf. Außerdem war ohnehin schon alles zu spät! Ein verdächtiger Ausländer! Dieser alberne Akzent!

Affektiert wie jeder Großstädter! Und welcher" Partei der wohl angehört, aus dem fragwürdigen Stall, wo er herkommt! Und Apoll heißt er auch noch, der Angeber! Und überhaupt und auf jeden Fall will er etwas Besseres sein ...

Bei aller Liebe zu unseren alten, treuen Pferden- aber hätte der neue »Wilhelm« geheißen, so wäre es auch verkehrt gewesen. Und gar die letzte Anschuldigung war reine Unterstellung. Es war eher umgekehrt! Apoll war von Natur aus ein höfliches Pferd von unkomplizierter, geselliger Gemütsart - und eingebildet waren die anderen! Ganz gleich, wo sie ursprünglich herkamen, aus Holstein oder Mecklenburg, aus großen oder kleinen Ställen, jetzt wollten sie es nicht mehr wahrhaben, denn hier waren sie eine kleine Exklusivgruppe am Rande der großen Steppen und des Urwaldes. In puncto Religion hielten sie es mit den Eifelgöttern, auf ihrer Weltanschauungsfahne stand Rousseaus »Zurück zur Natur«, politisch fühlten sie sich der Partei der Mustangs zugehörig oder doch nahestehend, weshalb sie mit uns fleißig Ro-deo übten, und gesellschaftlich taten sie sich viel zugute darauf, daß sich aus dem Strom mutiger Forschungsreisender eine kleine robuste und idealistische Clique herausgeschält hatte, die jedes Jahr wiederkam, um auf ihnen das Reiten zu probieren.

Ja, so ist das! Es stand unseren Vieren weiß Gott nicht an, dem Neuen Hochnäsigkeit vorzuwerfen.

Aber, wenn man es mal recht bedenkt, was sollten sie machen, schön, jung und aufregend fuchshaarig, wie er war, und dazu noch - wenigstens halbwegs - männlichen Geschlechts. Man mußte ja froh sein, daß er einen solch prächtigen Vorwand zum Krieg geliefert hatte, denn es war einfach die Höhe: Der halbe Reitverein und der ganze Vorstand hatten sich eingefunden, um Apolls Einstand zuzusehen, sie klopften ihm auf die Schulter und auch sonst noch wohin und hatten sich und stellten sich an und strahlten! Und von den alten, braven Kameraden nahm kein Mensch Notiz. - Isabelle, Erste Dame hier am Ort, war am sauersten. Im Augenblick saß sie ja leider am Stallhalfter fest, aber, bei allen Eifelgöttern, es würde der Tag kommen, wo man unter dem weiten, freien Eifelhimmel dem lieben Apoll zeigen würde, wer hier zu sagen hat. Diese Richtigstellung war sie ihrer Selbstachtung und dem Ansehen des Stalles schuldig.

Und nicht zuletzt hatte man als Stallälteste ja auch die Verantwortung für die Jüngeren. Ohne den Kopf zu drehen, nahm sie wahr, daß das kleine Voltigierpferd immer wieder sehnsüchtig nach seinem menschlichen Betreuer sah; die Rappstute hinten in der Ecke wartete auf die ihr zustehende Mohre; und die Braune neben ihr war schon zur Seite getreten, als sie die geliebte Stimme ihres Menschenfreundes hörte. Aber der sah gar nicht hin. Es schnitt »Big old mam-my« ins Herz. Und während die unglaublich dämlichen Menschen weiter dem Neuen schöntaten und um ihn herumscharwenzelten, rief sie den Notstand aus. Die anderen drei verstanden und sagten unhörbar aber deutlich »Ja«! Und sie standen wie die Böcke! - Pferde haben ein gutes Gedächtnis. Isabelle tat, was sie sich vorgenommen hatte, und die anderen machten es ihr nach, die Feiglinge!

Ein Krach unter Gäulen trägt durchaus humane Züge. Das Pferd, mit dem man nicht verkehren darf, wird getreten und gebissen, ganz gleich, ob jemand darauf sitzt oder nicht, bei jeder Gelegenheit, von allen Seiten und überhaupt bei jedem Wetter. In Stall und Halle mit stalleigenen Reitern und dem Lehrer in der Mitte, den selbst Isabelle als eine Art aufsichtführenden Leithengst ansah, ließ sich meist ein Malheur verhindern. Beim Ausreiten jedoch holten die vier, mit Isabelle an der Spitze, alles, alles nach und brachten damit unsere Haupteinnahmequelle in Gefahr. Die Sportkameraden aus den großen Städten mit den großen Ställen (und dem großen Geld, das wir so gut gebrauchen können) verbringen ja nicht ihren Urlaub bei uns, um wie zu Hause auf Zirkel oder Hufschlag herumzureiten, sie freuen sich auf einen Ritt in den frischen Morgen und in jede andere Tageszeit, einen flotten oder beschaulichen Ritt, je nach Naturell, aber jedenfalls über Stock und Stein. Und das ist unsere große Attraktion, daß Stock und Stein gleich neben dem Pferdestall anfangen...

Es gab verschiedene Wege aus dieser Zwickmühle, aber die Pleite, auf die sie hinauslaufen würde, wäre immer die gleiche! Weg eins: Um ein einigermaßen unfallfreies und unbefangenes Vergnügen zu gewährleisten, müssen - ohne Kommentar - ausgerechnet auf den beiden besten Pferden, Isabelle und Apoll eigene Leute reiten. Mal abgesehen von dem finanziellen Ausfall, läßt sich das kein gut zahlender Ausreitefanatiker gefallen, er ist mit Recht beleidigt und fährt ab zur Konkurrenz. - Weg zwei: Bei einer aufrichtigen Erläuterung der Lage nimmt bestimmt ein Teil der Gäste von vornherein von dem Unternehmen Abstand. Man will ja nichtausgerechnet in der Eitel ums Leben kommen, nicht wahr - Weg drei: Läßt man die Fremden ohne strikte Gebrauchsanweisung einfach ziehen, so wird alles noch schlimmer auslauten. Wir werden später in einer Zeitungsgeschichte vom Reiterlebnis ihres Lebens lesen, aber wiederkommen tun sie nie ... Und Apoll unter einem dummen Vorwand immer im Stall zu lassen, das ging erst recht nicht. Wir befinden uns ohnehin in Permanenz am Rande des Offenbarungseides; das Vieh hatte viel Geld gekostet, es mußte sich amortisieren. Die andere Seite der Sache, die pferdliche, machte uns noch mehr Kummer. Noch hatte Apoll die Kontaktsuche zu seinen Stallgenossen nicht aufgegeben, aber er begann doch schon in zunehmendem Maße schreckhaft zu werden und eine übermäßige, nervöse Freude zu zeigen, wenn Menschen nett zu ihm waren. Und als Mensch mußte man ihn einfach ganz besonders liebevoll behandeln, was die anderen Pferde nur noch mehr aufbrachte. Es war der berüchtigte Circulus vitiosus.

Als wir gar nicht mehr weiter wußten, kam der kleine Hund. Rita,eine junge Reitschülerin, hatte ihn unterm Arm, als sie eines wirklich guten Tages in den Zirkel lief, um dem Reitlehrer, der gerade eine Anfängergruppe unterrichtete, irgend etwas auszurichten. Der Kleine hieß Flipp, war, was die Rasse angeht, von abenteuerlicher Zusammensetzung und von Beruf Kuh-hirte, was soviel heißt, daß sein Bauer von ihm die Beaufsichtigung der Kuhherde erwartete. Aber Flipp hatte entsetzliche Angst vor großen Tieren; so war er denn vor kurzem zu lieben Freunden in unser Städtchen umgezogen. Heute, angesichts der fünf Ungeheuer, die ihn im Kreis umstoben, wäre er gern reumütig zu seinen Kühen zurückgekehrt. Der erste Schreck fuhr ihm in die Glieder, als Apoll die abwesende Aufmerksamkeit des Meisters ausnützte; unbeeindruckt von den unbeholfenen Willenskundgebungen auf seinem Rücken kam er heran, um sich die zappelnde Sache unter Ritas Arm einmal genauer anzugucken. Und nicht nur das, er mußte sie auch noch beriechen! Flipp versuchte fieberhaft zurückzuweichen. Alles Festhalten und Zureden der Kleinen halfen nichts, schließlich brachte er es so weit, daß nur noch der Kopf mit den wild rollenden Augen und die Vorderpfoten zwischen Ritas Armbeuge und Körper hervorsahen, der Rest mit dem eingekniffenen Schwanz hing hinten herunter und versuchte verzweifelt, Fuß zu fassen, gleich wo. - Als er endlich aufhörte, für sein Leben zu fürchten, da geschah es: Isabelle, die von hinten herangeschlichen war, kniff ihn in die Schwanzwurzel. Das war zuviel für seine schwachen Nerven. Mit einem wilden Ruck machte er sich frei, fand aber den Fluchtweg abgeschnitten; fünf Pferde umstanden ihn in engem Kreis. - Was nun? Flipp sauste ein paar mal auf einem Minizirkel herum, dann auf Schlangenlinien durch die ganze, ihm verbliebene Bahn. Nach einer Verschnaufpause führte er die Piaffe vor, die er als Eilmarsch auf der Stelle verstanden wissen wollte und als Code für »Ach, laßt mich doch mal bitte, bitte, durch«! Aber statt zur Seite zu treten, kamen vier Pferdebeine auf ihn zu; sie gehörten Apoll, der diese berühmte Technik einmal aus der Nähe sehen wollte. Flipp wich zurück, vorn natürlich nur, hinten stand ihm Isabelle im Weg. So kam es zur Levade. Sie fiel hundsmiserabel aus, ihm fehlte die Gemütsruhe. Als er dann hinter sich Isabelle, die ihrerseits den Hinterhandstand zu erlernen gedachte, noch näher herantappen hörte, legte er sich ganz flach hin, um im Erdboden zu versinken. Da daraus nichts wurde, er aber andererseits auch noch nicht aufgefressen war, probierte er es mal mit Nachdenken. Das Ungetüm da vor ihm mit dem roten Schweif schien ja doch nicht gar so blutrünstig zu sein, jedenfalls hatte es ihn soeben nicht verschlungen, obgleich es ja nahe genug herangekommen war... Vielleicht war es überhaupt ganz nett ... sehr nett ... geradezu reizend ...

Er raste also in einer Gangart, die man je weder bei Pferden noch bei Hunden gesehen hatte, von der Seite her unter Apolls Bauch, holte Luft und begann zu bellen. Er bellte so laut, so schrill, so mißtönend und so lange, wie eben nur kleine Hunde bellen können, und dabei sah er die vier anderen Pferde so giftig wie möglich an. Apoll fand das lustig und begann zu wiehern. Was sich Isabelle, die das Spektakulum tiefsinnig betrachtete, nun dachte, konnte niemals genau ausgemacht werden. Ein Pferd, das oben wiehert und unten bellt. Jedenfalls war dies seit Kampfbeginn das erstemal, daß sie bei einem solch kleinen Abstand freiwillig auf eine Attacke verzichtete.

Flipp beendete seine Antipathiekundgebung,um den Regieanweisungen des zweibeinigen Rudelführers zu lauschen. Er verstand zwar kein Wort, war aber einverstanden, denn dieser Mensch roch, als habe er ein Herz für arme, kleine Hunde. - Richtig, die vier Gefahren zogen von dannen, und Flipp konnte aus dem Unterholz hervorkriechen, um sich den neuen Freund erst mal genauer anzuschauen. Er fand ihn wunderschön und sehr bedeutend, aber zu seinem Schrecken sah er nun Rita obenauf sitzen. Besorgt umkreiste er die Pyramide. Was nun? Ratlos trat er von einem Vorderbein aufs andere. Und da liefen sie auch schon weg, die beiden, und ließen ihn einfach stehen. Ganz von selbst setzten sich seine Gehwerkzeuge in Betrieb und trugen ihn hinterher. Er war sehr unglücklich und jaulte leise vor sich hin aus Angst, seine beiden Götter könnten ihm entkommen. Aber da saß die Freundin, ein ehemaliges Voltigierkind, plötzlich rittlings im Sattel und sprach zu ihm hinunter und ermutigte ihn und lobte ihn und versprach ihm das Blaue vom Himmel, wenn er ihr folgen würde. Und auch das große Tier sah sich in den Kurven freundlich nach ihm um. - Das Blaue vom Himmel bekam er gleich darauf wirklich. Alles lief aus dem Stall auf einen großen, freien Platz, und er durfte mit, die Sonne schien, und die Menschen waren nett zu ihm, und niemandem war er im Weg, im Gegenteil, man sorgte dafür, daß er seine Lücke kurz hinter Apoll behielt. Sein ganzes Leben lang würde er hinter den beiden Freunden herlaufen, wenn sie ihn nur ließen - Isabelle tat, als ginge sie das alles nichts an, aber als Apoll mal wieder aufritt, keilte sie nicht aus!

Zum Glück fand dieser erste Lichtblick in den Schulferien statt, und Rita konnte für ein paar Tage zu Apolls alleiniger Reiterin ernannt werden. Auch hinterher, mit fremden Leuten auf dem Pferderücken, blieb Flipp dem Lebensretter treu, denn das Glück dieser Erde war für ihn nun ein für allemal der Platz hinter dem fuchsroten Schweif.

So sieht man denn nun auf allen Wegen, in der Halle, auf dem Platz und bei den Ausritten über Stock und Stein fünf Pferde und einen kleinen Hund herumlaufen. Und was weiter? Weiter nichts! Der Krieg ist aus! Man schwört neuerdings in unseren Pferdekreisen auf jene famose Lebensform, die friedliche Koexistenz genannt wird.