Förster Fonsen und Fischer Thome

Kleiner Ausflug in die Mürlenbacher Sagenwelt

Heinrich Fleu, Köln

"Bis in unser Jahrhundert war das Erzählen in den ländlichen Gegenden der Eifel eine der beliebtesten Formen geselliger Unterhaltung. Vor allem an langen Winterabenden kam man vielerorts in den Bauernstuben oder Werkstätten zusammen und lauschte einem kundigen Erzähler, während man Handarbeiten für Haus und Hof, für Kirche und Gemeinde verrichtete. Aber auch bei Besuchen oder Festen wurde viel und gerne erzählt."1 Heute erzählt kaum noch jemand von den alten Geistern und Gestalten. Das Angebot für lange Winterabende haben längst die öffentlichrechtlichen und die privaten Fernsehanstalten übernommen. Selbst Rundfunkhörer sind schon in der Minderheit. Was kann auch ein Förster Fonsen, der später noch vorkommt, gegen einen Fernseh-Serienhelden ausrichten, wenn ihn sowieso kaum einer kennt? Da sind dann noch die großen Feste, Familientreffen. Goldhochzeiten, Trauerfeiern, bei denen sich immer wieder durch die Erzählungen der "Alten''- Gelegenheiten bieten, längst vergessene Geschichten wieder aufzutischen. Spätestens beim nächsten Treffen heißt es dann: »Hätten wir das doch aufgenommen . ..« "Ursprung der Sage war meist ein bemerkenswertes Ereignis oder eine ungewöhnliche Tatsache in weit zurückliegender Zeit. Wer sie zuerst in einen Bericht gefaSSt und in die mündliche Volksüberlieferung eingebracht hat, weiß niemand, aber sie wurde stets für glaubwürdig gehalten und als wirkliches Geschehen weitergegeben, auch dann, wenn sie mit wunderbaren, übernatürlichen Geschehnissen verbunden war."'

J. Hubert Müller verfasste 1932 eine »Heimatgeschichte von Mürlenbach« unter dem Titel »Aus dem Lande der Karösen«. Im Vorwort schrieb er damals: »Mit vieler Mühe habe ich das vorliegende Material zusammengetragen ... um in der jetzt lebenden Generation das Verständnis für die Heimat... zu fördern . . .

Von diesem Schlage müsste es heute mehr Menschen geben. Die von J.H. Müller verfasste Schrift gehört zu den - mittlerweile - seltenen Vorkriegsexemplaren einer Heimatschrift, die heute überhaupt noch verfügbar sind. Das hört sich exklusiv an, ist aber doch verständlich. Viele Familien hüten ganz unbewusst doch noch solche Schätze, also alte Festschriften, Heimatschriften, Jubiläumsschriften in Kartons, im Keller, im Krimskrams. Da steckt viel "Heimatkunde" drin, die- nicht in Vergessenheit geraten darf. Ehe solche »Geschichtsquellen« versiegen, d. h. auf dem Müll landen, geben Sie sie an Vereine, Kirchengemeinden oder Heimatkundler zur Auswertung ab. Hier nun ein Abschnitt aus der Mürlenbacher Heimatgeschichte, der im Original die Überschrift »Mythologie der Heimat" trägt und die Sagenwelt der Mürlenbacher Gegend beschreibt. Ergänzt wird er durch Zitate aus der Schrift zum 1200. Todestag der Mutter Kaiser Karls des Großen aus dem Jahr 1983. Neben dem christlichen und volkstümlichen Glauben wucherten und wuchern noch heute in unserer Heimat Reste alten, heidnisch-germanischen Glaubens und anderer, fast allen Völkern anhaftender Aberglaube. Ereignisse und Gestalten dieses Glaubens waren einmal Wirklichkeit fürs Volk. Wenn auch die Vulkane in unserer Heimat längst zur Ruhe gekommen sind, so konnten doch die alten Geschichten in diesem urwüchsigen Naturlande durch die Überlieferung vieler, vieler Geschlechter genährt werden. Auch in Mürlenbach, auf den Höhen wie in den Tälern trieben bösartige Geister ihr tückisches Spiel.

Fuhrleute, die mit leeren Wagen vom »Kreuzchen« zu Tale fuhren, wurden des öfteren von diesen Kobolden angehalten. Der Wagen, der unter einer unsichtbaren Last zusammenzubrechen drohte, war nicht von der Stelle zu bewegen. Die Pferde steckten wiehernd die Köpfe zusammen und schlugen mit den Beinen aus.

Bild vom »Kreuzchen« über den Ort zum »Eisenmännchen« (über der Burg)

Erst nach Anrufung der Hl. Dreifaltigkeit oder eines Heiligen verschwanden unter Hohnlachen die bösen Gesellen.2 Die Kobolde finden in einem Gedicht eine ganz simple Erklärung: Es raschelte im Laub der Bäume, vom Mondschein war erhellt die Nacht. Da sah er doch, wie um das Kreuzchen ein Irrlicht tolle Sprünge macht. Ihm ging es, wie so oft im Leben, wenn man vor Mut die Angst vergisst, dass hinter allen Spukgeschichten nichts weiter als ein Zufall ist.3 Auf dem Eisenmännchen trieb ein vom ewigen Richter in Eisen verwandelter Wucherer sein Unwesen.2

Auch hier findet sich in Reimform eine einfache Beschreibung des Wucherers und seines unrühmlichen Endes:

Das Herz war hart, so hart wie Stein und rostig wie aus Eisen. Und als dann Not zum Bauern kam, sollt' sich das bald beweisen.

Da nahm er Geld beim Buckel auf zu hohen Wucherzinsen Und als Johannis Zahltag war, ging alles in die Binsen.

Nach einem heißen Sommertag hat es zur Nacht gewittert so, dass bei jedem Donnerschlag die Erde hat gezittert.

Es ging ein Mann nach Jakobsknopp hinauf nach ein paar Tagen. Der fand den Buckel in der Schlucht von einem Blitz erschlagen.3

In der Fimbach war das Fimbachermännchen, das ein Bauer gewesen sein soll, der die Grenzsteine in seinen Landparzellen zu Ungunsten des Nachbars versetzte, der überhaupt das siebte und zehnte Gebot zu sabotieren suchte, und nach seinem Tode ins enge Fimbachtal verwiesen wurde, wo er sich austoben konnte. Das Walbachermännchen, das abwechselnd als Mensch, Hund oder Hase die nächtlichen Wanderer und Fischer beim Mondenscheine in Schrecken versetzte, hatte es auch einmal auf den alten Förster Fonsen, der den betagten Mürlenbachern noch bekannt ist, abgesehen. Fonsen, der in Birresborn wohnte, kam allabendlich nach Mürlenbach zu seinen Freunden zum Dämmerschoppen, um dann in vorgerückter Stunde wieder nach Birresborn aufzubrechen; so auch diesmal.

Als er im Mondenscheine an die Walbach kam, kreuzte das Walbachermännchen ihm den Weg. Diesmal hüpfte es als Hase vor dem alten Fonsen her, auf den Hinterbeinen die tollsten Sprünge machend. Der Alte riß die Flinte von der Schulter und gab dem tollen Hasen eine Ladung, worauf derselbe sich vor den Alten stellte und mit der rechten Pfote eine drohende Haltung einnahm. Von Schweiß triefend landete dieser in Birresborn, und verlegte von nun an seinen Därnmerschoppen so viel früher, dass er bei anbrechender Dunkelheit zu Hause war. Der Kyllboaken stellte sich auf den Wäsemen ein, welches früher der Weideplatz für die Pferde war. Die Pferde, wie auch die Viehherde, wurden des Nachts zur Weide getrieben, bewacht von den Hütejungen, die sich in der Nähe um ein Feuer legten. Bei völliger Windstille trat auf einmal ein Sturm auf mit brausendem Getöse, die Pferde liefen zum Feuerplatz und stellten sich in Abwehrstellung, die Köpfe zusammen, die Hütejungen zwischen den Pferden.

Da zog eine mächtig große Gestalt wie eine Säule vorbei, der Kyllboaken (erzählt als Selbsterlebtes von Matthias Niederprüm). Der größte Schrecken der Mürlenbacher war jedoch der lange Jäger von Hentscheid. Wenn dieser mit wallendem Barte, langem grauen Mantel, lang befranster Jagdtasche und sonderbarem Jagdgeräte unter heulendem Sturme mit einer großen Meute kläffender Hunde durch die Wälder zog, dann schlugen die Kronen der alten Eichen und Buchen zusammen. Bald jagte er auf Hentscheid, bald am weißen Steine, um dann im Griebental zu verschwinden. Dreimal Wehe den Lohschälern, den Holzhauern, den Fuhrleuten und den Köhlern, die ihm den Weg kreuzten. Noch im Jahre 1843 mussten zwei Opfer des langen Jägers gebucht werden. An einem windstillen Sommerabend saßen nach der Revision ihrer Kohlenmeiler in der Dämmerung zwei Köhler plaudernd in ihrer Hütte im Griebental. Auf einmal setzte ein fürchterlicher Sturm ein und an dem Eingang zur Hütte stand der gefürchtete lange Jäger. Er wuchs immer höher und höher bis zu den Kronen der Bäume. Die Köhler waren vor Schrecken gelähmt, sie wurden am anderen Tage von Fuhrleuten nach Mürlenbach gebracht, wo der eine, Theodor Müller, mein Großvater, nach drei Tagen starb. Der andere Köhler siechte auch dahin und starb nach kurzer Zeit. Einen jungen Jäger hat wohl das gleiche Schicksal ereilt: Und während der Alte also sprach wuchs mählich er höher und höher Und bei des letzten Wortes Schall versank er mit krachendem Donnerhall - Und finster ward's im Walde und einsam lag die Halde. Und grübelnd schlich der Bursche heim; er mochte nimmer jagen. Zu niemand ein Sterbenswörtchen er sprach Und eh' versank der dritte Tag Da hatte den Waidmann, den jungen, die schwarze Gruft verschlungen/ In einem Hause in Mürlenbach soll des öfteren in früherer Zeit eine Gestalt beobachtet worden sein, die am hellen Tage mit brennender Laterne unter großem Gepolter durch das Haus raste.

In einem anderen Hause war dasselbe Spektakel. Aus diesem Grunde hatte der Besitzer das Haus gewechselt. Der neue legte im unteren Geschoss ein Zimmer etwas tiefer und stieß dabei auf ein menschliches Skelett, das dann geweihter Erde übergeben wurde, worauf im Hause Ruhe eintrat.

Alle diese Geister, auch der lange Jäger, haben längst ihre Ruhe gefunden. Eine weitere, abergläubische Sitte, das Brauchen und Brandstillen, wurde noch bis in die neuere Zeit geübt. Die Sagen von fliegenden Schlangen und von solchen, die Kronen trugen, wollen in unserer Heimat nicht verstummen. Alle Schlangen, ausgenommen die Blindschleiche, die auch als Schlange angesehen wird, werden hier fälschlicherweise Unken, die fliegenden Schlangen, Schießunken, genannt.

Es wird erzählt: Der Fischer Nikolaus Thome, der den alten Mürlenbachern noch bekannt ist und als glaubwürdig galt, fischte einst oberhalb des Dorfes an der Baumschule in der Nachmittagssonne. Auf einmal bemerkte er auf einem Steine, der von den Sonnenstrahlen getroffen wurde, einen funkelnden Gegenstand. Der Stein lag hart am Flusse. Er bückte sich und sah eine kleine Krone, glitzernd wie reines Gold. Um die Krone zu prüfen (er wusste selbst nicht, wie er dazu kam), nahm er einen Stein und schlug leise auf die Krone, die nun zum Schrecken des Fischers in Stücke brach. Zu gleicher Zeit vernahm er einen gellenden, langgezogenen Pfiff, mehr Schrei, aus dem Gehölz vom anderen Ufer der Kyll und sah, wie eine Schlange über den Fluss geflogen kam. Er sprang zurück, die Schlange ließ sich vor der zerbrochenen Krone nieder und unter gellenden Schreien schnellte sie immer mannshoch in die Höhe und ließ sich klatschend auf die Steine fallen, mit dem Kopfe auf den Stein, wo die zerbrochene Krone lag. Fast eine halbe Stunde dauerte das grausige Schauspiel, dann lag sie tot neben dem Kleinod; sie hatte sich vor Schmerz über die vernichtete Krone selbst das Leben genommen.? Mit dem Tod der "Schießunke" verlassen wir nun die Mürlenbacher Mythologie, nicht ohne den bereits erwähnten Gedanken nochmals aufzugreifen, vermeintlich längst vergessene Geschichten, Aufsätze und Gedichte der Öffentlichkeit vorstellen zu wollen.

Quellen/genulzte Literatur:

1 Sagen und Legenden der Eifel

Gesammelt und bearbeitet von Peter Pracht. J P Bachem- Verlag

Köln 4. Auflage 1990, ISBN-3-7616-0682-6

2 Aus dem Lande der Karösen

Eine Heimatgeschichte von Mürlenbach. J Hubert Müller Telegrafen-

Werkführer i. R 1932 Druckerei N Steffen. Louisenthal-Saar

3 Dort wo sich die Wasser kreuzen

Geschichte und Legenden eines Eifeldorfes. Gemeindeverwaltung

Mürlenbach 1983. Paulinus-Druckerei GmbH Trier