Vulkaneifel - Tagebuchaufzeichnungen

Hans Tilgen, Neroth

Ein letzter Schneefall hat wieder gelohnt zu leben; denn die Luft, die danach weht, ist es wert, alle Mühen des winterlich heimatlichen Daseins auf sich genommen zu haben. Zu ihr gehören das leise Prickeln, der Duft des Tauwassers und Nebelwolken, deren dünne Schicht sich der Sonne mitteilt, dass man meint, die blaue Blume des Himmels lasse einem auch ihren Atem zuströmen zur österlichen Erweckung. Das Ohr füllt sich an mit den Lauten der Meisen und mit Buchfinkenschlag, mit dem Fidein der Stare und dem Schall der Märzdrossel, die zwar schon da war, doch Schweigen üben musste in den Tagen des Schneerückfalles. Die Wege sind matschig, doch das hindert nicht, auf die hohen Bergrücken zu steigen, um im keimenden Frühling Pate zu stehen. Der Lenzmond hat begonnen! Oben auf dem »Nerother Kopf" geht der Blick weit ins wunderschöne Eifelland, die Wiesen sind grün und liegen im Golde der Schlüsselblumen, Schlehdornhecken stehen in letzter weißer Blüte, leuchten von den Berghängen her wie Schneestreifen. Ehe ich mich niederlasse, halte ich Umschau. Im Norden grüßen der Scharteberg mit mächtiger Südwestfunk-Antenne und der 700 m hohe Ernstberg, nach Süden hin die bewaldeten Höhen von Üdersdorf. Gen Westen liegt der üppige Salmwald, und östlich geht der Blick über die Kreisstadt Daun bis hoch hinauf nach Darscheid. Tiefer Frieden, soweit mein Auge blickt, und der wohltuende Vogelgesang rings um mich vervollständigen die bei mir eintretende Romantik. Ein hochsommerlicher Tag. Die Felder wogten und staubten in Kornblüte, in den Wiesen hatten die hohen Gänseblumen ihr Reich. Ein Bach schwätzte vor sich hin, wie in einem leichten Mittagstraum. Da stand der Wildrosenbusch in einem Knick an der Weide. Tausend und abertausend Blüten waren ihm hervorgebrochen, eine jede mit ihrem Mädchengesicht aus dunkler rosa Röte aufgehend und zu zarterem Weißrosa ausblühend. Bienen wussten um ihren Nährgarten, schillernde Käfer des Sommers um ihre Wohnung. Eine Dorngrasmücke besaß in der Mitte des wirren Gezweigs einen schattigen Platz. Ich kenne den Blütenstrauch von allen Jahren her; nie sah ich ihn herrlicher stehen als in diesem Jahr. Das Gold des Besenginsters strahlte in voller Blütenpracht ringsum von den Bergseiten. Kann Glück vollkommener sein? Ich danke dem Schöpfer!

Im Herbst erinnerte ich mich wieder des Busches und machte mich auf zur Hagebuttenreise. Heute war das Firmament glasblau. Wäre es wirklich möglich, im Himmel alle Engel und Heiligen räumlich da oben zu suchen, er hätte sichtbar werden müssen bis zum Thron und zur

Rechten des Vaters. Die Hagebutten selber sind mir die Männlein im Walde, welche alle auf einem Bein stehen, jedes auf seinem Haupte ein schwarzes Käppelein. Viele Male umschritt ich den Busch an seinen drei Sonnenseiten und pflückte sie in meinen Beutel hinein. Ich lasse Pausen entstehen, um mich satt zu sehen am Ringsum der herbstlichen Felder und Wälder, an der Ruhe unseres entfernt liegenden Dorfes, in seinem Hingeducktsein im Schütze des Gotteshauses, dessen Turmuhr eben eine Spätnachmittagsstunde schlägt. Ich schnüre mein Bündel zu, danke mit einem umfassenden

Blick dem gütigen Spender und stelle befriedigt fest, dass man ihm kaum den »Raub« ansieht.

Ich freue mich auf dem Heimwege und unterhalte mich innerlich mit Mutter Erde darüber, wie notwendig es für uns Menschen ist, alles zu werten und zu achten, was sie an Kräutern und Früchten hervorbringt um ihrer Heilkraft willen. Wie widersprüchlich wirkt dann abends die Tagesschau gegenüber meinern Tag, Alle Themen spiegeln eine Zeit der Unsicherheit: Kriege, Tod, ritualisierte Beziehungen, viele problembeladene Fragen und keine Antworten.