Stätten der Kreativität

Raymond Andres, Mürringen/Belgien

In der Deutschsprachigen Region Belgiens, in der sogenannten »Deutschsprachigen Gemeinschaft«, wurde vor einigen Jahrzehnten das erste "Kreative Atelier« gegründet. Mittlerweile gibt es deren sieben in der gesamten Gemeinschaft. Und wie der Weg sich abzeichnet, so wird es vielleicht in einigen Jahren je Gemeinde ein solches Zentrum geben. Der Drang zum Selbermachen, zum Handarbeiten, zürn kreativen Scharfen und zum eigene-ldeen-haben ist eine Erscheinung überall in den Industriestaaten, als Gegenpol vermutlich zum »automatisierten Alltag^. In dem zumeist ländlich strukturierten Ostbelgien könnte man annehmen, dass die Landwirtschaft eine solche Alternative zum modernen Berufsleben darstellt, die bis vor einigen Jahren von sehr vielen Haushalten - wenn vielfach auch nur als Nebenerwerb -praktiziert wurde. Aber auch hier herrscht mittlerweile das Modell des »Großbauern« vor. So finden wir ein immer größeres Interesse am ••Do it yourself« mit großen Besucherzahlen in den Wintermonaten, die dann zum Frühjahr hin, wenn der Garten - ihren Garten pflegen denn doch noch viele Familien - erneut Arbeit macht, langsam wieder schrumpfen.

Ein Kreatives Atelier (KA) soll ganz allgemein allen Altersschichten und allen Bürgern eine sinnvolle, kreative Freizeitgestaltung ermöglichen. Ein Ort also, in dem »kreativ geschafft wird, der meist von einer privaten »Vereinigung ohne Erwerbszweck« (zu vergleichen mit dem deutschen -eingetragenen Verein», e.V. = »Vereinigung ohne Erwerbszweck« V.o.E.) geführt wird und nach dem Zeitraum von einem Jahr, wenn ein Mindestmaß an Zuspruch seitens der Bevölkerung ersichtlich wird, öffentlich unterstützt wird: Die Gemeinschaft stellt einen Teil der finanziellen Kosten, die Gemeinden stellen meist Lokale zur Verfügung. Als KA im engen Sinne der Bezeichnung kann das in Eupen angesehen werden, wo sich das »kreative Geschehen« fast ausschließlich an einem Zentralen Ort abspielt. In den meist angemieteten oder von den Gemeinden zur Verfügung gestellten Räumen oder Häusern wird dem interessierten Hobby-Künstler oder Kunsthandwerker eine Vielzahl an Techniken angeboten, fast immer unter Anleitung eines erfahrenen Animatoren. Altes und neues Handwerk blüht da (wieder) auf: Malen, Töpfern, Weben, Flechten, Spinnen, Patchwork, Tiffany, Experimentmalerei, Occhi, Airbrush, Seidenmalen und vieles andere mehr... Die Praxis mehrerer Ateliers zeigt, daß sich die Aktivitäten und Angebole auch außerhalb des »Mutterhauses«, nämlich in mehreren Ortschaften eingebürgert haben, und das ist eindeutig durch die dörfliche Struktur bedingt, in welche die verschiedenen Ateliers eingegliedert sind. So werden Ateliers für Kinder vor allem im Süden der Deutschsprachigen Gemeinschaft im Sommer in mehreren Ortschaften angeboten. Das nennt sich dann "Wanderwerkstatt".

Zum einen ist also der Begriff eines KA an eine einzige zentrale Stätte gebunden, zum anderen sind die Träger bemüht, ihr Programm »dezentral« zu gestalten.

 

Batik in der Kreativen Werkstatt in Mürringen/Belgien: In^den Kreativen Ateliers in Ostbelgien werden Kunst und Kunsthandwerk für jung und alt vermittelt und praktiziert.

 

Der Begriff eines KA wird aber auch in anderen Aspekten verschieden gesehen. Während einige Ateliers sich mehr oder weniger auf das Organisieren von Kursen in verschiedenen kreativen Techniken beschränken, haben andere ein weitläufigeres Verständnis von Beginn an angestrebt. Zum Beispiel schwappen die Angebote in den rein sozialen Bereich und in den Tourismus über oder es wird Koordination mit anderen Institutionen gesucht (Schulen, Organisationen, Verkehrsvereinen, Jugendorganisationen u.s.w.).

Dieses »breitere« Verständnis für den Begriff »Kreatives Atelier« wird verschiedentlich als ein Abrücken von klassischen Tätigkeiten der Kreativen Ateliers, vor allem im Süden des Gebietes deutscher Sprache, angesehen. Es gibt Kreative Ateliers in Hauset, Raeren, Kelmis, Eupen, Neundorf, Amel und Mürringen. Einige haben auch »Zweigstellen« in umliegenden Orten gegründet.

Wegen der steigenden Besucherzahlen in den letzten zehn Jahren und der damit verbundenen arbeitsintensiven Planung und Vorbereitung der Angebote haben die Ateliers seit ein paar Jahren die Möglichkeit, öffentliche Gelder zur Einstellung eines »Hauptamtlichen Animators« zu erhalten. Seitdem - bisher nur die Ateliers im Süden von Ostbelgien - diese Möglichkeit nutzen, zeichnet sich immer mehr eine professionelle Arbeitsweise der kreativen Zentren ab. In vielen Punkten sind die Werkstätten mit den kirchlich oder öffentlich getragenen «Volkshochschulen« in den angrenzenden deutschen Gemeinden zu vergleichen, die in ihrem Programm auch regelmäßig Kunstkurse anbieten. Der große Unterschied besteht wohl darin, dass es für verschiedene Abteilungen wie Sprachen, Weiterbildung auf nicht-künstlerischem oder nicht-kunsthandwerklichem Gebiet in Ostbelgien die Erwachsenenbildungsorganisationen gibt. Die Ateliers haben sich auf den kreativen Bereich spezialisiert. Mit der jahrelangen Praxis, den steigenden Teilnehmerzahlen und der langjährigen Ausübung derselben Techniken steigt auch die Nachfrage an Angeboten in weiterführenden Kursen. Ein Teilnehmer, der jahrelang dem »einfachen Klöppeln« frönte, gewinnt langsam das Interesse an komplizierteren Verfahren dieser Technik. Da wird im Atelier Mürringen zum Beispiel neuerdings »Flandrisches Klöppeln« angeboten und geleitet durch eine Spitzenklöpplerin, die ihr Handwerk in Flandern in den Hochburgen der Spitzenkunst erlernt hat, und sogar im Sommer wächst die Nachfrage an Kursen »für Fortgeschrittene". Das Angebot ist mittlerweile vielfach so anspruchsvoll, dass es nicht nur Ostbelgier sind, die den Kursen der manchmal von weither "importierten« Referenten folgen.

Das aktuelle Kursprogramm kann jeder auf Anfrage bei den Ateliers erhalten. Die meisten veranstalten aber auch einen Tag der offenen Tür. an dem man sich die Arbeit dieser »Stätten der Kreativität« einmal anschauen kann. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der kunsthandwerkliche Weihnachtsmarkt in Mürringen, der jedes Jahr am zweiten Advent Tausende von Besuchern aus nah und fern anlockt.

Kontaktadresse: Kreative Werkstatt B-4760 Mürringen 24 Tel. 00 32806471 70

 

 

Die Schreiberwerkstatt im Atelier Mürringen

Raymond Andres, Mürringen/Belgicn

Von Beginn an wollte das Kreative Atelier Mürringen - neben dem Kursangebot in den Techniken Malen und Töpfern auch ein Atelier für die Hobbyschreiber anbieten. Nach einem Aufruf durch die Presse, interessierte Amateurschriftsteller würden sich zu einer zwanglosen Unterhaltung und zu einem Austausch treffen, blieb es prompt bei der "Schreiberwerkstatt".

Diese Treffen finden seit 1983 (manchmal mehr/manchmal weniger) einmal monatlich statt, um gegenseitig die neuesten »Werke und Werkchen" vorzustellen. Die Schreiberwerkstatt ist besonders für jene ein wichtiges »Sprungbrett", die noch nie ihre Arbeiten veröffentlicht haben. Sie erhalten hier Anerkennung. Mut und Unterstützung. Wenn nötig, gibt sich der Teilnehmerkreis auch Tips und Verbesserungsvorschläge. Vor allem wird hier aber auch viel über die verschiedensten Themen diskutiert und seit den letzten Jahren setzt sich die Gruppe in Diskussion und in der Form des Geschriebenen mit Aktuellem auseinander.

Es ist nicht das Ziel der Schreiber Werkstatt, professionelle Autoren heranzuziehen; eher soll den Menschen Spaß am Schreiben vermittelt werden, und zuweilen ist der Kreis auch ein Stück Lebenshilfe für den einzelnen Teilnehmer.

1987 wurden die Arbeiten der Schreiberwerkstatt erstmals - und seitdem jedes Jahr - in Form einer Zeitschrift vorgestellt: "Der Dorfbote". -Kleine Kunstwerke von Menschen unter uns« - so der Untertitel der Schrift, die neben den Autoren auch Hobby-Fotografen und Maler vorstellt.

Eine Art »schriftlicher Tag der offenen Tür", der von der Bevölkerung mit viel Lob und Anerkennung aufgenommen wird. Diese Veröffentlichung hat auch der Gruppe erneut Ansporn zum Weitermachen gegeben.

Neue Gäste - auch aus den deutschen Nachbargemeinden - sind natürlich in der »Schreiberwerkstatt" herzlichst eingeladen.