Das Venustempelchen in Jünkerath

Winfried Hau. Esch

Folgt man gegenüber der Gaststätte »Birbachtal« in Jünkerath dem Waldweg Richtung Stausee, so findet man nach etwa 100 Metern eine Nische im Berghang. Kaum jemand wird vermuten, dass sich an dieser Stelle einst eine römische Weihestätte befand. Aber im letzten Jahrhundert wurden hier die Reste des sogenannten »Venustempelchens« ausgegraben. Im Volksrnund heißt der Waldweg heute noch »Kapellenpfädchen«, ein Name, der sich von der kleinen Tempelanlage herleitet. Venus ist die Göttin der Gärten, des Frühlings und der Liebe. Der Bezug des Venustempelchens zu einem Garten verdeutlicht eine von Quarzsteinchen geformte Blume, die bei den Ausgrabungen gefunden wurde. Venus ist zudem eng mit der Vorstellung von Anmut und Liebreiz verbunden. Nicht zufällig war sie in der Antike aber auch in nachantiker Zeit ein beliebtes Objekt künstlerischer Darstellung, man denke nur an die berühmte »Venus von Milo«. Einen besonderen Aufschwung nahm ihre Verehrung im ersten Jahrhundert vor Christus dank der Förderung bedeutender zeitgenössischer Politiker wie Sulla, Pompeius und Caesar, die sie unter jeweils unterschiedlichen Aspekten sahen. Für Sulla war sie die »Venus Felix« (die glückliche Göttin); Pompeius betrachtete sie als »Venus Victrix« (siegreiche Göttin] und Caesar als »Venus Genetrix« (erzeugende, mütterliche Göttin). Es existieren Vermutungen, dass man das Venustempelchen als Dank Roms für das Geschlecht der Julier, dem Caesar angehörte, errichtete. Im zweiten Jahrhundert vor Christus wurde Venus der griechischen Göttin Aphrodite gleichgesetzt, von deren Sohn Aeneas das römische Volk einer Sage nach abstammte. Die mit Aphrodite identifizierte Venus galt demnach als Ahnin der Römer, und Caesar nahm sie als Begründerin seiner Familie, der julianischen Dynastie, in Anspruch. Dies erklärt, warum er besonders den mütterlichen Aspekt der Venus betont.

Vor der römischen Besiedlung war die Eifel von Germanen und Kelten bewohnt. Für eine keltische Besiedlung des Jünkerather Raumes spricht, dass die Kelten waidfreie Gebiete bevorzugten und das Gebiet der Kyll zwischen Jünkerath und Gerolstein nicht bewaldet war. Außerdem lautete der vorrömische Name Jünkeraths »Icorigion«, ein keltischer Ortsname, der »Reich oder Herrensitz eines Mannes namens Icos« bedeutet. Die in römischer Zeit vorzufindende Eisenverarbeitung im Jünkerather Raum geht wahrscheinlich auch auf keltische Ursprünge zurück. So ist es nicht von der Hand zu weisen, dass sich vor der römischen Besiedlung ein keltisches Heiligtum am Platz des Venustempelchens befunden hat. Da die Römer die einheimische Religionsausübung tolerierten und integrierten, aber der fremden Gottheit oft einen römischen Götternamen überstülpten, könnte die Venus die Stelle einer keltischen Gottheit übernommen haben. Für unsere keltischen Ahnen waren alle Erscheinungsformen der Natur von geheimnisvollem Zauber umgeben, und man sah darin das Walten göttlicher Kräfte. Ein so intensives religiöses Leben wie das der Kelten erforderte eine stattliche Anzahl heiliger Stätten, wo Götter und Menschen miteinander in Verbindung treten konnten. Bizarre Felsen, knorrige alte Bäume, Quellen und Sümpfe boten Schauplätze kultischer Rituale. Berge und Täler, Dörfer und Siedlungen hatten ihre Schutzgottheiten. Die Verehrung weiblicher Gottheiten ist ein typisches Merkmal keltischer Mythologie, man denke nur an Epona, die Schutzgöttin der Pferde, Reiter und Pferdeknechte, oder an Caiva, der die Römer eine Tempelanlage bei Pelm. nahe der Kasselburg, errichteten. Besonders erwähnenswert sind die meist zu dritt dargestellten gallorömischen Matronen, die zum Beispiel bei Nettersheim und Pesch verehrt wurden. Eng verbunden mit weiblichen Gottheiten ist die Verehrung der Fruchtbarkeit und der Erde, der »großen Mutter». Sie spielt bei allen agrarischen Völkern eine bedeutende Rolle. Mutter Erde gebiert ohne Unterlass, sie ist der Schoß jeglichen Lebens. Man glaubte, aus ihr gingen alle Menschen hervor, und die Mütter, die sie faktisch in die Welt gesetzt haben, waren eher ein Werkzeug in ihrer Hand, denn die eigentliche Erzeugerin war die Erde selbst. Von der Lage im Berg her könnte an der Stelle des Venustempelchens eine Quellgottheit verehrt worden sein. Noch heute entspringt ganz in der Nähe eine Quelle, und das ehemalige Jünkerather Schloss wurde von hier aus mit Trinkwasser versorgt. Quellwasser hatte für die Kelten in erster Linie die Eigenschaft von Heilkraft. Da Wasser aus der Erde dringt, konnte man sich eine Quellgottheit meist nur weiblich denken. Bis in die Neuzeit werden auch in christlichen Vorstellungen Quellen und Teiche - wie etwa in Lourdes - nahezu ausnahmslos mit weiblichen Heiligen in Verbindung gebracht. Leider sind die äußeren Spuren des Venustempelchens fast völlig verwischt. Über seine ursprüngliche Bedeutung bleibt vieles im Dunkeln, und man kann nur Vermutungen anstellen. Wichtig ist, dass wir uns den Geist, der einst dieses Gebiet beherrschte, wieder vor Augen führen. Vorstellungen unserer keltischen Ahnen, wie der Respekt vor der Erde, die Ehrfurcht gegenüber Bäumen, Wasser und allen Erscheinungen der Natur sollten uns heute, in einer Zeit globaler Erd- und Naturzerstörung, wieder eine Mahnung sein, die zur Bewahrung der Schöpfung und unserer Heimat beiträgt.

Lileratur

Cunliffe, Barry Die Kelten und ihre Geschichte Bergisch Gladbach 1992.-1 Auflage

Eliade, Mirce;: Die Religionen und das Heilige Frankfurt 1989. 2. Auflage

Lange Sophie: Gallo-römische Matronenverehrung im Land der Ubier, in Eifel Jahrbuch 1990 Bonn 1990

Ortschronik Jünkerath-Glaadt. Trier 1989