Eine Stunde im Paradies

Aloys Paquet, Hünningen/St. Vith

Die meisten Schulmeister haben so nebenbei ihr ganz persönliches, bevorzugtes Steckenpferd. So war unser ehemaliger Lehrer auch ein Entomologe, er sammelte Kerbtiere und besonders Falter aller Art und steckte sie auf in den Schaukasten des Klassenraumes.

Nach dem erquickenden Gewitterregen der letzten Tage steht heute die Augustsonne wieder leuchtend hoch am Himmel, der Nachmittag ist freundlich, hell und klar. Einmal mehr sind wir unterwegs, auf der Suche nach neuen Exemplaren für unsere Schulsammlung. An lehmigen Pfützen und spiegelnden Wasserlachen vorbei, steigen wir über den Berg. Schiefgedrückte Zäune und knorrige Weißdornhecken begleiten uns, bis wir den Pfad erreichen, der in die Felder führt.

Zwischen hohem, stäubendem Gras und reifen Haferrispen hemmt plötzlich ein weiter bunter Fleck unsern Lauf. Ganz unerwartet erstreckt sich vor uns eine in allen Farben leuchtende, bunte Pracht; ein feuerrotes Kleefeld!

Wie gebannt, wie verzaubert, stehen wir am Feldrain. Ein langgezogenes, ganzes Feld roter Kleeköpfe in voller Blüte, brennendes Feuer mitten im matten Grün der umliegenden Weideflächen.

Ein paar Fuß hoch über den leuchtenden, duftenden Köpfchen zittert eine glitzernde, funkelnde Wolke, unzählbare schillernde Schmetterlinge und Falter, summende Bienen und brummende Hummeln schwirren durcheinander, lauter glitzernde Edelsteine, die plötzlich aufleuchten und im Nu wieder erlöschen. Eine noch nie erlebte Schau, ein großartiges Ballett auf der weiten, kunterbunten Bühne der Mutter Natur.

Noch ehe wir so recht begreifen, sind wir mitten drin. Dauernd flattert und schwirrt es wie glänzendes Gold und Silber um die wurreligen Kinderköpfe. Da hockt ein Pfauenauge auf meinem Schuh, scheckige Perlmutterfallter haften an den Haarzöpfen und an den bunten Schürzen der Mädchen.

Jupii! Einer der Jungen jauchzt vor Freude. Vor lauter Wonne schleudert er seine Schirmmütze ganz hoch in den blauen Äther, kleine Mädchen klatschen laut lachend in die Hände und schon bilden sich neue, durchsichtige Wölkchen in allen Regenbogenfarben.

Da surren und schnurren rote Falter mit blauen Punkten, buntscheckige Schmetterlinge mit weißen Rändern, erdbraune kleine und große Füchse, ein Pfauenauge mit mehrfarbigen Flecken im Flügel,... blau- und weißberänderte Spinner streifen um Gesicht und Hände und da huscht flüchtig ein ganz seltenes Muster vorbei; ein Schwalbenschwanz mit schwarzen Sporen oder gar der Herr Admiral - höchstpersönlich.

Das Rotkleefeld strahlt vor Freude über den unerwartet zahlreichen Besuch, es dehnt und streckt sich behaglich auf seiner ganzen Länge in der prallen Augustsonne.

Weit unten am Feldwege malt die breite Krone vom Holzbirnbaum - gleichsam als Abschiedsgeschenk - eine langgezogene Schattenellipse auf das rote Blumenmeer.

Für uns Schüler geht eine glückliche Zauberstunde zu Ende, wir sammeln uns wieder am Rand des Blütenfeldes und haben in dieser seligen Stunde so viel erlebt, dass wir schließlich vergaßen, auch nur einen Schmetterling mit nach Hause zu nehmen.

O Gott, welche Üppigkeit, welche Farbenpracht hat deine unermessliche Schöpfung uns heute geschenkt. Wäre es möglich, dass unsere Kinder und Kindeskinder auch nur noch einmal ein solches Wunder erlebten!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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