Dauner Stimmen im Lande zwischen Venn und Schneifel

Kurt Fagnoul, St. Vith

Landschaftlich gleicht das Sankt Vither Land dem Kreis Daun, und seitdem die Autobahn St. Vith mit Prüm verbindet, ist es sozusagen ein Katzensprung von hüben nach drüben. Doch auch schon vor der Schaffung dieser direkten Verkehrsader bestanden enge wirtschaftliche Verbindungen zwischen unserem Gebiet und der Vulkaneifel. Wer kennt nicht das im Glas sprudelnde Dauner Tafelwasser? Doch davon soll diesmal nicht die Rede sein. Das Land zwischen Venn und Schneifel, das sich von den Höhen des Hohen Venn bis zum höchsten Punkt der Schnee-Eifel erstreckt, hat einen europäischen Charakter, denn es ist grenzüberschreitend, und seit dem Wegfall der Grenzübergänge wird dies immer deutlicher erkennbar.

Bis zum Jahre 1920 gehörte Eupen-Malmedy-St. Vith zum Deutschen Reich und wurde damals im Versailler Vertrag Belgien zugesprochen. Nach der endgültigen Niederlage Napoleons ward das besagte Gebiet auf dem Wiener Kongress, das vorher fast 600 Jahre lang zu Luxemburg gehört hatte, von Preußen annektiert.

Doch auch die Zeit Napoleons war nicht spurlos vorübergegangen. Damals hatte man das St. Vither Land Frankreich einverleibt, und aus dieser Zeit sind noch manche Dokumente vorhanden, die in den Pfarrarchiven aufbewahrt werden. Der Krieg hat seine eigenen Gesetze, und so hatten die Soldaten Napoleons viele Kirchen geplündert, aus den Glockentürmen manche Glocke entfernt, um sie für Kriegszwecke zu entfremden. Die heimatlichen Archive wissen von manchem Glockenraub zu berichten und oft dauerte es Jahre, ehe der stumme Turm wieder seinen Klangkörper erhielt. Die bronzenen Glocken wurden damals eingeschmolzen und davon Kanonen hergestellt. Während des Krieges verdienten sie ihr Brot als Waffenschmiede, und als der Frieden eingezogen und man wieder Geld für die Anschaffung von Kultgegenständen hatte, gössen sie Kirchenportale, Kandelaber, Kerzenleuchter und heute historisch wertvolle Glocken. Es gelang ihnen jedoch nicht immer, einer Glocke eine reine Stimme zu verleihen. Der Urahn der Glockengießerfamilie Mark, der sich in Brockscheid bei Daun niederließ, stammte aus Sachsen und hatte sich dem großen siegreichen Heer Napoleons angeschlossen. Als jedoch die Völkerschlacht bei Leipzig verloren ging, stand die Familie Mark auf der falschen Seite und musste sich in den Westen absetzen.

Ihr abenteuerlicher Fluchtweg führte sie in unser Eifelgebiet, da dies damals noch nicht preußisch war. Mit der Preußischwerdung wurde die Familie Mark wieder heimatlos und zog durch Belgien, bis sich die Wogen glätteten. Das eigentliche Glockengießerhandwerk, das sich über einige Generationen von dem Vater auf den Sohn vererbte, hat der aus Sachsen stammende Vorfahr in Trier erlernt. Dort wurde er in die Geheimnisse der Klangkünste eingeweiht. Auf seiner Wanderschaft lernte er zudem eine hübsche Dorfmaid aus Brockscheid kennen und wurde heimisch. Heute ist der Name Mark nicht mehr aus der Ortschaft wegzudenken.

Der Ehe des letzten männlichen Glockengießers blieb der Sohn versagt, und so trat die jüngste Tochter in die Fußstapfen des Vaters. Wir leben in einer Zeit der Emanzipation, die junge Frau ist zudem sehr talentiert und goß im Jahre 1989 anläßlich eines Diplomatenfestes in der Villa Hammerschmidt in Bonn eine Festglocke.

In der Ortschaft Merlscheid, die zur Pfarre Manderfeld gehört, hängt im Turm der Brixius-kapelle die älteste Glocke, die vom Glockengießer Mark gegossen wurde. Es handelt sich um eine Cornelius-Glocke, die folgenden Text

Blick in die Glockengrube in der Eifeler Glockengießerei

aufweist: »S. Cornelius O.P.N.Fusa 1659. Refusa 1869 von Mark in Brockscheid«. Auf der Glocke befinden sich außer der Aufschrift noch ein Kreuz und ein Palmzweig. Im Krieg hatten die Deutschen sie aus dem Turm entfernt, danach kehrte sie unbeschädigt aus der Verbannung zurück und fand wieder ihren gewohnten Platz im Glockenstuhl.

Die älteste mir bekannte Brockscheider Glocke hing im Turm der Pfarrkirche von Auw. Hier handelte es sich ebenfalls um einen Neuguss, wie die Aufschrift verrät. »1868 sub Lasthaus Parocho in Auw - Ad honorem Sanctae Mariae Virginis campana fusa anno DM 1515. Me fudit August Mark in Brockscheid«. Leider besteht diese Glocke nicht mehr, und man weiß nicht mit Sicherheit, ob sie bereits im Ersten oder im Zweiten Weltkrieg aus dem Turm entfernt wurde.

Im schönen Ourtal in der Kapelle von Weichenhausen läuten noch zwei Glocken der Firma Mark, die 1928 gegossen wurden. Die Marienglocke hat einen Durchmesser von 51 cm und der Text lautet wie folgt: »S. Maria O.P.N. gegossen von August Mark Brockscheid 1928«. Die andere Glocke ist der zweiten Patronin der alten Kapelle geweiht, die am 20. Juli 1986 das 300jährige Bestehen feiern konnte. Das Glöcklein hat einen Durchmesser von 43 cm und die Aufschrift lautet: »S. Luzia, O.P.N. Gegossen von August Mark Brockscheid 1928«. Beide Glocken wurden vom Krieg verschont.

Roth bei Auw besaß bereits vor dem Ersten Weltkrieg zwei Glocken, die aus der Werkstätte der Firma Mark stammten. Im Jahre 1930 beschloss man, als Ersatz für die aus dem Krieg nicht zurückgekehrte Glocke bei der Eifeler Gießerei zwei neue Glocken in Auftrag zu geben und diese trafen dann auch im September 1931 in Roth ein.

Eine trug den Namen »Emdenglocke«, und dies kam so: In hochherziger Weise hatten die Reichsmarine und die deutschen Industriewerke der armen Schneifeigemeinde Bronze für den Glockenguss zur Verfügung gestellt. Unter dem Material befand sich auch die 150 Pfund schwere Schiffsglocke des Kreuzers Emden. Er gehörte zu dem deutschen Flottenverband, der am 23. November 1918 nach Scapa Flow auslief und dort von den Alliierten interniert wurde. Die Emden gehörte auch zu den Schiffen, die die Flutventile zur Selbstversenkung öffneten, doch der sinkende Kreuzer konnte gerettet werden, wurde jedoch 1926 in Caen verschrottet. Die Emdenglocke wog etwa 14 Zentner und hatte den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg als Ehrenpaten. Ihre Aufschrift war folgende: "Emdenglocke heiß ich, den gütigen Gott preis ich! Bet für der Gefallene, Ruh, ruf ich Euch zu. - 1914-1918 - St. Peter, Steuermann Christi Du, - erfleh Du der Gefallenen Seelen Ruh! -Deutschland in Not! - Die Söhne tot! - Kummer und Sorgen - wovon leben wir morgen? - Roth alleine könnt es nit. Industrie und Wehrmacht halfen mit, - dass dies Geläut könnt auferstehn, - hoffend, einer besseren Zeit entgegengehend. 1931«. Der Glockentext spiegelt den Zeitgeist wider. Die andere Glocke war eine Marienglocke und wog etwa acht Zentner. Die Aufschrift lautete: »Täglich mach ich allen kund, das Ave aus des Engels Mund. Regina Pacis. O.P.N.« Beide Glocken wurden im Zweiten Weltkrieg aus dem Turm geholt und kehrten nicht mehr zurück. Im Jahre 1950 traf in Roth eine 680 kg schwere Glocke ein, die dem hl. Sebastianus geweiht war und folgenden Text aufweist: »Sebastianus, christlicher Held, - sei Schützer des Friedens und Helfer im Streite der Welt!« Außer dem Bildnis des heiligen Sebastianus weist sie noch das Wappen und den Namen des Brockscheider Glockengießers auf. Mützenich bei Bleialf besitzt eine Josefskapelle. Im Ersten Weltkrieg hatte man den Turm der Josefsglocke beraubt, und so beauftragte man im Jahre 1936 die Eifeler Glockengießerei mit dem Guß zweier Glocken. Die vom französischen Glockengießer Gaulard im Jahre 1834 gegossene Donatusglocke gab man für den Auftrag in Zahlung. Im Zweiten Weltkrieg erlitten die Brockscheider Glocken dasselbe Schicksal und wurden ins große Lager zum Schmelzen abtransportiert. Die Kirchen des Landes zwischen Venn und Schneifel wurden im Zweiten Weltkrieg vieler wertvoller Gebäude beraubt. Man goss keine Kanonen mehr aus der edlen Bronze, sondern stellte aus dem Metall die Führungsringe an den Granaten her. Zum Glück sind aber nicht alle Glocken dem Frevel zum Opfer gefallen. Die meisten kamen ins große Lager nach Peuthe bei Hamburg. Insgesamt 13 000 sollen dort abgestellt worden sein, doch durch die unfachgemäße Lagerung wurden viele wertvolle Glocken beschädigt.

Eine schwierige Arbeit war die Identifizierung der einzelnen Glocken nach dem Krieg, um sie den Pfarren wieder zuzuführen. Die belgische Glockenkommission stand unter der Leitung von Dom Joseph Kreps von der Abtei Keyzerberg in Löwen, der einen höheren Offiziersrang bekleidete. Ihm waren noch zwei belgische Offiziere zugeteilt. Hilfreiche Unterstützung bei dieser schwierigen Aufgabe fanden sie bei der englischen Militärbehörde, und besonders der englische Major Hugh Long zeichnete sich aus. In Anerkennung seiner einmaligen Dienste wurde die frühere Schulstraße in St. Vith nach ihm umbenannt. So erhielt die Kirche von Aldringen an Stelle der Legros-Glocke, die von dem Meister der Rheinischen Glockengießer stammte, im Jahre 1967 eine von der Firma Johannes Mark und Sohn gegossene Glocke, die folgende Aufschrift trägt: »Mit dem Klang der Glocke steig unser Beten auf zum Herrn! Maria, dich als Mutter zeig! Laurentius, als Schutz und Stern!« Der Name des hl. Laurentius erinnert an die Laurentiuskapelle, die 1604 erstmals erwähnt wurde, jedoch schon seit vielen Jahrzehnten aus dem Dorfbild verschwunden ist. Im Gebäude der ehemaligen preußischen Staatsdomäne Bütgenbach zogen im Dezember 1949 Karmeliterinnen ein, doch seit 1985 sind sie von den Schwestern des Franziskanerordens abgelöst worden. Die Karmeliterinnen gaben 1981 eine 100 kg schwere Glocke bei der Firma Mark in Auftrag, die von dem Büllinger Dechanten Herbert Vilz geweiht wurde. Auf dem Klangkörper steht zu lesen: »Sancta Brigitta ora pro nobis. Karmel Jungfrau der Armen. Bütgenbach 1981.« Die neue Kirche von Honsfeld erhielt 1968 eine dritte Glocke, die ein Gewicht von 1 250 kg hat und auch in Brockscheid gegossen wurde. Es ist eine Marienglocke, wie sie sich ausweist: »Der Gottesmutter bin ich geweiht, mein Ruf erwecke allezeit Sehnsucht zur ewigen Zeit.« In Mirfeld, Pfarre Amel, steht am Wege nach Heppenbach die Kapelle mit dem Patrozinium des hl. Quirinus, dessen Gebeine in der Kathedrale zu Malmedy ruhen. Die dem Kirchenpatron geweihte Glocke hat ein Gewicht von 70 kg und die Aufschrift lautet: »Mirfeld 1978. Eifeler Glockengießerei J. Mark Brockscheid Hl. Quirinus bitte für uns!« Die alte Glocke aus dem Jahre 1714 vom Glockengießer J. Feraille wies einen Riss auf, als sie aus dem Krieg heimkehrte. Hier hat man mit dem Umguss einen schweren Fehler begangen, der mit der inzwischen vorangeschrittenen Technik sich nicht mehr bei Mark in Brockscheid wiederholen würde, wie ein späteres Beispiel es beweist.

Die jüngsten Brockscheider Glocken im Sankt Vither Land hängen in Rodt bei St. Vith und wurden am 23. Juli 1983 gegossen. Die schwerste wiegt 700 kg, und die Aufschrift erinnert an das Marianische Jahr: »Maria, Königin des Friedens. Marianisches Jahr 1983 -Banneux 1933-1983. Ich rufe alle.« Die zweite trägt den Namen des Pfarrpatrons, wiegt 400 kg, und ihre Aufschrift lautet: »Hl. Kornelius, bitte für uns! Heiliges Jahr 1983. Ich begleite Deinen Weg.«

Die dritte im Geläut, 300 kg, trägt folgende Aufschrift: »Hl. Odilia, bitte für uns! Heiliges Jahr 1983. Ich lobe Gott.« Auf allen drei Glocken steht ebenfalls noch zu lesen: »Gegossen 1983 von der Eifeler Glockengießerei Mark in Brockscheid unter Papst Johannes Paul II und Bischof Wilhelm-Maria van Zuylen Lüttich«. Die feierliche Glockenweihe fand am 18. September 1983 statt und wurde von dem damaligen Bischöflichen Vikar und St. Vither Dechanten Josef Breuer vorgenommen. Abschließend möchte ich nochmals auf den Fortschritt der Technik eingehen. Im Jahre 1974 bekam die Kapelle zu Schlausenbach in der deutschen Eifel unweit der belgischen Grenze zwei neue Glocken. Dafür erhielt Glockengießer Mark eine von Johann Lehr aus Köln gegossene und höchst seltene Glocke, die aus dem Jahre 1670 stammte und einen Riß aufwies. Die Beschädigung war mit größter Wahrscheinlichkeit durch »Wildes Läuten« entstanden. Gott sei Dank schmolz der Brockscheider Glockengießer dieses so selten Glöcklein nicht ein. Man hatte inzwischen ein neues Schweißverfahren entwickelt, und dies ermöglichte, der wertvollen Glocke ihren alten Klang wiederzugeben.

Durch Zufall entdeckte eine Einwohnerin aus Wiescheid a. d. Our die Glocke auf einer Ausstellung in Velbert und brachte den Stein ins Rollen.

Im Jahre 1670 war die historische Glocke von der Familie Görres, auf deren Hofgelände im Jahre 1658 auch die Kapelle errichtet worden war, gestiftet worden. Nun erfolgte der Rückerwerb durch die Brüder Heinrich und Lambert Klein. Sie gehören zu den Nachkommen der Stifterfamilie. Am 1. Dezember 1992 erklang zur Freude aller Schlausenbacher zürn ersten Mal wieder die helle Stimme der alten Glocke vom Turm.

Man behauptet oft, Glocken hätten nicht nur etwas Ansprechendes, sie hätten auch eine Seele. Ganz bestimmt aber gehören sie zum Bild der Heimat, die sie uns mit ihrem vertrauten Klang immer wieder ein Stück näher bringen. Vor allen Dingen sind sie reich an Geschichte.