Symposion »Der Wald

Semra Beck,.Jünkerath/Jülich

Innerhalb seines zweijährigen Bestehens fand im Eisenmuseum Jünkerath neben verschiedenartigen Aktivitäten am 13. 11. 1993 erneut ein öffentliches, interdisziplinäres Symposion statt. Gegenstand dieser Veranstaltung war der Wald, der seit Urzeiten nie an Aktualität verloren hat: eine Lebensgemeinschaft verschiedener Pflanzen und Lebewesen, die auf komplexe Art und Weise miteinander verbünden sind. Angefangen mit der geschichtlichen Entwicklung über kulturhistorische Aspekte bis hin zu den aktuellsten, wissenschaftlichen Fragestellungen behandelten neun Referenten verschiedene Themenschwerpunkte. Feierlich eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Begrüßung der Jagdhornbläsergruppe aus Birgel, Landkreis Daun.

Die breitgefächerte Thematik umfasste nicht nur regionale, sondern auch überregionale Aspekte. Dies ist nicht weiter überraschend, wenn man bedenkt, dass die Kulturgeschichte als historisch ausgerichtete Wissenschaft ihren Blick auch auf die landschaftlichen Ursachen und Folgen richtet. Sie befasst sich also damit, inwiefern die Landschaft das Dasein der Menschen geprägt hat oder aber umgekehrt, und welche Einflüsse das Handeln des Menschen auf seine Umwelt hat. Dieses Vorgehen ermöglicht es erst, die soziokulturellen und wirtschaftlichen Zusammenhänge übergeordnet zu beleuchten und Schlüsse daraus zu ziehen. Die Veranstaltung wurde vom Kreis Daun in Zusammenarbeit mit dem Land Schafts verband Rheinland, Amt für Rheinische Landeskunde, und dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz ausgerichtet. Mittlerweile ist es eine bekannte Tatsache, dass sich der globale gesellschaftliche Entwicklungsstand im Zustand der Wälder auf unserer Erde widerspiegelt. Ob bei der Nahrungssuche oder bei Herstellung der ersten Werkzeuge war der Mensch stets auf den Wald angewiesen. Sogar der Werkstoff Stein war bald ohne die Verwendung von Holz undenkbar. Es dauerte nicht lange, bis das Holz alle Lebensbereiche des Menschen eroberte. Während der Besiedlungsgeschichte Mitteleuropas wurden große Flächen urbar gemacht. Dort, wo man die fruchtbarsten Böden antraf, musste der Wald dem Feldbau weichen. Holz wurde wie andere Rohstoffe im friedlichen Handel als Ware betrachtet oder als Tribut den Unterworfenen abgefordert-".

Diese Verflechtung war für den Menschen eine ständige Herausforderung, sich bewusst oder unbewusst mit der Natur auseinander zusetzen. Sie förderte fortschreitend Wissenschaft und Technik. Außerdem lieferte sie ausreichend Stoff für die menschliche Phantasie. Das Aufbrechen der Knospen, die Baumblüte und die Herbstbelaubung stehen nicht nur für den Wechsel der Jahreszeiten, sondern gelten auch heute noch als Symbol für das Leben des Menschen von der Geburt bis zum Tod, aber auch für die Vergänglichkeit und Erneuerung des Lebens schlechthin. Wie "sehr der Wald in verschiedenen Epochen verschiedene Volker unabhängig voneinander inspiriert und ihr spirituelles Leben beeinflusst hat, geht daraus hervor, dass der Baum als Wohnsitz der Götter und Offenbarungsort, als Stätte zur Erkenntnis der Wahrheit aufgesucht wurde. Erinnert sei auch an den Lebensbaum, der bereits in vorchristlicher Zeit in Mesopotamien Symbol für die Natur war, die sich ständig erneuert, also für ewiges Leben und "Auferstehung", ein Symbol, das schon sehr früh im christlichen Gedankengut seinen Platz eroberte.

Dass die fast undurchdringlichen Wälder geradezu auf mystische Weise Einfluss auf das Denken des Menschen ausgeübt haben, ist nicht weiter verwunderlich. Seit je her waren bei der Auswahl der Bäume für Kultzwecke geheimnisvoll anmutende Symbole im Spiel. Auch die christlich-religiösen Vorstellungen der Neuzeit spiegeln im Volksglauben enge Beziehungen zum Wald wider und lassen ihn als »sakrale Landschaft erscheinen. Nicht selten macht der Heilige - oder auch Maria - durch wunderbare Erscheinung auf seine Gegenwart im Baum aufmerksam und tut kund, dass sein Bild

Jungwuchs und Altholz im Kontrast der Generationen

Foto: Dr. Werner Schwind, Gerolstein

an einem Baum verehrt sein will. Öfters begründen solche Wundererscheinungen Wallfahrten mit Baumbildkult und Heilbrauch. Gewiss waren die Wälder nicht immer geheuer und zum Teil sogar unheimlich. Der Wald mit seiner Ausdehnung und seinem Erscheinungsbild wirkt auch undurchdringlich und abweisend. Er birgt jede Menge Gefahren in sich und dient häufig zwielichtigen Gestalten als Unterschlupf. Nicht nur das ; zahlreiche Geister und Gespenster beleben Bäume und Büsche, nicht selten verschwindet so manch einer im Dickicht, geschunden und von unheimlichen Wesen geplagt. Selbst in der Gegenwart scheint der Wald von seiner Gefährlichkeit nichts eingebüßt zu haben. Viele moderne Volkserzählungen lösen die Geister durch wirkliche Übeltäter ab und führen somit die alte Tradition lebhaft bis in unser Zeitalter fort. Neben den geisteswissenschaftlichen Aspekten darf jedoch nicht verkannt werden, dass der Wald über Jahrhunderte hinweg nur unter dem Gesichtspunkt des unmittelbaren Nutzens betrachtet wurde.

Der Wert des Waldes bestimmte sich zum Beispiel in der Eifel nach der Anzahl der Schweine, die er ernähren konnte, oder nach seinem Holzkohleertrag. Allein für die Öfen der Eisenhütten wurden ganze Wälder zerstört. Die Köhlerei und Erzverhüttung bedingten sich gegenseitig. Es kam sehr oft vor, dass für eine einzige Köhlerei ein ganzer Wald im Umkreis von einem Kilometer innerhalb von vierzig Tagen kahlgeschlagen wurde. Aufgrund der Baumartverteilung in der Eifel wurde die Holzkohle bis 1800 ausschließlich aus Laubholz, vor allem aus Rotbuche, gemeilert. Holz war sowohl der wichtigste Brennstoff und Energiespender als auch bedeutender Roh- und Baustofflieferant. Andererseits war der Wald eine unentbehrliche Nahrungsquelle neben dem Acker. Diese Tatsache ist für die Eifel von besonderem Interesse, da die Bevölkerung schon immer im Wald die Sicherung ihrer Existenz sah, und noch heute der Wald in dieser Region einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor darstellt. Es ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass das erste als Sägemühle identifizierbare Werk in Bitburg-Stahl im Jahre 1607 errichtet wurde, obwohl die ersten Mühlen durch das Güterverzeichnis der Abtei Prüm seit dem Jahre 1893 belegt sind und die Wasserkraft bis ins 19. Jahrhundert für verschiedene Zweige der Eifelwirtschaft unverzichtbar war. Der durch Raubbau bedauernswerte Zustand des Waldes ließ möglicherweise lange gar keine nennenswerten Sägemühlen in der Eifel entstehen5.

Infolge der intensiven Nutzung verschlechterte sich der Zustand des Eifelwaldes ständig, bis die allgemeine Wald- und Landverwüstung im 19. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte. Waldweiden oder reine Heiden, die nur noch Wacholder aufzuweisen hatten, waren die Resultate der Verwüstung. Wo der Wald noch verblieb, war er verlichtet und degeneriert. Während der Vulkaneifelwald um 1800 noch zu mehr als 99 % aus Laubholz bestand, vollzog sich im 19. Jahrhundert ein Wechsel der Baumarten.

Die ersten ertragsorientierten Versuche mit den damals allein als wirtschaftlich und nutzbringend angesehenen Laubhölzern, die naturgemäß intensiver Pflege bedürfen, misslang unter den extremen Klima- und Bodenvoraussetzungen. Weniger anspruchsvolle Nadelhölzer, die wirtschaftlich »uninteressant« erschienen, sollten also nur als »Vorwald« für den späteren Laubholzbau dienen. Es waren vielleicht die große Notlage der Eifelbevölkerung und landeskulturell begründete Zusammenhänge, die die letztendlich auswegslose Finanzierung des Projekts ab 1854 überwinden konnten. Später sollte im Schutz der aufwachsenden Wälder die Landwirtschaft intensiviert werden. Der zielstrebig durchgeführte Plan war gelungen. In der Zentraleifel war die Hälfte des Ödlandes auf den schlechteren Standorten wieder in Wald zurück verwaldelt worden. Versteht man den positiven Einfluss des Waldes etwa auf das Lokalklima, den Boden, Wasser und die Luftfilterung als ökologische Primärfaktoren, so beweist es, dass der Wald bereits im 19. Jahrhundert als Element der Landschaftsgestaltung und Landschaftsökologie erkannt wurde6.

Eröffnungsveranstaltung im Eisenmuseum

Foto: Marianne Schönberg

Der Wald stellt, nicht nur in der Eifel, sondern auch im Rheinland, in der Zwischenzeit keine natürliche, sondern allenfalls eine naturnahe Vegetationsformation dar; sozusagen ein Ergebnis des kulturlandschaftlichen Wandels. Interessante Spuren der Waldbewirtschaftungsverfahren sind in den heutigen Forsten und Waldstücken des Rheinlandes ähnlich wie die Spuren der Köhlerei in den Eifelwäldern immer noch erkennbar. Niederwaldwirtschaft mit ihren verschiedenen Erscheinungsformen war bezeichnend für die dorfnahen Wälder, die den Brennholzbedarf der Bauern sicherten. Möglich war dieses Verfahren mit Laubholzarten, da Nadelhölzer keine Stockausschläge entwickeln können. Bizarr verformte, knorrig ausstehende Kurzstämme mit Kopfbildungen, die jeweils mehrere auf arttypische Stammstärke heran gewachsende Stockausschläge bildeten, sind Zeugnisse dieser historischen Waldwirtschaftsform7.

Natürliche Wälder stellen faszinierende Ökosysteme dar, geprägt vom Zusammenwirken der belebten und unbelebten Umweltfaktoren. Als im mittelalterlichen Europa die Dezimierung der Wälder einsetzte, kannte man noch nicht die sich daraus ergebenden negativen Auswirkungen auf die Umwelt. Erst die Erfahrungen einer Reihe von Generationen ermöglichten den Blick auf globale Zusammenhänge. In unserer Zeit sieht die Naturwissenschaft ihre Aufgabe nicht mehr in der patriarchalischen Beherrschung der Natur, sondern in der Kooperation mit ihr, um die natürlichen Phänomene kennen zulernen und in der Lage zu sein, sich ihnen anzupassen8.

Neben der nachhaltigen Nutzung des Naturgutes Holz wird die vielschichtige Bedeutung des Waldes heute intensiver denn je berücksichtigt; als Lebensraum für Pflanzen und Tiere, als Boden- und Wasserschutz, Klima- und Luftausgleich. Betrachtet man die Landschaftspflege als Gesamtheit der Maßnahmen zur Sicherung und Entwicklung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts sowie der Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft, so ist der Wald ein fester und bedeutender Bestandteil davon und gleichsam die Grundlage jeder Forstpolitik in Deutschland. Ihre forstpolitischen Ziele hat die Landesregierung Rheinland-Pfalz im Landeswaldprogramm als Bestandteil des Landesentwicklungsprogramms bereits als Entwurf niedergelegt. Angestrebt ist die Realisierung eines naturnahen, ökologischen Waldbaus, Vermeidung von Kahlschlägen und Verbesserung des Waldgefüges, dadurch die Förderung der natürlichen Verjüngung der Wälder und Erhöhung ihrer Erntealter und Zielstärkennutzung sind primäre Ziele dieses Entwurfs. Dabei ist es wichtig, die standortgerechte Baumartenwahl zu treffen und als Voraussetzung die natürliche Bodenfruchtbarkeit zu erhalten. Im Rahmen des integrierten Waldschutzes bekommt auch die Waldrandgestaltung und -pflege sowie die ökosystemverträgliche Wildbewirtschaftung große Bedeutung.

Die Wälder haben trotz moderner Erkenntnisse und Methoden immer noch viele Feinde. Schädlinge und witterungsbedingte Einflüsse wie Sturm und Brände verursachen immense Schäden, geschweige denn die vernichtende Wirkung der industriellen Schadstoffe, die weiterhin Besorgnis erregen und die Realisierung der oben dargelegten Konzeption in Frage stellen.

Nach dem Motto »Der Schlüssel zum Verständnis der Gegenwart liegt in der Vergangenheit«* wurde das Symposion »Der Wald« durchgeführt. Viele Experten aus Forstverwaltung, Wissenschaftler und interessierte Bürger debattierten über die verschiedene Aspekte. Die Veranstaltung war geprägt von regem Interesse einer breiten Schicht landeskundlich interessierter Teilnehmer aus dem ganzen Rheinland. Wie immer war der Erfolg die Bestätigung für die Initiatoren.

1. Die Referenten des Symposiums mit dem Themenschwerpunkt ihrer Vorträge:

a. Dr. Werner Schwind, Forstamt Rengsdorf, »Der Waldwandel in der Vulkaneifel«

b. Dr. Irmund Wenzel, ehem. Leiter des Forstamtes Daun, ehem. Vorsitzender des Landespflegebeirates für den Kreis Daun, »Die Wiederaufforstung der Eifel im 19. Jahrhundert und ihre Bedeutung für Landschaft und Forstwirtschaft«

c. Klaus-Peter Brandt, Bezirksregierung Trier, Forstdirektion »Waldwirtschaft heute - unter besonderer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald«

d. Adolf Attermeyer, Landschaftsverband Rheinland, Ref. Umweltschutz/Landespflege, »Die Bedeutung des Waldes aus der Sicht der Landespflege«

e. Dr. Bruno P. Kremer, Universität Köln, »Historische Waldnutzungsformen und Artenschutz in der Kulturlandschaft«

f. Norbert Happ, Forsthaus Schonwaldhaus, Wachtberg-Villiprott, »Der Kottenforst«, vom fränkischen Bannforst zum stadtnahen Erholungswald

g. Hildegard Ginzier, Sinzig, »Vom Stamm zum Brett-Schneidemühlen

in der Eifel«

h. Prof. Dr. Helmut Fischer, Universität/Gesamthochschule Essen, "Im Wald da sind die Geister., .« und andere Wesen

1. Dr. Alois Döring, Amt für Rheinische Landeskunde »Sakrallandschaft" Wald. Der Wald und seine Bedeutung in Mythologie, Volksglauben und Frömmigkeit.

2. Günter Ludwig, Jahresringe, Die Geschichte des Rohstoffs Holz, Berlin 1990. Der Autor recherchiert sorgfältig von der Antike bis zum heutigen Tage die Kulturgeschichte des Rohstoffs Holz und gibt sie sehr anschaulich wieder.

3. Folgende Ausführungen beruhen weitgehend auf den Vorträgen der unter Ziffer 1 genannten Referenten. Ein Tagungsband ist in Vorbereitung und erscheint voraussichtlich Ende 1994 im Rheinland-Verlag.

4. a.a.O., 1, i

5. a.a.O., 1,g

6. a.a.O., 1, b

7. a.a.O., l,e

8. Fritjof Capra, David Steindl-Rast, Wendezeit im Christentum. Bern, München, Wien, 1991, 825 ff.

9. Dr. Werner Schwind, Der Waldwandel in der Vulkaneifel. Ein Streifzug durch die bewegte Geschieht des Eifelwaldes. In: Eifeljahrbuch 1993, S. 95-108

10. a.a.O., 1,c