Zur Winterzeit vor 50 Jahren oder -wie die Bolsdorfer Kinder Schneepflug spielten
Peter Heimes, Brühl
Der Winter bedeutete früher gerade für die älteren Leute keine angenehme Zeit. Es gab noch keine Zentralheizung; meistens wurden ein oder höchstens zwei Zimmer mit einem Ofen oder Herd beheizt. Abends saß die Familie zusammen. Der Vater las die Zeitung, sofern es Überhaupt eine gab, reparierte Schuhe, machte Körbe oder Brotkörbchen. Die Mutter strickte Socken, Handschuhe oder flickte Strümpfe und Hosen.
Für uns Kinder war es erst dann richtig Winter, wenn eine dicke Schneedecke die Erde bedeckte, und das war ja vor 50 bis 60 Jahren der Fall. Einen Schneepflug gab es noch nicht. Im Frondienst wurde geräumt, aus jedem Haus ging einer mit, um die Straßen vom Schnee freizumachen.
In einem Jahr, es mochte 1943 oder 1944 gewesen sein, bereitete der Winter den Jungen des siebten und achten Schuljahrganges eine besondere Freude. Unser Lehrer, Herr Dissemond, war als Soldat im Krieg. Als Vertreter kam Herr Meilert von Niederbettingen. Eines Nachts hatte es viel geschneit. Wir Kinder stapften morgens in die Schule, doch o jeh, der sonst so pünktliche Lehrer kam mit großer Verspätung an. Mit keuchender Stimme erzählte er von dem vielen Schnee, dass er vom Weg abgekommen sei und dass er nur mit größter Mühe und Anstrengung Bolsdorf und die Schule erreicht habe. Von Hasen, die er ganz nahe über den Schnee habe hoppeln sehen, wusste er zu berichten.
Dieses abenteuerliche Erlebnis konnte nicht ohne Einfluss auf uns Jungen bleiben. Spontan erklärten wir uns bereit, für ihn den Weg zwischen Bolsdorf und Niederbettingen vom Schnee freizumachen. Zu unserer Überraschung fand er diesen Vorschlag gar nicht schlecht. Eilig zimmerten wir aus zwei Toilettentüren einen kleinen Schneepflug zusammen. Wir zeigten ihm unser Kunstwerk. Offenbar ganz angetan von unserer Hilfsbereitschaft - uns ging es vielmehr darum, ein paar Unterrichtsstunden zu schwänzen - sagte der Lehrer dann: »Ja, schiebt mal los!" Voller Freude zogen wir ab in Richtung Niederbettingen, wie ein spitzer Pfeil stach unser Schneepflug in die Schneemassen und drückte sie links und rechts an den Straßenrand. Wir mussten alle ganz schön zupacken, jedenfalls machten wir unsere Arbeit so gründlich, dass wir erst gegen Schulende zurückkamen. Sichtlich besorgt oder gar verärgert über unseren allzu langen Ausflug machte Herr Meilert uns Vorhaltungen. Doch wir waren nicht um Worte verlegen, um darzutun, dass wir diese schwere Arbeit doch nur für ihn auf uns genommen hätten.
In der kommenden Nacht hatte Frau Holle wiederum ihre Betten kräftig ausgeschüttet, so dass Herr Meilert am nächsten Morgen abermals mit Verspätung eintraf. Und da er erzählte, dass er überhaupt nicht durchgekommen wäre, wenn wir tags zuvor den Schnee nicht weggeräumt hätten, war für uns ein erneuter Räumkommandoeinsatz dringend geboten. Schließlich konnten wir ja nicht verantworten, dass der Unterricht für die ganze Schule ausfallen würde. Und auf das Kommando "Ja, schiebt mal los«, ergriffen wir unter lautem Jubel unseren Schneepflug und zogen ab.
An diesem Vormittag waren wir allerdings etwas früher zurück und ein drittes Mal brauchten wir nicht mehr auszurücken; Frau Holle hatte inzwischen sicher mitbekommen, dass uns das Fernbleiben vom Unterricht am wichtigsten war.