Die Puppenschneiderei

Liselotte Dohra, Jünkerath/Glaadt

Wir schrieben das Jahr Dezember 1944, es war kurz vor Weihnachten. Unsere kleine Stadt war wie ausgestorben. Wir erwarteten die Ardennenoffensive.

Wer nicht evakuiert war, wie alte Menschen und Kinder, hockte hier in den Kellern, im Bunker, denn in den Wäldern war es längst zu kalt, und die Dörfer überfüllt. Wir blieben noch immer zu Haus, und so sinnlos es war, wir wollten unser Heim schützen. Unsere Kinder hatten wir längst auf die andere Rheinseite geschickt, wo sie in der Obhut einer guten Tante im Westerwald von lieben Menschen erwartet wurden. Wir hatten zwei Offiziere im Quartier, die uns bisher immer Mut gemacht hatten. "Ihr seid durch die Burg geschützt", meinten sie, und wie gern hörten wir das und blieben. Doch eines Tages sagten unsere Offiziere: »Es sieht für die nächsten Tage bös aus. Wenn ihr weg könnt, so wartet nicht mehr lange.•< Da ergab sich eine Gelegenheit. Der Schulrat unseres Kreises wollte wie wir Weihnachten bei der Familie sein und bot uns in seinem Auto Mitfahrgelegenheit in den Westerwald an. Nun zögerten wir nicht mehr lange. Morgens um vier Uhr in Nebel und Dunkelheit sollte es gewagt werden. Trotz aller Gefahr durch die Flieger freuten wir uns ein bisschen, besonders auf die Kinder.

Dann ergriff mich plötzlich eine andere Sorge: Weihnachten, und ich hatte kein Geschenk für sie. Die Kleine, erst elf Monate, würde es noch nicht' vermissen, aber die Große, Ursel; ach hätte ich doch etwas für sie! So stieg ich hinauf zum Speicher und kramte. Da stieß ich auf einen alten, verstaubten Pappkarton mit der Aufschrift: Puppenschneiderei. Damit wird wohl früher die Tante gespielt haben, die zur Zeit meine Kinder versorgte. Hastig griff ich danach und raste damit die Treppe hinunter. Im Karton befand sich ein altmodisches Püppchen. kleine zerlumpte Stoffreste, kleine Schnittmusterbogen, ein Fingerhütchen. Dann ergänzte ich die Stöffchen durch saubere von heute und es entstand eine liebe kleine Puppenschneiderei - in aller Bescheidenheit im Jahre '44 zusammengetragen. Müßig zu erzählen, dass Ursel am Heiligen Abend in der Wohnstube unserer Gastgeber eine große Freude beim Auspacken ihres Geschenks hatte. Von nebenan tönten auf dem Klavier Weihnachtslieder und es gab auch gute Plätzchen.

So waren wir alle 2usammen sehr glücklich, nicht ahnend, dass zur selben Zeit unser Städtchen Gerolstein durch einen schweren Luftangriff zu einem Schutthaufen wurde. Dann begraben lag auch unser Haus.