Ein Staat - zwei Völker

Belgien, Geschichte im Zeitraffer

Alois Mayer, Dann

Die Geschichte der Deutschsprachigen Gemeinschaft oder Ostbelgiens ist in vielen Bereichen durch Jahrhunderte identisch mit der Geschichte Luxemburgs (St. Vither Land) und mit der Geschichte Limburgs (Eupener Land). Diese sind wiederum eng verbunden mit der Historie Westdeutschlands, insbesondere mit der der Eitel. Um sich und den Nachbarn aus den Wurzeln der Geschichte her besser zu verstehen, soll diese stichwortartig aufgezeigt werden.

Vorgeschichtliche Zeit

Das Gebiet des heutigen Belgien war schon in frühgeschichtlicher Zeit besiedelt. Zahlreiche Funde in Felshöhlen der Täler von Maas und Lesse beweisen dies. Im ersten Jahrtausend vor Christus drangen germanische Stämme von Norden und keltische von Süden in diesen Raum ein.

Römische Zeit

Die Römer eroberten unter Cäsar 57 v. Chr. den gesamten gallischen Raum, besiegten 51 v. Chr. das Volk der Beigen, das südlich der Scheide sesshaft war, gliederten die eroberten Gebiete dem römischen Staatsgebiet ein und nannten sie Provinz »Gallia belgica«. Nahezu 500 Jahre verblieb das Land unter dem Einfluss des Römischen Reiches. Die romanisierten Kelten nannten sich später Wallonen.

Fränkische Zeit

480: Im Zuge der Völkerwanderung und des Zerfalls des Römischen Reiches fiel das Gebiet Westdeutschland und des heutigen Belgien an das Frankenreich.

843: Das Fränkische Reich wurde geteilt. Im Teilungsvertrag von Verdun wurde die Scheide zum Grenzfluss. Das Gebiet westlich des Flusses kam zum Westfrankenreich; das östlich gelegene zunächst zum Mittelreich Kaiser Lothars l. Die salischen Franken entwickelten sich

nördlich der wallonischen Siedlungsgebiete zu den (germanisch gebliebenen) Flamen.

Die Feudalzeit

870: Erneut wurde das Fränkische Reich geteilt, mit ihm auch das Mittelreich. Das Gebiet östlich der Scheide fiel an Ostfranken. Nach einer längeren Zeit großer Zersplitterung in zahlreiche kleine, mehr oder weniger unabhängige Grafschaften, Bistümer und Städte, entstanden größere Staatsgebiete wie das Herzogtum Brabant, die Grafschaften Flandern, Hennegau, Limburg und Namur sowie das Bistum Lüttich. Städte wie Brügge, Gent, Antwerpen und Brüssel gewannen immer mehr an Macht und Selbständigkeit. 1340: Flandrische Städte schlössen sich in einem Bündnis gegen die französische Herrschaft zusammen.

Die Burgunderzeit

1384: Die Grafschaft Flandern gelangte durch Erbschaft an das Herzogtum Burgund, das sich zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich zu einem selbständigen Staat entwickelte.

1421: Auch die Grafschaft Namur wurde von den Burgundern übernommen. 1430: Philipp der Gute, Herzog von Burgund, wurde gleichfalls Herzog von Brabant und Limburg. Drei Jahre später gelangte die Grafschaft Hennegau zu Burgund.

1477: Der Herzog von Burgund, Karl der Kühne, eroberte das Bistum Lüttich und gliederte es in sein Reich ein. Seine Erbin Maria heiratete den späteren Kaiser Maximilian. So wurde das gesamte Gebiet des heutigen Belgien zu einem Teil des Habsburger Reiches. 1519-1556: Maximilians Enkel, Kaiser Karl V., bekämpfte mit Inquisitionsgerichten die ins Land eindringende Reformation. In diesem Jahrhundert erlebten die Städte Brügge, Gent, Antwerpen und Brüssel ihre Blütezeit.

1555: Nach dem Tode Karls V. wurde das Habsburger Reich geteilt. Belgien wurde dem spanischen Reich zugeteilt und - als "Spanische Niederlande" von dessen Sohn, Philipp II. von Spanien, regiert.

Die Österreichische Herrschaft

1579:, Sieben nördliche Provinzen, die heutigen Niederlande, schlössen sich in der Utrechter Union zusammen und erklärten 1581 ihre Unabhängigkeit. Sie wurden später als selbständiger Staat anerkannt. Die südlichen Provinzen verblieben vorerst bei Spanien. 1715: Nach Ende des Spanischen Erbfolgekrieges gelangten diese südlichen Provinzen zu Österreich, welches das Land, nunmehr «österreichische Niederlande« genannt, ebenfalls durch Statthalter regierte. 1789: Der Ausbruch der Revolution in Frankreich verursachte in Belgien eine Volkserhebung gegen die feudale Herrschaft. Es erfolgte die Proklamation der »Vereinigten belgischen Staaten«. Der Aufstand wurde aber 1790 von den Österreichern niedergeschlagen.

Die Französische Herrschaft

1792: Französische Revolutionstruppen unterwarfen Belgien. Das Eupener Land und Teile der Eifel wurden dem Ourthedepartement zugeordnet, mit Ausnahme des Gebietes Manderfeld-Schönberg, das fortan zum Saardepartement gehörte.

1795: Die Franzosen bezeichneten Belgien und die Niederlande als »Batavische Republik« und zwangen sie unter französische Herrschaft. 1797: Im Frieden von Campe Formio erkannte Österreich den Verlust seiner belgischen Gebiete an.

1810-14: Frankreich annektierte offiziell Belgien zusammen mit Luxemburg und den Niederlanden.

1815: Auf dem Wiener Kongress wurden die heutigen Gebiete Belgiens und der Niederlande als das »Königreich der Vereinten Niederlande" verfassungsmäßig gegründet. Ebenso wurde das Großherzogtum Luxemburg geschaffen. Beide Reiche wurden in Personalunion von Wilhelm l. von Nassau-Oranien regiert. Das Eupener Land, Teile der Westeifel und ein Teil der ehemaligen Abtei Stavelot-Malmedy gelangten zu den preußischen Rheinlanden (ab

1830: -Preußische Rheinprovinz« genannt). Die Kreise Eupen und Malmedy wurden gebildet.

Das Königreich Belgien

1830: In diesem Königreich, am grünen Tisch entstanden, gärte es. Sprachliche und konfessionelle Unterschiede und Gegensätze führten zu einem belgischen Aufstand gegen die Niederländer. Eine provisorische Regierung erklärte am 4. Oktober 1830 Belgien zum unabhängigen Königreich. Zum ersten König der Belgier wurde Prinz Leopold von Sachsen-Coburg gewählt. Er nannte sich Leopold l. 1839: Die europäischen Großmächte garantierten die Neutralität Belgiens, die Niederlande anerkannten es. Der östliche Teil der belgischen Provinz Limburg kam zu den Niederlanden und der größte Teil von Luxemburg wurde von Belgien abgetrennt und wurde ein unabhängiges Großherzogtum. 1863: Der Scheide-Zoll der Niederländer wurde gegen eine einmalige Abfindung aufgehoben. Nun konnten sich Handel und Industrie Belgiens entwickeln, Wohlstand setzte sein. 1865-1909: Leopold II. regierte als König. Er gründete und regierte 1885 den selbständigen Kongostaat in Afrika, der 1908 belgische Staatskolonie wurde.

1893/94: Einführung des allgemeinen Wahlrechtes.1

1909-1934: Albert l. regierte als belgischer König

1914-1918: Erster Weltkrieg. Deutsche besetzten Belgien, das zum Kampfgebiet wurde. 1918: Im Versailler Vertrag erhielt Belgien - nach einer umstrittenen Volksbefragung - die deutschen Eifelkreise Eupen und Malmedy zugesprochen. Seitdem sind Eupen-Malmedy-St. Vith drei Kantone der belgischen Provinz Lüttich.

1921: Erste Währungs - und Zollunion zwischen Belgien und Luxemburg (BLWU). Sie kann als Keimzelle der späteren Benelux-Verträge bezeichnet werden.

1925: In den Locarno-Verträgen verzichtete Deutschland auf eine gewaltsame Veränderung seiner Westgrenzen.

1925/26 fanden belgisch-deutsche Geheimverhandlungen statt, die eine Rückführung der Gebiete Eupen-Malmedy an Deutschland gegen 200 Millionen Goldmark vorsahen. Die Verhandlungen scheiterten am energischen Widerspruch Frankreichs.

1927: Die Zeitung »Grenz-Echo« wurde gegründet. Sie ist heute die einzige deutschsprachige Tageszeitung Belgiens. 1932: Die Zweisprachigkeit Belgiens wurde amtlich; dennoch dauern die »Sprachenkämpfe" zwischen Wallonisch- und Flämischsprechenden bis heute an.

1934-1951: Leopold III. regierte als belgischer König.

1940: Zweiter Weltkrieg. Deutsche Truppen fielen am 10. Mai in belgisches Gebiet ein. Die Regierung floh nach England. König Leopold IN, kapitulierte und begab sich in deutsche Gefangenschaft, Eupen-Malmedy sowie einige altbelgische Gebietsstreifen wurden dem Deutschen Reich einverleibt.

1944: Alliierte Truppen befreiten Belgien, Während der Ardennenoffensive wurden St, Vith und zahlreiche andere Eifelorte völlig zerstört.

1948: Zoll- und Wirtschaftsunion zwischen Belgien, Niederlanden und Luxemburg, »Benelux« genannt. Diese Verträge wurden Ausgangspunkt für die 1951 entstandene Montanunion (gemeinsamer Markt für Kohle, Erz und Stahl] mit Frankreich, Italien und der Bundesrepublik Deutschland.

1949: Belgien trat der NATO bei. 1951: König Leopold III., als angeblicher deutscher Kollaborateur von den Wallonen abgelehnt, dankte ab. Kurze Regentschaft von dessen Bruder Karl von Flandern. Dann bestieg Leopolds Sohn als König Baudoum l. den Thron.

1956: Deutschland erkannte die völkerrechtliche Ungültigkeit der Annexion Eupen-Malmedys von 1940 an. Eine deutsch-belgische Grenzberichtigung, Ausgleichszahlungen und ein Kulturabkommen wurden vereinbart (unterzeichnet 1958). Damit wurde eine Epoche der deutsch-belgischen Aussöhnung und Zusammenarbeit eingeleitet.

1957: Belgien unterzeichnete die Verträge von Rom, durch welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) entstanden. Brüssel wurde Verwaltungszentrum dieses Zusammenschlusses.

1958: Brüssel war Schauplatz einer Weltausstellung

1960: Belgisch-Kongo erhielt seine Unabhängigkeit. König Baudoum heiratete die Spanierin Dona Fabiola.

1963 und 1966: Sprachengesetze: Anerkennung der Sprachgebiete: Einführung der territorialen Einsprachigkeit in Verwaltung (außer in Brüssel) und Schulwesen; sprachliche Erleichterungen nur noch in einigen Sprach grenz Gemeinden und für die frankophone Minderheit im deutschen Sprachgebiet. 1967: Das NATO-Hauptquartier wurde von Frankreich nach Belgien verlegt. 1971: Eine Verfassungsreform sicherte den vier Sprachregionen eigene Kulturautonomie zu. Das Zusammenleben von Flamen und Wallonen wurde auf eine neue, fast föderale Grundlage gestellt. Drei Kulturgerneinschaften (deutsche, französische und niederländische) wurden geschaffen, ebenso drei Kulturräte; die deutsche Kulturgemeinschaft erhielt jedoch nur begrenzte Befugnisse in kulturellen Angelegenheiten.

1973: Am 23. 10. fand die erste Sitzung des »Rates der deutschen Kulturgemeinschaft.

1974: Am 10. 3. fanden die ersten Direktwahlen zum «Rat der deutschen Kulturgemeinschaft« statt. Sie ist im wesentlichen zuständig für die Gemeinschaftsangelegenheiten, die sich in kulturelle, personenbezogene und Unterrichtsangelegenheiten gliedern. 1980: Die Bezeichnung »Rat der deutschen Kulturgemeinschaft« wurde in die bis heute gültige Bezeichnung »Die Deutschsprachige Gemeinschaft" umgeändert. Das belgische Parlament beschloss die zweite Phase der Staatsreform, die eine weitgehende Autonomie der beiden Regionen Flandern und Wallonien zusicherte.

1983/84: Die Deutschsprachige Gemeinschaft erhielt eine Exekutive, die vom König unterzeichnet wurde; der neugeschaffene Rat der Deutschsprachigen Gemeinschaft wurde eingesetzt.

1988-90: Dritte Phase der Staatsreform; auch die Region Brüssel-Haupt Stadt erhielt ihre Autonomie. Erweiterung der Kompetenzen sowohl der Regionen als auch der Gemeinschaften (zum Beispiel das Unterrichtswesen].

1993: König Baudouin l. starb. Sein Nachfolger wurde sein Bruder Albert II. Vierte Phase der Staatsreform mit Verfassungsänderung. Grundlegende Änderung des Zweikammersystems; Kompetenzerweiterungen der Regionen und Gemeinschaften. Art. 1 der neuen Verfassung: »Belgien ist ein Föderalstaat, der sich aus den Gemeinschaften und den Regionen zusammensetzt.«