Das Problem mit der Lust

Lotte Schabacker, Daun

Ein junger gesunder Mensch, der sich auf seinen Lebensabend freut, wäre eine Kuriosität. Es gibt aus dem Blickwinkel eines etwa Zwanzigjährigen kein verlockendes Vergnügen beim Allwerden, keinen Grund also, sehnsüchtig auf die Pensionierung zu warten, außer in einem Punkt: man könnte endlich mal ohne lästige Unterbrechungen durch Pflichten tun, was man will und wozu man Lust hat. Was alles wird man bewirken, schaffen und noch lernen können, wenn der Zwang, Geld zu verdienen, Vergangenheit sein wird, wenn man endlich mal viel Zeit hat zum Basteln, zum Malen, zum Restaurieren alter Möbel, für lange Wanderungen, fremde Sprachen und eine sorgenfreie Spielerei mit Computern. Es gibt doch so viele Tätigkeiten, die Spaß machen. Es wäre ja absurd, die Mühe, die sich die Gerontologen mit den Voraussetzungen zu unserer immer höheren Lebenserwartung machen, zu missbrauchen, um zu Schrumpfpersönlichkeiten zu werden, was bei völliger Taten- und Interesselosigkeit kaum zu verhindern wäre. Obgleich uns dieses Lied schon oft vorgesungen wurde und uns selbst vor solcher Aussicht graust, gelingt allzuoft das freiwillige Tun, von dem man geträumt hat, nicht so recht, wenn es so weit ist. Woran liegt das? Vielfach an einem einzigen Wort! Es muss heißen: "Etwas tun. wozu ich Lust habe!" und nicht: »Etwas tun, wenn ich Lust habe!« Es liegt an dem Irrglauben, man könne sich im Alter jede Freiheil erlauben und jede Disziplin, jede Anstrengung meiden; es liegt daran, dass man über Lust nicht Bescheid weiß. Es gibt nicht viel im Leben, das uns sicher ist, nicht die Gesundheit, nicht der Wert des Wertpapiers, nicht - na ja - die Liebe. Nur auf eins können wir uns sicher verlassen: Dass die Lust, etwas zu tun, mit zunehmendem Alter an Verve und Ausdauer einbüßt. Zwar hat jeder Mensch in jedem Alter mit Schwankungen seiner Stimmungslage und Leistung s kraft, mit seinem individuellen Hoch und Tief zu tun, es kommen also immer mal wieder die Tage, an denen nichts so recht gelingen will. Aber beim jüngeren Menschen verhindert die Pflicht, in

die er durch Ausbildung oder Beruf genommen ist, ein langes Müßigsein. Und schnell erholte Betätigungsfreude setzt der Flaute automatisch ein Ende, wogegen es der alte Mensch ja sowohl mit Pflichtlosigkeit als auch mit einem zunehmend mühsameren Kreislauf zu tun hat. Ehe er sich also dahin treiben lässt, die großen Pausen einzulegen und auf die nächste Lustwelle zu warten, sollte er bedenken, dass er schneller aus der Übung gerät und sie weniger schnell zurückgewinnt als der jüngere Mensch, was dann wieder seine Lust am Neubeginn beträchtlich herabsetzt; dass sich sehr oft, und nicht nur bei alten Menschen, die Lust durch das Tun einstellt und nicht grundsätzlich umgekehrt das Tun durch die Lust; und dass jede noch so geliebte Tätigkeit auch ihre ungeliebten Strecken hat, zu denen immer die Lust fehlt, die man aber zu bewältigen hat. Ein einfaches Beispiel: Malen macht Spaß - aber das Reinigen der Pinsel und Paletten ist höchst lästig. Wer sich also allein auf die Lust als Antriebskraft verlässt, wer sich nicht immer wieder den bekannten Ruck gibt, der kann unter Umständen lange auf das Pausenende warten. Und schließlich kommt es zu dem bekannten Teufelskreis: Je länger die Pausen, desto geringer die Lust - je geringer die Lust, desto länger die Pausen...

Das »Mach mal Pause« gilt gewiss und gerade auch für den älteren Menschen. Aber er muss auf der Hut sein, dass daraus keine Dauerpause wird!