Dem Volk aufs Maul schauen...

Josef Jakob. Jünkerath

Lassen wir die Geschichte- und Sprachwissenschaftler sich untereinander einigen, ob der Mönch Martin Luther eigentlicher Schöpfer der hochdeutschen Sprache oder nur eifriger Förderer einer lange vor ihm begonnenen Entwicklung zum vereinheitlichten Hochdeutsch hin genannt werden soll.

Als er mit der Idee ging, die lateinische Bibel in eine noch zu suchende neue Einheitssprache zu übersetzen, wollte er»... dem Volke gründlich aufs Maul schauen ...« Vor seinen ärgsten Gegnern auf der Wartburg über Eisenach verborgen, "Junker Jörg- genannt, hatte er Zeit und Gelegenheit zur Übersetzung. Woher aber dieses neue Deutsch nehmen?

War ihm sein gewohntes Sächsisch bestimmend? Sollte er die in den Kanzleien des Adels übliche Kanzleisprache bevorzugen? Konnte er das gelehrte Deutsch seiner Mitbrüder als Beispiel nehmen? Die Fachsprache der reichen Kaufleute, das verluderte Deutsch der Landsknechte, das Gewirr der vielen deutschen Dialekte boten sich an. Aus allem Durcheinander eine möglichst vielen deutscher Zunge verständliche Einheitssprache zu schaffen, hatte sich Junker Jörg vorgenommen. Die vielen Zuhörer und die wenigen Leser sollten die Bibel verstehen können.

Weil Luther nun einmal sein Sächsisch als Muttersprache am besten beherrschte, Sachsen im oberdeutschen (hochgelegenen) Raum des Reiches lag, wurde das vereinheitlichte Deutsch zur hochdeutschen Schriftsprache. Wir als Eifeler dürfen annehmen, dass einiges aus unserer Umgangssprache durch die benachbarten Luxemburger in die Übersetzung kam. Sie hatten in Böhmen Macht und Einfluss gewonnen.

Dem Übersetzer war bewusst, dass Sprache nie eine feste Burg gewesen war und auch nie eine sein würde. Könnte er heute seinen »Sendbrief« lesen, müsste er sich seiner Fehler schämen: »Es thul mir doch sanfft, das ich auch meine undanckbare jünger, dazu meine feinde reden gelert habe.« Verbindliche Rechtschreibung musste noch auf einen Konrad Duden warten. Er hat uns zum Beginn unseres Jahrhunderts den DUDEN gebracht. Wörter sind zu uns gekommen, sind fremd geblieben. Andere haben ein deutsches Gewand angezogen. Wörter sind bei uns ausgewandert, haben sich im Ausland durch Benutzung verändert, sind nun wieder zurückgekommen. Die Römer haben ihre Sprachspuren hinterlassen: Fenster, Kammer, Wein, Mauer. — Aus dem Latein der Kirche sind uns Messe, Altar, Kanzel, Kreuz geblieben. Luther selbst hat durch seine Absicht, die katholische Kirche zu erneuern, am Sprachschatz mitgewirkt: evangelisch, Protestant, Pastor, Synode, Konfirmation. Der Entdeckung bisher unbekannter Erdgegenden folgten neue Begriffe: Kakao, Apfelsine, Kaffee, Banane, Tomate, Kartoffel.. . Herder, Goethe und viele andere Dichter vererbten uns das Volkslied, den Zeitgeist, den Erlkönig (statt des Elfenkönigs! den Goethe dann trotz falscher Übersetzung aus dem Dänischen übernahm. Morgenschön ging als Zauberwort in unsere Sprache ein. Ein Herr Fröbel aus Thüringen schenkte der Nachwelt den Kindergarten, der unverändert in viele Sprachen der Welt einging.

Da die Menschen in Europa durchweg des Lesens und Schreibens kundig sind, brauchte Bruder Martin — käme er denn zurück — dem Volk nicht mehr so sehr aufs Maul zu schauen. Lesen könnte er, was wir inzwischen mit seinem Deutsch angestellt haben. Selbst wenn er sich nochmal auf die Schulbank gesetzt und die Lehre von der Rechtschreibung erlernt hätte, müsste er verzweifeln. (So fleißig haben seine Teutschen an ihrer Sprache gewerkelt?) Legen wir ihm einfach unseren Sendbrief, eine Werbung von übermorgen, zum Lesen vor: Sie wollen HOLIDAYen? OK (O-KAY)

Das erledigt man über das neue HOLIDAY-BANKING!

Liegt Ihnen mehr an ADVENTURE auf eigene Faust, oder RELAXEN Sie lieber an irgendeiner SUNNYCOAST?

So oder so halten wir es für IN, sich bei einem OFFICIAL DEALER ein JACKET FOR ADVENTURE oder BUSINESS zu kaufen. Für die schlanke Frau empfiehlt sich der Einkauf bei SLIM LINE (dicht beim CITY-GRILL gelegen). Als Fahrzeug halten wir den SPACE WAGON für geeignet.

Sie haben (noch) keinen? LEASEN Sie einen! Zur Zeit sollten Sie von einem OFFROAD absehen, denn da BOOMT der Markt; der PRICE könnte erschrecken. Reicht die Kohle nicht, dann BIKEN Sie mit Ihrer FAMILY! Selbst das Gewagteste des Gewagten, das DOWNHILL-BIKEN, bleibt (RELATIV) preiswert. Beim BIKEN gilt das HANDLING als sehr EASY. Noch billiger? Wie wäre es, bei einem SNOW-BOARD-FREAK ein gut erhaltenes SECOND HAND-Stück zu erwischen. Wir weisen aber darauf hin, dass dann ein bisschen BODYBUILDING in einem FITNESS CENTER günstig wäre.

Sie sind kein ADVENTUREr, lieben Einheimisches, Vertrautes, Gemütliches? In A bietet sich Tanz mit WALLSTREET an. Ein paar Meterchen weiter lockt CALYPSO mit einer IRISH PARTY. Vielleicht gefällt es Ihnen beim S.C.Ball mit STARLIGHTS. Dazu gibt es noch eine HAPPY HOUR zu halbem Preis. Zu G. locken THE REMINDERS in die Stadthalle. Nichts davon sagt zu? Sie sind völlig OUT! Setzen Sie sich in Ihren DISC-ROOM, ziehen Sie sich ein paar DISCS oder VIDEOS rein. Achten Sie auf die LOUDNESS Ihrer Anlage. Nicht aufregen, Herr Luther. Ihre »undanckbare jünger« tun alles, die von Ihnen geschaffene Sprache zu verlieren. Ihre Kleinsten stecken sie in Schlotterhemd ehe n (T-SHIRTS heißen sie nun), lassen sie mit unverständlichen Sprüchlein verzieren. Alle deutschen Hersteller sehen sich nicht imstande, etwas Versteh bares aufzudrucken. Drehen Sie bloß keins der verteufelten Rundfunkgeräte an. Sie würden höchstens die Nachrichten teilweise verstehen. KIDS, TEENIS, OLDIES schmücken sich mit allem, was amerikanisch aussieht oder klingt. Bruder Martin, Deine Teutschen werden weiter JEANS tragen, auf ihre BABIES oder KIDS stolz sein, die OLDIES mit zur Hege und Pflege der Kleinen ANIMIEREN; FESTIVALS feiern, sich der Wucht von OPEN AIR-Lärm aussetzen, TECHNO oder BEAT in sich reinziehen. Eine SESSION wird mehr Beachtung finden als eine

Sitzung. Glanzlichter bleiben weiter HIGHLIGHTS, und DOWNLIGHTS leuchten ihnen nach einer AOK-DISCO NIGHT den Heimweg aus. Amerikanisch — da müsstest Du Geschichte etwas nachholen — BOOMT, liegt im TREND, ist IN. So ist das LIVE!

Für RECEIVER, SOUND, TUNER, DISPLAY, HIFI, SPOILER, AIRBAG, POWER, PACING TEAM, FAIR und tausend andere Begriffe fehlen ihnen schon die Worte. Willst Du an Deinem Teutsch festhalten, wirst Du bald SINGLE genannt. Zum Lächeln:

Die USA (erkläre ich Dir später) wollen durch Gesetz »ENGLISHONLY« ihr Amerika-Englisch reinhalten. Der britische (englische, verstehst Du!?) Thronfolger warnt vor dem »verderbenden amerikanischen Einfluss" auf das gute Englisch. Franzosen halten die schlimmen sprachlichen Entgleisungen für strafwürdig. Und die Deutschen?

Ja, die älteste Literaturgesellschaft der Welt, der »Pegnesische Blumenorden", forderte auch ein Bußgeld für Amerikanismen. (Erkläre ich Dir!) Du wirst auch mit einem erneuten Wurf mit Deinem Tintenfass nichts gegen die amerikanische Krätze ausrichten, Unsere (abwaschbaren) Tapeten bekämen ein paar (abwaschbare) Fleckchen. Mehr nicht? Mehr nicht, Bruder Martin!